zum Hauptinhalt
Dichter & Lenker. Hans Neuenfels.
© dapd

Geburtstag: Hans Neuenfels wird 70

Kenner nennen ihn einen "Regie-Berserker" - tatsächlich ist Hans Neuenfels wohl einer der letzten Gesamtkünstler unserer Zeit. Eine Würdigung.

Bei den Proben, wenn es ihn richtig packt, dann wird er zum Vulkan. Ein Mann, der mit rauheiserer Stimme Ideen sprüht, Ideen, die Schauspieler, Sänger und einen ganzen Theaterbetrieb in Flammen setzen. Man hat ihn darum immer wieder als „Regie-Berserker“ zu fassen gesucht. Aber dieses Wort ergibt nichts als eine vage und unmusische Ausflucht. Tatsächlich ist Hans Neuenfels ein von Grund auf glühender Künstler. Ein letzter Gesamtkünstler der Szene.

Neuenfels (was für ein sprechender Name!) inszeniert nicht nur Schauspiel und Oper und entwirft häufig eigene Bühnenbilder, er hat aus Theater Filme gemacht und schreibt, er ist ein hochsinnlicher Erzähler, Lyriker, stilmächtiger Essayist, ein musikalisch-philosophischer Ästhetiker – also: ein Dichter und Denker.

Dieses Letzte klingt sehr deutsch, und Hans Neuenfels, in Krefeld geboren, in Berlin-Charlottenburg lebend, ist auch sehr deutsch. Ein moderner Romantiker, mit dem entsprechenden Pathos, Witz und Trauerfuror. Doch hinzu kommt das ebenso deutsche Sehnen nach Süden hin, die Lust am Mediterranen. Die Neigung zu Verdi und sogar Wagner, dem in Venedig Gestorbenen, dessen „Lohengrin“ er jüngst in Bayreuth leuchten ließ, diese Neigung und Neugier kreuzt sich dann in Neuenfels’ besonderem Sinn für Mozarts Liebeswelttheater und Schuberts Untröstlichkeitsmelodien.

Das Gewaltige und das Zarte stecken in Hans Neuenfels’ Werk und Wesen gleichermaßen. Gleich unmäßig. Er ist aus dem Urdeutschen früh ausgebrochen und hat in Wien am Max-Reinhardt-Seminar studiert, zusammen übrigens mit Franz Xaver Kroetz, und dort traf er auch seine baldige Frau und Lebenskunstgefährtin bis heute, die Schauspielerin Elisabeth Trissenaar. Aber die besondere Manier, mit der Neuenfels in seinen Inszenierungen alle Vorbilder aus dem Alltag oder den Alltagsmedien explodieren lässt und Menschen häufig naherückt, indem er sie märchenhaft fremd macht und ihre Ferne zur Verlockung, dieses Besondere gründet in Neuenfels’ Faszination durch den Surrealismus. Ganz jung war er in Paris gut ein Jahr lang der Sekretär von Max Ernst: seine Jahrhundertbegegnung. Und mit ihr die Erkenntnis auch, in der Kunst alle Welt mit größter Freiheit collagieren und assoziieren zu können.

Ähnlich wie der 15 Jahre ältere Peter Zadek in Ulm und Bremen entstaubte Neuenfels mit seiner wilden Energie die deutsche Provinz und dann die Großstadttheater. In Heidelberg Ende der 60er Jahre, mit jungen Spielern wie Gottfried John, Ulrich Wildgruber, Ulrich Haß und der Trissenaar, verband er Pop und Revolte mit seinem Sinn für Rhythmus und Musikalität. So wurde er mit der britischen Fußball-Revue „Zicke Zacke“ (von 1969) bereits zum Berliner Theatertreffen geladen. Neuenfels ließ auch Büchners „Danton“ und Peter Weiss’ „Marat/Sade“ in gleißenden Lichträumen spielen, fand nach Heidelberg im BrechtSchüler Peter Palitzsch in Stuttgart und später in Frankfurt amMain seinen intellektuellen Konterpart, entdeckte Vitracs „Victor oder die Kinder an der Macht“ programmatisch neu, ebenso das Zeitgenössische in aufbegehrenden Frauen wie Ibsens Nora und Euripides’ Medea. Eine seiner schönsten Inszenierungen war am Schiller-Theater 1981 Kleists „Penthesilea“. Das Kriegerische und das Zärtliche gerieten mit Elisabeth Trissenaar in der Titelrolle und Katharina Thalbach als ihrer Amazonengefährtin wie selten in eins.

Vor ein paar Jahren rief man wegen eines Mohammed-Schädels beim Berliner „Idomeneo“ das Wörtchen „Skandal!“. Doch das war nichts gegen die am Ende bejubelte Frankfurter „Aida“, bei der die Titelheldin in einer ägyptischen Grabkammer am Gas erstickte. Das war, weil auch der koloniale Schrecken gespielt wurde, eine Revolution der Verdi-Rezeption. Grausamkeit und Grazie. Heute feiert ihr Genius seinen 70. Geburtstag.

Zur Startseite