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Szene aus "Café Society" mit Kristen Stewart (l.) und Jesse Eisenberg.
© dpa

Woody Allen eröffnet die Filmfestspiele von Cannes: In Hollywoodys Welt

Woody Allen bezaubert alle mit seinem neuen Film „Café Society“, der die Filmfestspiele von Cannes am Mittwoch Abend eröffnet. Und Festivalchef Thierry Frémaux vergleicht das Programm mit dem Louvre.

Die alten Männer von Cannes haben es, wenn sie sich mal einen Abstecher vom Kino erlauben, mit dem Sport und vor allem mit der Malerei. Bei der Pressekonferenz zum Eröffnungsfilm der Weltfilmfestspiele sagte Woody Allen auf die Frage, warum sein so hübscher „Café Society“ ebenso wenig im Wettbewerb antrete wie bisher jeder seiner Filme, um den sich die Festivals reißen: „Wettbewerb funktioniert nur im Sport. Nichts gegen persönliche Vorlieben, aber es gibt keinen objektiv besten Film. Warum sollte ein Rembrandt besser sein als ein El Greco, ein Matisse besser als ein Picasso? Das ginge gegen meinen gesunden Menschenverstand.“

Auch Festivalchef Thierry Frémaux, eine Generation jünger als der konkurrenzlos alljährlich weiterfilmende Woody Allen, geht gedanklich ins Museum, wenn er die Treue zu den Großveteranen der Filmkunst rechtfertigt. „Man erwartet doch auch nicht vom Louvre, dass er seine alten Meister abhängt, bloß um frischen Wind reinzubringen“, sagte er unlängst dem britischen Branchenblatt „Screen International“. Und machte zur Verdeutlichung einen Abstecher Richtung Leichtathletik: „Bei den Olympischen Spielen will ich ja auch Usain Bolt sehen und nicht Herrn Jedermann, der jeden Sonntagmorgen mit seinem Hund laufen geht.“

Auch wenn der eine nichts von Film-Wettbewerben hält und der andere unwidersprochen behaupten darf, Cannes sei die „Weltmeisterschaft des Kinos“: Als arrogant gelten sie beide. Jedenfalls bei dem Online-Kommentator, der Frémaux „What a snob!“ ins digitale Gästebuch schrieb, und bei der französischen Tageszeitung „Le Figaro“, die einmal mehr seufzt, Woody Allen würde in Cannes immer den Palmen-Wettbewerb „snobben“. Tatsächlich handeln die beiden nur konsequent nach einleuchtenden Prinzipien, die ihrer jeweiligen Marke über die Jahrzehnte alles andere als geschadet haben. Oder, um Frémaux’ anderen selbstbewussten Sportvergleich zu zitieren: „In einem World-Cup-Rugby-Spiel stehen die besten Spieler auf dem Platz. In Cannes wählen wir die besten Filme aus.“

Allen hält den inoffiziellen Titel des dreifachen Eröffnungs-Champions von Cannes

Exakt 1869 Filme waren zum Festival eingereicht worden – aber was soll Cannes bloß machen, wenn auch der neue Woody Allen wieder so gut ist? Dann programmiert es „Café Society“ eben als Eröffnungsfilm und tut dem Ältestmeister, während die stärksten Konkurrenten noch ihrer dritten Goldenen Palme entgegenstrampeln, nach „Hollywood Ending“ (2002) und „Midnight in Paris“ (2011) den inoffiziellen Titel des dreifachen Eröffnungs-Champions an. Tatsächlich mag Woody Allen auf dem Podium mit den auf die Hörgeräte platzierten Übersetzungskopfhörern hadern und darüber scherzen, dass man eines Tages mitleidig auf den Schlaganfallgeschädigten im Rollstuhl zeigen werde. Aber der Mann ist von faszinierender Unverwüstlichkeit. „Ich bin 80, ich fasse es nicht. Ich fühle mich jung, ich hab wohl den Jackpot geknackt“, ruft er in den bis auf den letzten Platz gefüllten Saal. Wenn das nicht ein wunderbar beneidenswertes Bekenntnis ist!

Sein in den Hollywood-Dreißigern spielender, nunmehr 52. Film mit Kristen Stewart und Jesse Eisenberg in den Hauptrollen – beide blutjung– zeigt darüber hinaus, wie sehr dieser cineastische Zauberkünstler mit jedem Lebensalter vertraut ist. Boy meets girl, das ist der schöne Köder, aber von Anfang an ist die Liebe wegen anderweitiger Bindungen vermint, verboten, geheim, kurzum: strukturell unmöglich – und wächst doch lebenslang und fundamental. In narrativer Bestform, mit Allen selbst als Erzähler, in flottem Timing und den betörend farbsatten, mitunter fast gemäldeartigen Bildern des Kameramanns Vittorio Storaro geht es durch das Erwachsenwerden zweier Menschen einem melancholischen Ende entgegen, das sensiblen Seelen das Herz zerreißt und robusteren Gemütern die Laune nicht verdirbt. Es gibt kein richtiges Leben im falschen? Aber klar doch: Hauptsache, das falsche Leben ist das Leben selber.

Der zunächst schüchterne Bobby aus New York heuert bei seinem Onkel Phil (Steve Carell) an, einem mächtigen Filmagenten in Los Angeles, und prompt verliebt er sich in Phils Sekretärin Vonnie. Jesse Eisenberg spielt diesen Jungen zurückgenommen, präzis und wirkungsvoll; Kristen Stewart gibt ihre Vonnie als Mädchen von nebenan, das später wie Bobby in die Society aufsteigt. Dort funktionieren beide korrekt, sie als topsituierte Gattin, er als Manager des New Yorker Edel-Cafés „Society“; zugleich bewahren sie sich ein Fremdeln gegenüber jener höheren Gesellschaft. Angekommen sind sie in ihr und, in Sekunden der wahren Empfindung, hinausgeschossen aus dem Orbit, dem sie so fest anzugehören scheinen.

Tatsächlich lässt sich „Café Society“ auch als Satire auf die Oberflächlichkeit jenes Studio-Hollywood lesen, das Storaro in ein unwirklich dauerbesonntes Abendlicht taucht. Genauso aber ist es eine Hymne auf dieses Kino und die kalifornischen Kinopaläste jener Jahre, die in ihrer Goldüberladenheit barocken Kirchen gleichen. Vor allem aber wirkt der Film, mitten im Retro-Look mit durchaus modernen Gesichtern, als zeitlose romantic comedy, die so elegant in Moll dahinperlt, wie sie wohl nur ein wirklich alter Mann in Szene setzen kann. Als gäbe es im Leben keinen Anfang und kein Ende, sondern nur den Kreis, der sich schließt.

Das Festival dagegen hat seine lineare Dramaturgie – und es sie sieht so aus, als hätte Woody Allen einmal mehr zum Start seinen unverwechselbar schwerelosen Ton gesetzt. Da mag Cannes unter niedrig hängenden Wolken sein blässlichstes Gesicht aufsetzen, da mag auch aus nachhallend aktuellem Anlass von massiven Sicherheitsverstärkungen die Rede sein: Ende April gab es eine Antiterror-Übung am Festivalpalast, und noch am Montag besuchte der französische Innenminister Bernard Cazeneuve demonstrativ die Stadt. Am Vortag der Eröffnung zählte das Lokalblatt „Nice matin“ nicht etwa die Filme im offiziellen Programm (49), sondern die örtlichen Überwachungskameras (500) und schrieb von Hundertschaften in Uniform und in Zivil, die das Festival so gut wie möglich vor Attacken zu Lande und zu Wasser schützen sollen.

Einer Festung gleicht das Festival am Eröffnungsmorgen allerdings wenig. Nur die Kontrolleure an den Eingängen zum Festivalpalast, die die Taschen der Filmleute scannen, sehen etwas muskulöser und auch ernsthafter aus als sonst. Dann geht das Saallicht aus – und ein Nachtfunkeln beginnt über einer von Woody Allen angerichteten Poolparty, deren Gäste genauso über Superstars und Blockbusterprojekte reden, wie das Tausende in den kommenden Tagen auch in Cannes tun werden. Und doch sind wir in einer noch mal ganz anderen, in seiner Welt.

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