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Grundsteinlos und zeitlos schön. Der 1969 eingeweihte Fernsehturm am Alexanderplatz.
© Thilo Rückeis

Berliner Türme (3): Fernsehturm am Alex: In den Kochtopf geschaut

Der Fernsehturm steht nun schon länger in der Bundesrepublik als in der DDR. Aber an seiner Geschichte kommt keiner vorbei.

Vielleicht haben die sozialistischen Stadtplaner um den Turm herum so viel Platz gelassen, weil sie der sozialistischen Bauweise nicht trauten. Bei Türmen muss man ja immer daran denken, dass sie umkippen könnten, und wenn sie kippen, wohin sie kippen.

Fiele der Fernsehturm also dahin, wohin alle im Osten wollten, nach Westen, dann müsste nur der Neptunbrunnen dran glauben.

Auf solche Gedanken kommt, wer über dieses Berliner Ding in einer Berliner Zeitung schreiben soll, aber nicht schreiben will, was schon in den paar Dutzend Artikeln zuvor geschrieben wurde, nichts über Höhenmeter und Betontonnen, nichts über „Telespargel“ und „St. Walter“, Wörter, die außer Journalisten und Reiseleitern niemand je verwendet, nichts über sexuelle Konnotierungen des Langetürmebauens und über das Geltungsbedürfnis von Walter Ulbricht. Nur so viel: Die aus den westlichen Landesteilen Zugezogenen seien servicehalber versichert, dass der Fernsehturm trotz seiner Größe schon immer im Osten stand (aber ohne hervorragende Westbaustoffe nicht hätte errichtet werden können), und dass er weder Alexanderturm noch Alex heißt und sich auch nicht auf dem Alexanderplatz befindet.

Man könnte über den Turm erzählen, indem man jemanden erzählen lässt, der schon lange darin arbeitet. Also ruft man die Telekom an, der gehört das Ding. Georg von Wagner ist der zuständige Öffentlichkeitsarbeiter für die Ost-Regionen, den soll man fragen, heißt es, nur anrufen soll man den Mann von der Telekom nicht. Auf eine E-Mail antwortet Georg von Wagner prompt: „Sehr geehrter Herr Ensikat, so jemanden können wir Ihnen als Gesprächspartner leider nicht anbieten. Mit freundlichen Grüßen.“ Unter der Mail steht doch noch seine Telefonnummer, man kann ja jetzt nicht aufgeben: Lieber Herr von Wagner, können Sie nicht doch noch etwas machen? Irgendjemand, der was erzählen kann? – Nein, da gibt es keinen. So etwas haben wir sowieso noch nie gemacht.

Dann nimmt das Gespräch einen Verlauf, der daran erinnert, dass es sich beim Fernsehturm um ein DDR-Produkt handelt, für welches einst „Organe“ der Staatsmacht verantwortlich waren. Pressearbeit als historisches Rollenspiel: Herr von Wagner hat für Anfragen der Presse zum Thema Fernsehturm überhaupt kein Verständnis. Es gab schon Dutzende Möglichkeiten, alles darüber zu erfahren, zuletzt, als die Fahrstühle modernisiert wurden. Warum denn jetzt schon wieder?

Da hat er natürlich recht, man hätte bei der Fahrstuhlpressekonferenz sein müssen. Da muss die Presse auch ein wenig mitarbeiten; in den ersten 20 Jahren des Turmbestehens ging das schließlich auch.

Ein Anruf bei der Gesellschaft, die im Turm das Restaurant und die Aussichtsplattform betreibt; sie hat ebenfalls einen Pressesprecher, und der ist ganz von heute, sehr freundlich und zu jeder Hilfe gern bereit. Auch das hat seine Logik: Er betont, dass der Fernsehturm schon seit 25 Jahren zum Westen gehöre, man ihn also wirklich nicht mehr mit der DDR in Verbindung bringen müsse. Die Mitarbeiter seien allesamt recht jung, die wenigen, die schon früher hier gearbeitet hätten, seien schon so oft interviewt worden, sie hätten keine Lust mehr, immer für die Ost-Nummer herhalten zu müssen.

Bauverzögerungen und Kostenexplosionen - sehr moderne Themen

Wenn also der Protagonist kein Mensch, sondern allein der stumme Turm ist, hilft nur noch die Lektüre. Die Lektüre aber, vornehmlich die des Standardwerks „Symbol mit Aussicht“, führt immer wieder zu Erkenntnissen, deren DDR-Bezug schwer zu verbergen ist. Schon im Vorwort erscheint das Pionierlied „Unser Fernsehturm“. Darin heißt es: „Allen, die uns den Turm gebaut / Turm gebaut, Turm gebaut / der jetzt in unsern Kochtopf schaut, / in unsern Kochtopf schaut / sagen wir fröhlich ,Danke schön’, / prima gebaut für Spreeathen, / Turm gebaut, Kochtopf geschaut, wir sagen ,Danke schön!’“

Dann wiederum liest man von Bauverzögerungen und Kostenexplosionen, ein sehr modernes Thema – wenn nur nicht die Zahlen wären, die im Vergleich zu Großprojekten unserer Tage eher bescheiden wirken. Als sich im Jahr 1965 herausstellte, dass der Abriss der alten Häuser und die Konstruktion der Kugel so kompliziert und teuer und die eingeplanten 33 Millionen Mark für alles Drum und Dran nicht ausreichen würden, bezeichnete die Investitionsbank das ganze Vorhaben als „völlig gesetzwidrig“. Das Projekt lag offiziell auf Eis, gebaut wurde dennoch. So kam es, dass der Turm keinen Grundstein erhielt, denn als man einen solchen hätte feierlich festklopfen können, handelte es sich beim Turmprojekt um einen nicht genehmigten Schwarzbau. Schließlich kostete die Sache viermal so viel wie vorgesehen – aber nur ein Viertel dessen, was die Mauer um West-Berlin ein paar Jahre zuvor gekostet hatte.

Zum 20. Jahrestag der DDR, am 3. Oktober 1969, weihte Walter Ulbricht den Turm mit einem Knopfdruck ein, das war der Start des Zweiten DDR-Fernsehprogramms – in Farbe! Kaum hatte er den Knopf gedrückt, erschien auf den Bildschirmen im Turmfoyer: ein Testbild, aber immerhin ein buntes.

Beim Studium der Turmliteratur stößt man auf so schöne Worte wie „Höhendominante“ und „Hyperboloidschalenkonstruktion“ und auf verwirrende Sätze wie diesen hier: „Zwar verunklart die asymmetrische Montage der Antennen den ästhetischen Reiz der Durchdringung von Betonzylinder und Stahlkugel, aber der Verzicht auf mehrere isolierte Tragepodeste kommt der kontinuierlichen und eindrucksvollen Höhenentwicklung der Gesamtanlage zugute.“

Wem davon noch nicht schwindlig ist, dem sei ein Besuch im „Telecafé“ empfohlen, in 207 Metern Höhe, gleich oberhalb der Aussichtsplattform. Weil sich die Tische zwischen Schaft und Fenstern um die Turmachse drehen, wird es einem ganz schummerig zumute, und man glaubt gar nicht, dass der Turm so fest und gerade steht, wie alle das behaupten. Prompt fängt man wieder an zu überlegen, wo man landet, wenn das Ding doch kippt.

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