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Michael Blumenthal, der noch amtierende Direktor des Jüdischen Museums Berlin (r.), und Peter Schäfer, Judaist und designierter Nachfolger am 19. Juni in Berlin. Schäfer folgt am 1.9.2014 auf den Gründungsdirektor.
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Michael Blumenthal verlässt das Jüdische Museum Berlin: In besten Händen

Nach 17 Jahren verlässt Direktor Michael Blumenthal das Jüdische Museum Berlin. Unter seiner Leitung wurde der Libeskind-Bau zum Publikumsmagneten und zur weltweit beachteten Institution. Auf ihn folgt der Judaist Peter Schäfer.

Dass er ein Glücksfall war, wird ihm jetzt von allen Seiten bescheinigt werden. Es ist aber im Fall von W. Michael Blumenthal die reine Wahrheit. Schon die Titulatur als Gründungsdirektor des Jüdischen Museums Berlin ist fast eine Untertreibung. So wie sich das Museum an der Lindenstraße heute präsentiert - nämlich glänzend, mit über 700 000 Besuchern im Jahr – , so wie es seinen Platz in der Berliner Museumslandschaft erworben hat – als eine der Attraktionen, die keiner auslässt –, so wie sich das Profil des Hauses als ein Ort mit lebendiger kultureller Ausstrahlung entwickelt hat, weit über seinen Museumscharakter hinaus, so ist dieses Haus inzwischen das größte jüdische Museum Europas. Es ist sein Werk und ohne ihn gar nicht zu denken.

Nun hat ihm sein persönlicher Assistent eine Packung Tempos auf das Podium des Hauses gelegt, für alle Fälle, und Michael Blumenthal wundert sich: „Das ist hier doch ein freudiges Ereignis!“ Endlich hat er jemanden gefunden, bei dem er sein Amt in „bestmöglichen Händen“ weiß: Der renommierte, vielfach preisgekrönte Judaist Peter Schäfer, ein Freund, emeritierter Professor der amerikanischen Elite-Universität Princeton – und wie der scheidende Museumsdirektor in Deutschland geboren – wird zum 1. September Blumenthals Nachfolge antreten. Blumenthal selbst geht nicht ganz, er wird dem Haus noch mindestens zwei Jahre lang beratend zur Verfügung stehen. Er ist jetzt 88 Jahre alt und machte sich schon länger Gedanken über seine Nachfolge: „Aber erst, als ich gehört habe, dass Peter Schäfer nach seiner Emeritierung aus privaten Gründen nach Berlin zurückzieht“, habe er ihn danach gefragt. Und schnell auch den Rat der Stiftung Jüdisches Museum Berlin überzeugt.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters bestätigt die einstimmige Berufung des 1943 Geborenen für vorerst fünf Jahre. Eine Ausschreibung gab es nicht, muss es auch laut Grütters auch nicht geben, „weil die Statuten des Museums dies erlauben“ für ein besonderes Amt. Vor allem würdigt Grütters Blumenthals langjähriges Engagement, auch in Anbetracht seines persönlichen Lebenswegs. „Der beispiellose Erfolg des Jüdischen Museums Berlin ist ganz wesentlich seiner Leidenschaft und Tatkraft zu verdanken“, so die Kulturstaatsministerin.

Dabei war dieser Gang der Dinge keineswegs ausgemacht. Blumenthals Affäre mit Berlin und umgekehrt die Geschichte, die die Stadt mit ihm erlebt hat, hatte ihre Ecken und Kanten. Zwar erschien er den Berlinern fast als Retter, als er Mitte der neunziger Jahre am Horizont der Stadt auftauchte. Berlin war mit seinem Vorhaben eines Jüdischen Museums in eine ärgerliche Sackgasse geraten, man stritt sich heftig über die Konzeption des Hauses. Blumenthal schien die ideale Gestalt zu sein, die Stadt aus diesen Querelen zu befreien: ein Amerikaner aus Berlin, der sich eben erst in einem Buch – „Die unsichtbare Mauer“ – seiner bis ins 17. Jahrhundert zurückreichenden Berlin-Brandenburgischen Herkunft versichert hatte, dazu ein erfolgreicher Politiker und Geschäftsmann.

Doch so einfach ging die Rechnung nicht auf. „Von heute aus gesehen, war es die richtige Entscheidung, allerdings aus den falschen Gründen“, hat Blumenthal seinen Entschluss im Rückblick kommentiert, 1997 die Berufung an die Spitze des Museums anzunehmen. Ein bisschen so ging es auch den Berlinern.

Dass aus einer ziemlich verfahrenen Lage heraus eine Erfolgsgeschichte ihren Anfang nahm, ist das eigentliche Verdienst Blumenthals. Dieser Erfolg des Hauses verdankt sich nicht nur der spektakulären Architektur Daniel Libeskinds, die 1999 fertiggestellt und noch vor der Eröffnung der Dauerausstellung 2001 mit leeren Räumen zur Publikumsattraktion wurde. Er verdankt sich ebenso Blumenthals Durchsetzungsfähigkeit, seiner gestaltenden, im besten Sinne unternehmerischen Energie und, wahrhaftig nicht zuletzt, seinem großen humanen Engagement für die Sache, für das jüdisch-deutsche Schicksal. Er hat dem Museumsprojekt, das eine Berliner, genauer eine Westberliner Idee aus den achtziger Jahren war, die entscheidende Richtung gegeben: hin auf ein Museum für die zweitausendjährige Geschichte des deutschsprachigen Judentums von den Anfängen in römischer Zeit bis zur Gegenwart. Und er hat es in eine höchst komfortable Situation gesteuert, in die Finanzierung durch den Bund, mit beachtlichem Etat und dito Personal, mit einem ausgesprochen positiven Verhältnis zu Sponsoren und Unterstützern.

Aber auch an der Entwicklung des Museums zu einem bedeutenden Zentrum, das mit Ausstellungen, Veranstaltungen und Initiativen am Kulturleben Berlins mitwirkt, hat Blumenthal seinen Anteil. Auch wenn er sie vor allem – generös wie er ist – auf seine Mitarbeiter zurückführen möchte. Aber ein großes Haus wie das Jüdische Museum lebt nicht zuletzt von dem Geist, in dem es gegründet und geführt wird. Und Blumenthal ist eine starke, ausstrahlende Persönlichkeit, ein Mann auch für den öffentlichen Auftritt und die überzeugende Kommunikation. Sein grandseigneuraler Charme hat das Haus in den bald zwanzig Jahre geprägt, in denen es sich in der Stadt etabliert hat.

Und mit der Gala-Veranstaltung, mit der 2001 das Jüdische Museum eröffnet wurde, hatte er auch einen gesellschaftlichen Akzent in dem gerade erst zwei Jahre zuvor zur Hauptstadt gewordenen Berlin gesetzt. Es war nicht nur Scherz und Ironie, sondern hatte seine tiefere Bedeutung, dass damals eine überregionale Zeitung die Gästeliste abdruckte, akkurat nach der Sitzordnung an den einzelnen Tischen, und die Liste mit „Berliner Republik“ überschrieb. Selten hat man ein so hochkarätiges deutsches und internationales Publikum in der Stadt gesehen. Dank Blumenthal war Berlin für einen Abend Welt.

Blumenthals Nachfolger Peter Schäfer hat mit seinem Vorgänger den Humor gemeinsam

Auch mit den seinen bald 90 Jahren ist Michael Blumenthal ein gut aussehender Mann geblieben, ein Herr, der nichts von seinem weltmännischen Auftreten und seiner angelsächsischen Lockerheit verloren. Dahinter steht ein abenteuerliches, erfolgreiches Leben; Blumenthal hat es in seiner 2011 erschienenen Autobiografie unter dem witzigen, an Jules Verne angelehnten Titel „In achtzig Jahren um die Welt“ beschrieben. Wobei die Welt sowohl die schwierige Station Schanghai bedeutet, wohin sich die Familie vor den Nazis rettete, als auch seinen Aufstieg in Amerika, letzteres durchaus nach dem Tellerwäscher-Millionär-Modell. Es ist anzunehmen, dass alle diese Erfahrungen auch an seinem Alterswerk mitgewirkt haben, dem Jüdischen Museum Berlin.

Mit seiner Tätigkeit für das Museum ist Blumenthal auf anrührende Weise wieder zum Berliner geworden. In jenen Jahren, in denen er als Geschäftsmann, Finanzminister und Sonderbeauftragter der amerikanischen Regierung tätig war, hatte er immer wieder mit Deutschland zu tun gehabt. Aber all den Bekanntschaften und Freundschaften zum Trotz hat er sich dabei „nie ganz wohl gefühlt“. Nach und nach ist er als Gründungsdirektor des Jüdischen Museums dann aber doch ein keineswegs unkritischer, aber wohlwollender Freund seines Herkunftslandes geworden. Man wird nicht so viele Leute mit seinem Schicksal finden, die so verständnisvoll und intelligent über deutsche Angelegenheiten urteilen wie er.

Durch sein Schicksal ein unerschütterlicher Amerikaner geworden, empfindet er sich inzwischen wieder selbst als Berliner. Und sieht die Entwicklung Berlins als großes Exempel. Für ihn ist „die Neubelebung dieser aufregenden Stadt nach dem Fall der Mauer das Kernstück und Symbol der wundersamen Wiedergeburt Deutschlands nach dem Ende des kalten Krieges“, schreibt er in seinen Erinnerungen. Keine Frage, Michael Blumenthal ist eine der erstaunlichsten Berliner Erscheinungen der Nachwende-Zeit.

Am Donnerstag, bei der Vorstellung seines Nachfolgers, betont Kulturstaatsministerin Grütters denn auch, es sei nicht einfach gewesen, jemanden mit „dem Mut und der Statur“ zu finden, der in Blumenthals Fußstapfen passe. Zumindest den Humor hat Peter Schäfer mit Blumenthal gemeinsam. „Es gibt überhaupt niemanden, ist mir während einer schlaflosen Nacht klar geworden. Also kann ich es auch versuchen,“ meint er heiter, der als studierter Theologie, Philosoph und Judaist 1973 an der Universität Frankfurt/M. habilitierte und unter anderem in Berlin lehrte, bevor er 1998 nach Princeton ging – für das eben eingerichtete Fach jüdischer Studien.

Ein Bau wie ein Blitz. Daniel Libeskinds spektakuläre Museumsarchitektur wurde 1999 fertiggestellt. Die Dauerausstellung wurde 2001 eröffnet
Ein Bau wie ein Blitz. Daniel Libeskinds spektakuläre Museumsarchitektur wurde 1999 fertiggestellt. Die Dauerausstellung wurde 2001 eröffnet
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Dass er nicht jüdischen Glaubens ist, war für seine Berufung damals nebensächlich. Das ist es jetzt auch für Michael Blumenthal. „Wir schauen auf die Qualifikationen. Hier arbeiten Juden, Christen und Muslime. Peter Schäfer weiß mehr über das Judentum als ich.“ Noch keine Erfahrung hat der designierte Chef mit den Aufgaben und Funktionen eines Museums, zumal eines Hauses mit so populären wie zugleich anspruchsvollen Ausstellungskonzepten. An dieser Mischung will Schäfer nichts ändern. „Eine professorale, wissenschaftliche Anstalt ist das Letzte, was mir vorschwebt“, meint er. Wohl aber denkt das Museum über eine Neuordnung der Dauerausstellung nach. Da will Schäfer eigene Akzente setzen und gleichzeitig etwas lernen. Wie er da sitzt, im hellen Anzug, etwas schlaksig und mit seinen 70 Jahren immer noch neugierig, nimmt man ihm das gerne ab.

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