Krise am Tanztheater Wuppertal: In Bausch und Bogen
Kündigung der Intendantin Binder abgeschmettert, Chaos perfekt: Jetzt hat das Tanztheater Wuppertal zwei Leiterinnen.
Update: Die Staatsanwaltschaft Wuppertal hat die Ermittlungen gegen Ulrich Bieger wegen Geheimnisverrats im August 2019 eingestellt.
Es ist ein Urteil mit großer Signalwirkung – und eine empfindliche Schlappe für das Wuppertaler Tanztheater: Am Donnerstag hat das Arbeitsgericht Wuppertal in einer mündlichen Sitzung entschieden, dass die fristlose Kündigung der Intendantin Adolphe Binder nicht rechtskräftig ist. Binder wurde vor allem vorgeworfen, keinen umsetzbaren Spielplan vorgelegt zu haben. Auch wurde ihr Führungsstil kritisiert. Der Richter Carsten Gironda konnte keine Verletzung der vertraglichen Pflichten der Intendantin feststellen. Alle Gründe für die fristlose Kündigung wurden vom Gericht nicht anerkannt. „Ich freue mich sehr über die Klarheit des Gerichtsurteils“, sagte Binder in einer ersten Stellungnahme.
Den Prozess hat Binder also gewonnen. Ob sie aber ihren Job zurückbekommt, wie sie es sich wünscht, ist fraglich. Das Tanztheater teilte am Donnerstagabend mit, dass es Berufung vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf einlegen werde. „Da das Tanztheater davon ausgeht, dass die Kündigung wirksam und das Urteil des Arbeitsgerichts fehlerhaft ist, wird auch eine Weiterbeschäftigung von Frau Binder in der Zwischenzeit nicht erfolgen“, heißt es in der Pressemitteilung.
Ex-Intendantin Binder hat Hausverbot
Der Streit tobt jetzt schon seit fünf Monaten – und geht nun in eine neue Runde. Denn Geschäftsführer Dirk Hesse dreht, bevor er Ende des Jahres die Kompanie verlässt, munter an der Eskalationsschraube. Wie aus gut informierten Kreisen zu hören ist, hat Hesse Binder gestern Hausverbot erteilt; zudem hat er ihr alle öffentlichen Äußerungen verboten. Die Chaostage in Wuppertal gehen also weiter.
Momentan hat das Tanztheater also zwei Intendantinnen – in Wuppertal wird schon von einem „Pas de deux“ geredet. Mitte November hat die Stadt Wuppertal als Gesellschafterin einen Zwei-Jahres-Vertrag mit Bettina Wagner-Bergelt abgeschlossen. Mit der überhasteten Berufung sollten Tatsachen geschaffen werden. Denn der Stadtdirektor Johannes Slawig, der eine wichtige Rolle in dem ganzen Konflikt spielt, hatte eine Rückkehr von Binder zuvor kategorisch ausgeschlossen.
Wagner-Bergelt ist eine ausgewiesene Tanzexpertin: Sie war bis 2017 als stellvertretende künstlerische Leiterin beim Bayrischen Staatsballett für die modernen Produktionen zuständig.
Der neue Spielplan weicht kaum von Binders Vorschlag ab
Wagner-Bergelt hat just einen Tag nach der Verhandlung bei einer Pressekonferenz den Spielplan für März bis Juli vorgestellt – ein bewusst gewähltes Datum. Es gibt nur wenige Abweichungen von Binders Plänen. Als Höhepunkt der 45. Spielzeit wird die Neueinstudierung des Stücks „Er nimmt sie an der Hand und führt sie in das Schloss“ von 1978 angekündigt, Pina Bauschs Auseinandersetzung mit Shakespeares „Macbeth“. Diese Produktion, die 29 Jahre nicht mehr gespielt wurde, hatte aber auch Binder schon eingeplant. Die Pina-Bausch- Produktionen „Sweet Mambo“ und „Kontakfthof“ werden nicht gezeigt, dafür „Arien“ und „Palermo Palermo“ – Letzteres hatte Binder für den Herbst 2019 vorgesehen. „Ich freue mich auch, dass der erst heute veröffentlichte Rest-Spielplan insgesamt fast vollständig wie geplant umgesetzt wird“, kommentierte Binder.
Erneuerung oder Sicherung von Pina Bauschs Erbe?
„Bettina Wagner-Bergelt setzt verstärkt den Fokus auf das Erbe von Pina Bausch, sowohl bezüglich der Entwicklung neuer Formate als auch im Hinblick auf partizipative Vermittlungsprojekte“, heißt es in der Pressemitteilung. Das lässt aufhorchen. Denn offenbar geht es bei dem ganzen Konflikt – neben dem Zerwürfnis von Binder und Hesse – auch darum, wie der Transformationsprozess des Tanztheaters aussehen soll. Das Erbe Pina Bausch lebendig halten und gleichzeitig neue Stücke mit internationalen Choreografen erarbeiten – das hatte sich Binder auf ihre Fahnen geschrieben. Und mit zwei Neuproduktionen von Dimitris Papaioannou und Alan Lucien Øyen erste Schritte in Richtung Erneuerung unternommen. Nun klingt es so, als solle es vor allem um das Bewahren und Sichern des Repertoires gehen – und darum, die Stücke an jüngere Tänzer weiterzugeben. Es klingt nach einer konservativen Wende.
Anhaltende Querelen, nicht gut für die Stadt
Bei dem Konflikt darf man aber auch das geplante Pina-Bausch-Zentrum nicht außer Acht lassen, in dem die Kompanie in Zukunft proben und auftreten soll. Am kommenden Montag wird im Wuppertaler Stadtrat über das 60 Millionen Euro teure Projekt entschieden – der Bund hat bereits zugesagt, die Hälfte der Umbaukosten zu übernehmen. Die Stadtspitze der chronisch klammen Industriestadt sehnt dieses Prestigeprojekt herbei. Doch die anhaltenden Querelen haben auch den Ruf des Tanztheaters und der Stadt beschädigt – und werfen ein zwiespältiges Licht auf die Lokalpolitik. Je mehr Details man erfährt, desto schmutziger erscheint die ganze Affäre. Gegen Ulrich Bieger, den PR-Berater des geplanten Tanzzentrums, ermittelt derzeit die Staatsanwaltschaft. Er soll der Presse interne Papiere zur Personalie Binder zugespielt haben.
Im nächsten Juni jährt sich der Todestag von Pina Bausch zum zehnten Mal. Einen Neuanfang beim Tanztheater Wuppertal kann es nicht geben, ohne dass die Vorgänge gründlich aufgearbeitet werden.
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