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Die Symbole der Apps für WhatsApp und Nachrichten
© dpa

Jugendroman von Peter Bognanni: Immer auf Empfang

„Mein Leben oder Ein Haufen unvollkommener Momente“: Peter Bognannis Roman über die Liebe und den Tod im digitalen Zeitalter.

Im Zuge der Digitalisierung so gut wie aller Lebensbereiche passiert es inzwischen häufig, dass Menschen sich gerade via soziale Medien ineinander verlieben, insbesondere junge, im 24/7-Online-Modus lebende Menschen, kaum dass sie sich ein- oder zweimal begegnet sind, wenn überhaupt. „Liebe über WhatsApp“ nennt der schwäbische Rapper Rin dieses Phänomen in seinem aktuellen Hit „Data Love“ und singt darin: „Bae, ich hab’ keinen Empfang / Doch wenn du schreibst, bin ich live für dich / Bae, ich hab’ keinen Empfang / Doch ich weiß, dass du bleibst“.

Nicht weiter verwunderlich ist es da also, dass sich die 17-jährige Tess Fowler in Peter Bognannis Roman „Mein Leben oder Ein Haufen unvollkommener Momente“ in den ein Jahr älteren Jonah verliebt, nachdem sie ihn ein einziges Mal auf einer Party gesehen hat und obwohl sie irgendwo in Iowa studiert und er in Boston: „Es war richtig schön“, erinnert sie sich an ihren E-Mail-Austausch mit ihm. „Wir schickten uns lange, ausführliche Berichte über das Leben an unserer jeweiligen Schule, mit Unmengen von Fragen am Ende, die der andere beantworten musste. Manchmal kam eine Mail zurück, die nur aus Antworten bestand. Ein anderes Mal eine Reihe von kurzen Texten, maschinengewehrfeuerartig ein Absatz nach dem anderen.“

Leitmotive dieses Romans: die Digitalsierung und der Tod

Doch nun ist Jonah tot, er hat sich umgebracht – und Tess weiß nicht, wohin mit ihrer Trauer, außer dass sie ihre Schule hinschmeißt und in ihr Elternhaus nach Minneapolis zurückkehrt. Hier erwartet sie nach der Trennung ihrer Eltern allerdings nur noch ihr leicht vertrottelter, kaum ein Bein auf die Erwerbs- und Erwachsenenerde bekommender Vater. Die Mutter ist mit ihrem neuen Lover auf religiöser Sinnsuche in Indien.

So weit, so konventionell, so frei von größeren Überraschungen beginnt die Geschichte dieses ersten Jugendbuches des amerikanischen Schriftstellers Peter Bognanni. Eben mit genretypischen Essentials: ein bisschen digitales Leben, der Tod eines Freundes, die erste Erfahrung von Trauer, ein zerbrochenes Elternhaus. Doch Bognanni gelingt es im Verlauf, hübsch skurrile Settings zu bauen, nicht zuletzt weil der Tod das neue Geschäftsmodell von Tess’ Vater ist. Er versucht sich als der etwas andere Bestattungsunternehmer und organisiert so auch Beerdigungen für Hunde oder Rennpferde oder richtet Trauerfeiern in Stripclubs aus. Viel wichtiger aber noch ist: Bognanni lässt die Kombination von Digitalisierung und Tod recht lange leitmotivisch durch seinen Roman wandern.

Eines Tages erhält Tess, die Jonah in sein digitales Jenseits weiterschreibt („Ich habe jede Menge Fragen, die ich dir gern zu deiner neuen Nicht-Existenz stellen würde.“), eine Antwort: „Ich muss mit dir reden, Tess. Es ist wichtig.“ Sie erfährt, dass Jonahs Chat noch zu dessen Lebzeiten schon länger von einem Freund und Kommilitonen fortgeführt wurde, von Daniel Torres.

„Die Zeit mit unseren Lieben wird nie genug sein."

Und so dekliniert Peter Bognanni durch, was es mit dem postmortalen digitalen Leben auf sich hat, auch weil Tess und Daniel nicht von dem toten Jonah loskommen und Daniel überdies an einer Post-Life-App arbeitet. Zudem erzwingt Tess nach ein paar Facebook-Account-Löschungen zielsicher eine analoge Verbindung mit Daniel; erst per Telefon, dann von Angesicht zu Angesicht und, ganz am Ende, mittels des guten alten Briefes. Wobei es ein feiner Gimmick von Bognanni ist, Tess einmal aus einem Brief von Flaubert an seine ältere Geliebte und Schriftstellerkollegin Louise Colet zitieren zu lassen. Es ist aber auch ein kluger Hinweis darauf, dass die gängige Liebe über WhatsApp so neu, so revolutionär ja nicht ist, sie geht nur schneller, blitzartiger, wirkt unvermittelter.

Es versteht sich, dass Tess und Daniel ihrem Jonah noch zu einer anständigen Beerdigung verhelfen wollen und mit ein paar Gramm von dessen Asche schließlich nach Sizilien reisen, nach Syrakus, Jonahs Sehnsuchtsort. Mal abgesehen davon, dass in Kinder- und Jugendbüchern gerade ganz gern Urnen mit Asche durch die Gegend transportiert werden (man denke nur an David Arnolds „Herzdenker), bekommt Bognannis Roman im letzten Drittel einen zunehmend melodramatischen Drall, da scheinen ihm überdies die Einfälle ausgegangen zu sein.

Doch wird dieses Manko aufgewogen dadurch, dass die mitunter etwas arg betonte Aufgekratztheit in Bognannis Creative-Writing-Kurs-geschulter Prosa einer ruhigeren, fast poetischen Sprache weicht, gerade als Tess ihre kleine Grabrede auf Jonah hält und sagt: „Die Zeit mit unseren Lieben wird nie genug sein. Aber schon allein darum zu kämpfen, gibt unserem Leben einem Sinn. Und die Liebe gibt ihm einen Sinn, auch wenn sie unvollkommen ist.“ Daran, kein Zweifel, lässt sich auch im digitalen Zeitalter nicht rütteln.

Peter Bognanni: Mein Leben oder Ein Haufen unvollkommener Momente. Übersetzt von Anja Hansen-Schmidt.Hanser Verlag, München 2018. 269 S., 18 €. Ab 14 Jahren

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