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Die Stapfen werden größer. So sah die "taz"-Flagge 2006 aus.
© Imago

40 Jahre "taz": Immer anders sein müssen

Die „taz“ hat viel zu feiern: Sie wird 40 und zieht in ein neues Haus. Ob die Zeitung auch in Zukunft mehr als ein Mythos, eine Marke sein wird? Betrachtungen eines ehemaligen "taz"-Redakteurs.

Also ich. Ich bei der „taz“. Das sagen jetzt viele ehemalige oder noch aktive „taz“-ler und „taz“-lerinnen. Um sich dann schnell in einem größeren Zusammenhang zu verorten, um der „taz“-Geschichte Genüge zu tun und ihr Vorrang vor dem eigenen Ich einzuräumen. So wie der Literaturredakteur Dirk Knipphals, der sich im großen „taz“-Buch zum 40. Geburtstag der Zeitung erinnert: „Die taz war ein Zusammenschluss unterschiedlicher Gruppen (von Frauen, Schwulen, Ökos, Linken und so weiter), ein Projekt ohne große Erzählung, das aus vielen kleinen und mittleren Erzählungen bestand.“ Oder die einstige Chefredakteurin Bascha Mika, die von der „unglaublich ausgeprägten Identifikation“ zu ihrer Anfangszeit schwärmt: „Jede und jeder fühlte sich als taz-lerin, als Mitarbeiterin im größten Alternativprojekt der Republik. Miteignerin der kleinsten überregionalen Tageszeitung. Arm, aber rebellisch.“

Hier also das größte Alternativprojekt der Republik, dort das Projekt ohne große Erzählung, aber mit vielen kleinen. Hier die kleine, linke, wahlweise alternative, wahlweise radikale, verlagsunabhängige Zeitung, die Stimme für die Gegenöffentlichkeit, die ihre Mythen pflegt. Dort die Zeitung, die ihren Lesern gehört (Genossenschaft) und sich später gut darauf verstand, Rettungskampagnen zu organisieren – und sich selbst zu feiern mit Jubiläums-, Sonder- oder Sammlerausgaben wie der „Titten-taz“ oder der von „Bild“- Chefredakteur Kai Diekmann verantworteten „Feindes-taz“ („Ich rufe mal schnell bei Angela an“, wie die „taz“-Redaktion da staunte). Ja, und hier das Blatt, das sich was auf seine Springer-Feindschaft und -Nachbarschaft genauso einbildet wie es den Respekt genießt, der von gegenüber kommt. Und schließlich dort das Blatt, das jetzt mit dem von der Genossenschaft finanzierten Umzug in den Neubau in der Friedrichstraße zum zweifachen Immobilienbesitzer geworden ist, einen Weg in die digitale Zukunft sucht und versucht, weiterhin anders als die anderen zu sein.

Der Gründungsmythos wird wie einen Staffelstab weitergegeben

Was die „taz“ in vierzig Jahren stets geschafft hat: das Bewusstsein ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen entscheidend zu prägen, auch im Nachhinein, und den Mythos von der Gründung, der Gründergeneration wie einen Staffelstab weiterzugeben. Man wird hier Teil eines letztendlich schwer zu definierenden Milieus, auch ohne das je angestrebt zu haben.

Als ich, so fangen sie nunmal an, die „taz“-Erzählungen, zum ersten Mal jemanden von der Zeitung kontaktierte, den damaligen Pop-Redakteur Thomas Groß, wollte ich einfach nur erfahren, wie das ist, in einer „richtigen“ Zeitung veröffentlicht zu werden, nicht bloß in einem Fanzine für eine bestimmte Klientel, meiner ersten Schreib- und Spielwiese. Tagesspiegel oder „taz“, das war mir in den frühen Neunzigern egal. Nur lehnte der Tagesspiegel-„Stadtleben“-Redakteur einen Beitrag von mir ab, der sei zu literarisch, „wir veröffentlichen hier keine Literatur“. Groß dagegen lud mich auf ein Gespräch ins „taz“-Haus in der Kochstraße, wie sie damals noch hieß, unten im Konferenzraum, neben dem Fotoarchiv und Nancys Mini-Kantine. Auf dem Tresen und den weißen Tischen standen dreckige Tassen; das Kahle, Nüchterne des Raumes wirkte abschreckend, im Gegensatz zu dem herrschaftlichen, immer angenehm eigentümlich riechenden Treppenhaus.

Es gab Rubriken wie „Durchs wilde Dröhnland“

Ich war nicht schwul, kein Öko, kein Alternativer, kein ausgeprägter Linker. Ich war rebellisch in einem postpubertären Sinn. Unangepasst, ja, schon, wie halt alle im Berlin der neunziger Jahre. Sozialisiert mit „Spex“ und „FAZ“, las ich die „taz“ gerade mal am Freitag. Das war der Tag der Popmusik, es gab Rubriken wie „Zwischen den Rillen“ und „Durchs wilde Dröhnland“, zuvor lange Jahre die Beilage „La vie“, in der Konzerte in Läden wie dem Loft oder dem Ecstasy redaktionell angekündigt wurden. So lange ich als freier Mitarbeiter schrieb, war ich ein weiterer Autorenname in der Zeitung, hatte ich nur oberflächliche Einblicke, musste ich mich mit der „taz“-Geschichte nicht beschäftigen.

Das änderte sich, als ich 1998 Berlin-Kultur-Redakteur wurde. Die „taz“ plante einen größeren Berlin-Aufschlag und hob die bis dahin nur drei Tage pro Woche erscheinende Seite wieder täglich in ihren Lokalteil. Helmut Höge machte sich in seiner Kolumne über die journalistenschulengeschulten „Lead“-Sätze lustig und schaute mich und meinen ein Jahr später dazugestoßenen Kollegen Kolja Mensing immer etwas verwundert an. Zu adrett waren wir womöglich, zu jungenhaft, zu geschäftig, zu wenig neben der Spur, unvertraut mit Gepflogenheiten wie dem „taz“-Du. Ich weiß noch, wie mich die Frankreich-Korrespondentin Dorothea Hahn einmal am Telefon anfuhr, ich solle doch aufhören mit dem Gesieze.

Die Berlin-Kultur gab es bei der taz schon seit den Achtzigern

Auch bei Detlef Kuhlbrodt, der schon bei der Berlin-Kultur der späten Achtziger mitgearbeitet hatte, zu ihren seiner Meinung nach größten Zeiten, galten wir eher als „Karrieristen“. Nicht wegen unserer Herkunft oder fehlender politischer Alternativfarben, sondern weil das Blatt insgesamt professioneller wurde. Selbst Kuhlbrodt ließ sich nach einem Kurzausflug zum „Spiegel“ zumindest ökonomisch besser „aufstellen“, wie man heute sagt, mit einem erhöhten Zeilengeld. Und betrauerte das in einem Text, den er 2005 unter dem Titel „Wieder scheitern, besser scheitern“ schrieb: „Leider war man von da an nicht mehr Teil eines Kollektivtexts, sondern als seriösierter Autor plötzlich vereinzelt. Es gab die Machtorientierten, die Textorientierten, die Familyorientierten und die Spezialisten für irgendwas.“

Kuhlbrodt feierte den anderen Kulturzugang der frühen Berlin-Kultur-Seiten – bloß hatten Kolja und ich den Eindruck, das gar nicht so viel anders zu machen. So es ging, konzentrierten auch wir uns auf Alltagstexte und Berliner Szenen, waren froh über jeden Text von Kuhlbrodt oder Höge. Wir besprachen Schokoriegel („Schneller Essen“) und Biermarken, versuchten das Berliner Pop- und Clubleben der Jahrtausendwende abzubilden, waren unterwegs mit Schriftstellern, bei Buchpremieren von Florian Illies, Christian Kracht oder Benjamin von Stuckrad-Barre, an Orten wie dem Savoy Hotel, dem Café der Literaturagentur Eggers & Landwehr in Mitte, Wohnungen am Lietzenseeufer oder in der Tiergarten-Quelle.

Steinhauer störte, aber keiner warf ihn raus

Oder wir versuchten Rainald Goetz für eine Fotoserie zu gewinnen. Begeistert ließ Goetz sich das „taz“-Haus zeigen, begeistert hörte er sich unsere Ideen an, begeistert sprach er mit uns zwei oder drei Stunden in eben jenem Konferenzraum. Nur um dann zu erklären, dass er das mit den Fotos doch nicht wolle, weil sie für ihn wie Texte seien, und die schrieb er ja so gut wie gar nicht für Zeitungen.

Vielleicht hatte Kuhlbrodt ja recht, als er melancholisch das Scheitern beschwor und die goldenen Zeiten der Berlin-Kultur. Die „FAZ“ wurde für ihre Berliner Seiten gefeiert, die es ja seit über einem Jahrzehnt schon in der „taz“ gab. So wie die anderen bei ihr abkupferten, näherte sich aber auch die „taz“ den anderen an, mit den von Kuhlbrodt skeptisch beäugten „Macht- und Textorientierten“.

Die Eigenheiten zeigten sich dann mehr in ebenjenem seltsam diffusen, gesellschaftlichen Milieu des Hauses. Als zum Beispiel eines Tages die Nachtigall von Ramersdorf in der Kulturredaktion stand, der Rosa-von-Praunheim-Schauspieler Friedrich Steinhauer. Den kannte ich nur aus dem Café M, weil er dort immer die Tische abräumte, um ein paar Mark zu schnorren (wenn man sich nicht bedankte oder nix gab, wurde er fuchsig). Die Nachtigall kam von der Hintertreppe in den vierten Stock, wo die Kultur ihr Zuhause hinter einer Glaswand hatte, sang ein bisschen, setzte sich vor einen Computer, klagte ihr Leid. Steinhauer störte, aber keiner warf ihn raus. Er blieb, wir arbeiteten, irgendwann ging er.

Sonntags traf sich Höge mit Wladimir Kaminer

Oder, wieder Höge, der ja auch „taz“- Hausmeister ist. Mal war er, immer im Anzug, mit Putzmittel und Toilettenpapier unterwegs. Dann wieder schrieb er an irgendeinem freien Tisch in einem der Gänge im dritten oder vierten Stock, sortierte seine Texthalden, rauchte Joints. Und sonntags traf Höge sich immer mit dem von ihm entdeckten russischen Autor Wladimir Kaminer und redigierte dessen Texte. Oder da war die Musikerin und Schriftstellerin Françoise Cactus. Früher fest angestellte Layouterin, half sie zu meiner Zeit im Layout nur noch dann und wann aus, rauchte wahnsinnig viel und war immer guter Dinge. Einmal sagte sie mir, sie würde mit ihrem Freund Brezel Göring bei Stereo Total oft auf irgendwelchen Instrumenten herumspielen, auch solchen für Kinder, und „irgendwelchen Scheiß“ damit machen. Sie gab mir den Rat: „So musst du auch schreiben“.

Doch, es gab viele kuriose Begebenheiten und seltsame Typen in der „taz“. Ich denke an Christian Specht mit seinem Maschinengewehr aus Holz, den stets barfuß laufenden Auslandsredakteur mit Schwerpunkt Afrika (der aber auch den Literaturnobelpreis für Harold Pinter zu würdigen vermochte), an manchen Pförtner oder Koch, der Schriftsteller wurde. Oder an den brillanten Kollegen Harald Fricke, der gern mal Produktionen aufs Spiel setzte, weil er in die vom Layout zu kurz gebaute Überschrift eines Interviews kein Zitat reinbekam („Das muss ein Zitat sein“!)

Die taz war für mich keine Lebensform sondern eine Lebenshaltung

War die Gesamtheit dieser durchaus eigenartigen Menschen ein explizit linkes, rotgrünes, alternatives Milieu? Nicht unbedingt. Andererseits hatte dieses Milieu wenig mit dem in den nuller Jahren installierten, vermeintlich „taz-typischen“ Boulevard zu tun, der auf den neu gegründeten „taz-zwei“-Seiten stand. Als Kulturredakteur war man auch in der „taz“ auf einem anderen Planeten zu Hause. Als aber alles zur Kultur erklärt wurde, die Ironie nicht aufhörte, sondern nur platter wurde, der Spaß nicht mehr am größten war, gestaltete es sich schwieriger. Für mich war die „taz“ dann doch nie eine (politische) Lebensform, sondern eine (subkulturell codierte) Lebenshaltung. Und trotzdem: Professionalisierung hin, der Trend auch zum Bunten her, in puncto Schreibweisen, Inhalten und Textformaten war immer viel möglich. Dass in der „taz“ das Andere steht, womöglich besser, es hier um Haltung geht, ist die von außen ewig an sie gestellte Erwartung.

Insofern war es bezeichnend, dass Rainald Goetz mir – lange nach meinem Weggang von der „taz“ 2006 – in seinem libidinös-erratischen Zugang zu bestimmten Autoren erklärte, das wäre nichts mehr mit meinen Texten. Die wären jetzt auch so feuilletonistisch, so eine Schönschreiberei. Es war danach nicht mehr so leicht, mit ihm ins Gespräch zu kommen.

Gerrit Bartels

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