Kunstbiennale in Norwegen: Im Zwiespalt von Herz und Verstand
Die Kunstbiennale „Momentum“ im norwegischen Moss befragt unsere Emotionen. Wie verbinden Gefühle das Heute und das Gestern? Wohin gehen wir? Ein Rundgang.
In Moss ratterten die Mühlen und Sägewerke schon im 13. Jahrhundert. Die norwegische Kommune, 60 Kilometer südlich von Oslo, war lange ein Industriestandort und bis vor ein paar Jahren vor allem dafür bekannt, dass es dort stank. Die große Papierfabrik blies übelriechenden Rauch in die Luft. Inzwischen ist die Papiermühle geschlossen. Die Luft erscheint klar, das Licht nordisch, die Wälder leuchten in sattem Grün. In Moss ist man stolz auf Edvard Munch, der ab 1913 kurz hier lebte und sich von der Schönheit des Fjords inspirieren ließ, und ein bisschen stolz ist man auch auf die Kunstbiennale, die 1998 von einigen Enthusiasten in Moss gegründet wurde. Nun eröffnete die 10. Ausgabe der „Momentum Biennale“ (Bis 9.10., www.momentum.no), die sich in den Anfangsjahren auf die Fahnen geschrieben hatte, der nordischen Kunst eine Plattform zu geben.
Der mittlerweile weltbekannte, in Berlin lebende Künstler Olafur Eliasson realisierte hier einen seiner „Green River“ – ein Foto erinnert an diese spektakuläre Aktion, bei der Eliasson unter anderem einen Fluss in Moss unangekündigt giftgrün färbte. Für den diesjährigen Kurator Marti Manen ist die 10. Ausgabe eine Gelegenheit, die Geschichte der nordischen Biennale zu rekapitulieren.
Geschichte besteht nicht nur aus Fakten
Etwa ein Drittel der Kunstwerke, die Manen ausgewählt hat, waren bei früheren Momentum-Ausgaben schon einmal zu sehen. Manen zeigt sie mal genauso wie früher, mal als Update, immer mit der Frage, welche Themen Künstler im Laufe der Jahre nach Moss gebracht haben und wie es heute darum bestellt ist. Was zunächst wirkt wie eine Verlegenheitsgeste – hat Momentum kein Geld mehr für die Produktion neuer Arbeiten? –, entpuppt sich als fruchtbare kuratorische Setzung. Manen will erkunden, wie das Gestern und das Heute emotional verbunden sind.
Für ihn besteht Geschichte nicht nur aus Fakten, sondern aus Emotionen. Nicht um Wahrheit soll es gehen, wie derzeit bei der Venedig Biennale, sondern um Gefühle. Er nennt die Schau dann auch „Die emotionale Ausstellung“. Der Fokus auf das persönliche Erleben kennzeichnet diese Biennale ebenso wie ihre humane Größe: mit 29 teilnehmenden Künstlern und drei Hauptstandorten ist sie wohltuend klein.
Die schwedische Künstlerin Johanna Billing nimmt bereits zum dritten Mal an Momentum teil. Von ihr ist das neue Video „In Purple“ zu sehen, es zeigt eine Performance der selbstorganisierten Mädchen-Tanzgruppe Mix Dancers. Die Mix Dancers haben es bereits zu einiger Berühmtheit gebracht, gegründet in einer 60er-Jahre-Wohnsiedlung nahe der schwedischen Stadt Jönköping, stehen sie für feministische Selbstermächtigung. Billing zeigt, wie die jungen Frauen in ihrem Viertel um die Häuser ziehen, wie sie tanzen und jeweils zu mehreren große Glasscheiben durch die Straßen tragen. Die Scheibe steht für das Fenster zur Welt – das den jungen Frauen nur bedingt offensteht. So selbstbestimmt sie ihr Leben in die Hand nehmen, so wenig gelingt es ihnen, die sozialen Strukturen zu ändern. Ihr Treffpunkt ist immer noch ein dunkler Kellerraum, eine eigene Tanzschule aufzumachen ein unrealisierbarer Traum.
Wird die Kunst in seine Nische zurückgedrängt?
Das Gefühl der Ernüchterung ist die komplexe Grundemotion dieser Biennale. Die meisten Künstler treten als Hoffnungsstifter auf, als Neugierige, als Heiler, die versuchen, Gefühle und Wahrnehmungen zu transformieren. Doch wenn die Gefühle sich ändern, ändert sich nicht unbedingt auch die Realität.
Die in Berlin soeben für den Preis der Nationalgalerie nominierte Pauline Curnier Jardin löst in ihrem Film „Hearts of Flint“ von 2012 die Grenzen zwischen Rationalität und Emotion auf. Auch sie nutzt das Schauspiel und die stilisierte Inszenierung, um verborgenen Gefühlen auf den Grund zu gehen. Jardin lässt ihre Protagonisten in der Pariser Banlieue Noisy-le-Sec surreale Dinge tun. Sie zeigt den Alltag im Problemviertel, nimmt ihm gleichzeitig die Schwere. Die Emotion beim Wiederbetrachten des Films ist zwiespältig. Gewalt und Hoffnungslosigkeit haben sich in den französischen Banlieues seit 2012 ja eher verschärft.
Dass die Kunstwerke auf ihre Haltbarkeit überprüft werden, gibt ihnen eine neue Relevanz. Da hat Manen den richtigen Riecher gehabt. Auch der Filmemacher Knut Åsdam greift auf seinen Beitrag für die erste Momentum-Biennale zurück. Damals installierte er ein „Kino“, das er nun rekonstruiert. Ein weißer Tunnel führt in eine Darkroom-Architektur. Filme verschiedener Künstler sind in kleinen Kabinen von Ledersofas und breiten Liegeflächen aus zu betrachten. Sexuelle und andere Subkulturen sind heute sicher viel mehr im Mainstream angekommen als 1998. Und gleichzeitig fragt man sich in dieser sinistren Architektur, ob derzeit nicht auch die Kunst in eine Nische zurückgedrängt wird.
Eine ruhige und unaufgeregte Biennale
Als die Momentum Biennale vor 20 Jahren in Moss gegründete wurde, wollte man der Stadt mit ihren vielen verlassenen Industriegebäuden neues Leben einhauchen. Mittlerweile hat sich vieles in Moss verändert. Die Gentrifizierung bekommt nicht zuletzt die Biennale selbst zu spüren. Die Momentum kunsthall, eine ehemalige Brauerei, wird in zwei Jahren nicht mehr für die Ausstellung zur Verfügung stehen. Der private Eigentümer will das Gebäude anderweitig nutzen. In den ehemaligen Industriearealen sind neue Appartementhäuser entstanden. Moss bekommt eine neue zweigleisige Bahnlinie, mausert sich dadurch zum schicken Wohnort für Pendler aus Oslo. 120 Häuser mussten für die neue Bahnstrecke abgerissen werden, das ist an Radikalität kaum zu überbieten.
Biennale-Besuchern erschließt sich diese Situation nicht auf den ersten Blick. Sie ist ruhig, diese Biennale, unaufgeregt, hier werden keine himmelstürzenden Gefühlausbrüche aktiviert. Auch die Kunst muss sehen, wo sie bleibt, und wenn das bedeutet, mit der lokalen Bahnfirma zu kooperieren, tut man es. Die Künstlerin Pauline Fondevila wurde auserkoren, den hässlichen Bauzaun rund um die Bahnbaustelle zu schmücken. Drei weiße Panels ließ die Bahnfirma dafür montieren. Fondevila hat darauf bunte Schilder angebracht. „Hör den Fischen zu", steht dort auf Norwegisch oder „Sing mit den Vögeln“. Die Marketingfrau der Bahnfirma kann enthusiastisch über die Aufwertung der einst unwirtlichen Gegend rund um die alte Bahntrasse berichten. Und warum soll man sich auch gegen einen neuen, schnellen Zug wehren? Gegen eine neue Wohnung im Grünen? Es wird nicht alles gut. Die Kunst sagt es deutlich. Aber vielleicht wird es besser.
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