Bildhauer Wieland Förster: Im Zerstörtwerden Sieger bleiben
Unbeugsam gegenüber jeder Form von Macht: ein Porträt des in Dresden geborenen und in der Mark lebenden Bildhauers und Schriftstellers Wieland Förster - aus Anlass seines 85. Geburtstags.
Am Anfang war eine Fotografie. Sie zeigt einen schmächtigen Mann, in den Händen Hammer und Meißel, daneben ein riesiger Gesteinsbrocken, frisch aus der Felswand gebrochen. Noch hat kein Schlag den Stein getroffen, noch ist nicht zu ahnen, dass aus diesem Felsungeheuer einmal „Das große Martyrium“ wird, ein Mahnmal für alle Opfer des Faschismus - und ein Meisterwerk. Der Mann auf dem Foto ist der Bildhauer Wieland Förster. Seine Arbeiten, in Bronze und Stein, markieren den öffentlichen Raum: auf dem Reichstagsgelände, an der Glienicker Brücke, vor der Frankfurter Konzerthalle, in der Hamburger Hafencity, im In- und Ausland. Seine berühmteste Skulptur, „Die große Neeberger Figur“, zeigt eine Frau, die sich ein Hemd überstreift, ihr Gesicht ist verdeckt, man sieht Brüste, eine schmale Taille, kräftige Hüftknochen, lange Beine, „rätselhaft unter ihrer Verhüllung, bannend in ihrem symmetrischen Aufbau, ebenso stark wie ausgeliefert wirkend, ebenso schön wie erschreckend“ (Claude Keisch). Um sie hat Förster drei Jahre lang gerungen, von 1971 bis 1974, immer bereit, das Begonnene zu zerstören, restlos. Die heute im Magdeburger Skulpturenpark stehende Bronze glückte. Kenner sehen in ihr ein Jahrhundertwerk.
Ein Regionalzug hält an der Station Wensickendorf im Havelland, dort lebt Förster mit seiner Frau, einer lebensklugen Kunsthistorikerin. Das Grundstück, mit Blick über flaches Feldland, begrenzt von Zäunen und Bäumen, strahlt Ruhe aus, Abgeschiedenheit. Dieses märkische Umland hat Förster, dem die DDR nichts als lebensgeschichtlicher Ort war, die Arbeitskonzentration gerettet. Es war Fix- und Fluchtpunkt für ein Werk, das er, unbeirrt, zu leisten hatte. Behinderungen weckten seinen Zorn, zuweilen Jähzorn. Auch sein unscheinbares Atelier in der Greifswalder Straße ähnelte einem Versteck. Die Frage, die der Gast nicht zu stellen wagt, sie steht im Raum: Was bringt einen Menschen dazu, sein Leben Stein, Gips, Bronze und Zeichenpapier zu widmen? Was treibt ihn, Steinklumpen zu bearbeiten, ohne Garantie für das Entstehende? Ideeller Ruhm, materieller Gewinn? Kaum. Also was?
Am 12. Februar 1930 in einem Dresdner Vorort geboren, stand keine Fee an Försters Wiege. Was immer man dem Kind prophezeite – gewiss nicht eine künstlerische Laufbahn. Als der Vater, ein kriegsversehrter Kraftfahrer, starb, war Förster fünf, als die Nationalsozialisten ihren Weltkrieg begannen, war er neun, als Dresden in Flammen aufging, 14, 15 Jahre alt. Nach acht Jahren hatte sich die Schule erledigt und 1946 die Ausbildung als technischer Zeichner.
Wenn er etwas gelernt hatte, dann Unbeugsamkeit. Das war der Hitlerjugend ein Dorn im Auge, und es missfiel der neuen Macht nach Kriegsende. Eine Denunziation (man unterstellte ihm Waffenbesitz) genügte, um dem Jugendlichen nicht nur die Folterinstrumente zu zeigen, sondern sie an ihm zu erproben. Harten Verhören war eine brutale Haftstrafe in Bautzen gefolgt, verkürzt nur durch internationalen Einspruch. 1950 hatte man Förster mit einer halben Lunge entlassen. Ein 20-Jähriger auf Sterbeetat.
Waren es Schutzengel oder böse Geister, die ihn in die Sphären der Kunst zogen? Er absolvierte die Hochschule für Bildende Kunst in Dresden, man erkannte seine Begabung – und misstraute ihr. Nach Umwegen hatte er sein Thema gefunden und bald die Formkonstanten, in denen es sich entfaltete. Für die Last erlittener Leiden, fremder wie eigener, galt es ein Gedächtnis im Kunstwerk zu stiften: zeichenstark, haltbar. Die Opfer „sollten nicht länger Versager, Kränkliche und Leidende sein“. Sie sollten, so Förster, „die Welt der Mächtigen durch ihre physische Präsenz herausfordern können und im Gebrochen-, Gepeinigt- und Zerstörtwerden letztlich Sieger bleiben durch die Unbezwingbarkeit ihrer Substanz, der Form.“
Er ließ sich sein Werk nie vom Tag diktieren
Aber auch Gegenkräfte waren zu finden und zu formen. Förster studierte den weiblichen Körper und begriff dessen positive Energie. Erotik und Liebe gewannen künstlerische Gestalt und Gegner, die in ihr Pornografie zu erkennen meinten. Wer sich der Kunstdoktrin nicht beugte, den beugte man mit Anstands- und Moralattacken. Oder lockte mit Karrieren, die das Parteibuch voraussetzten. Erfolglos.
Es sind die alten Geschichten, wir sind ihrer fast müde. Mit dem Werk, das sie verhindern wollten, haben sie wenig, vielleicht nichts zu tun. Försters einzigartiges Porträtreich basiert auf freier Wahl: von Gerhard Richter, Freund früher Tage, über Walter Felsenstein bis zu Bernhard Minetti und Elfriede Jelinek. Mitte der sechziger Jahre begegnete er einer gelähmten Nachbarin, deren eigerundete Kopfform ihn faszinierte. Dem Porträt, das er gestaltete, verweigerte Borniertheit die Anerkennung. So sähen, hieß es damals, sozialistische Bürger der DDR nicht aus. Das mag sein. Aber was Förster geformt hatte, war das Antlitz eines einzigartigen Menschen, ein document humain. Sein Blick war in jenen Raum vorgedrungen, den die Diktaturen seines Jahrhunderts und ihrer Vorgänger bedrohten, verletzten und vernichteten.
Unter den Wensickendorfer Bäumen steht einer, den sie Fühmann-Baum nennen. Ein Herbststurm zersplitterte den Baum, der Kummer darüber hält an. Denn wenn es eine Freundschaft in Försters Leben gab, dann die zu Franz Fühmann, der mit „Zweizwanzig Tage oder Die Hälfte des Lebens“ ein schonungsloses Schuldbekenntnis zu Auschwitz von literarischem Rang ablegte. 1966 war Fühmann auf die Skulptur „Passion“ gestoßen. Im Bild des grausam Gepfählten erkannte er das „Zeichen des unverlierbaren Menschentums in allen Gemarterten von Spartakus bis Vietnam“.
Obwohl Förster 1968 auf den militärischen Einmarsch der Warschauer Vertragsstaaten in die CSSR mit der Skizze für ein anklagendes Mahnmal reagierte, ließ er sich sein Werk nicht vom Tag diktieren. Gab es eine Richtschnur, dann die unsichtbare in ihm. Statt sich Kunstmoden anzudienen, studierte er Menschheitsmythen. Zog es den befreundeten Fühmann zunehmend in Bergwerke, um das von weither kommende und gegenwärtige Dasein zu begreifen, so Förster zu den rätselhaften Felsen in der Sächsischen Schweiz. Den grandiosen Zeichnungen, die in den siebziger Jahren entstanden, fügte er Tagebuchnotizen von seltener Eindringlichkeit bei. Sie sind, erst ein Jahrzehnt später, veröffentlicht worden unter dem Titel „Labyrinth“.
Er stehe ihm Ruf, sagte Förster einmal, ein unfreundlicher Mensch zu sein. Aber was heißt das in unfreundlichen Zeiten? Sein fünftes Lebensjahrzehnt musste anbrechen, damit erste größere Ausstellungen seine öffentliche Wahrnehmung besserten. Konrad Wolf setzte ihn als Akademiemitglied und Vizepräsident durch. Und erst das Ende der DDR sicherte seinem Werk den Erhalt, in Dresdner Kunstdepots und im Berliner Akademiearchiv. 2007 schloss Förster sein bildhauerisches Oeuvre ab, bezeichnend: mit einer Porträtstele des Schriftstellers Uwe Johnson. Kunstwille hat den Körper bezwungen, Glück und Gnade in einem.
Aufgehört zu arbeiten hat Förster nicht. Das Schreiben, lebensbegleitend seit den Anfängen, prägt nun die vom Abendlicht beschienenen Jahre. Doch nicht Heimwege sind es, auf die der Schein fällt, sondern die Erinnerung an Heimatverlust: die Zeit der Gefangenschaft, unabgegolten. Das, sagt Wieland Förster, wird der Schluss. Man möchte widersprechen, doch weiß Besseres – und verbeugt sich.
Roland Berbig