Interview mit dem Generalsekretär des Goethe-Instituts: Im Wettbewerb der Werte
Kairo, Ankara, Beirut, New York: Johannes Ebert, Generalsekretär des Goethe-Instituts, über neue Gefahren und Strategien auswärtiger Kulturarbeit – und die Grenzen des Austauschs.
Herr Ebert, beim Goethe-Institut fallen Deutschkurse und Prüfungen aus, Lehrer stehen auf der Straße. Wie kommt es zu dieser üblen Situation?
Wir befinden uns zurzeit in einer schwierigen Lage. Wir haben zwölf Goethe-Institute in Deutschland, die Sprachkurse anbieten. Es gibt dort seit Langem fest angestellte und freie Mitarbeiter. Im Moment prüft die Deutsche Rentenversicherung diese Praxis. In einem ersten Schreiben stellt sie infrage, dass diese freien Honorarlehrkräfte tatsächlich Selbständige sind. Wir sind aufgrund von früheren Prüfungen sicher, dass wir richtig gehandelt haben. Aus rechtlichen Gründen können wir aber im Moment keine neuen Verträge für freie Mitarbeiter ausstellen. Ich habe selbst anfangs beim Goethe-Institut Deutsch unterrichtet und weiß, was das bedeutet. Ich bedaure die Situation wirklich ganz außerordentlich. Immerhin können wir zwei Drittel des Angebots aufrechterhalten.
Wann wird sich die Lage klären? Es werden doch auch für geflüchtete Menschen Sprachkurse gebraucht.
Wir hoffen, dass es so schnell wie möglich zu einer Einigung mit der Rentenversicherung kommt und der Betrieb normal weiterläuft.
Der Imageschaden für das Goethe-Institut ist aber beträchtlich.
Das glaube ich nicht. Wir nehmen unsere soziale Verantwortung wahr. Wir zahlen deshalb seit Langem sehr gute Honorare, die eine soziale Absicherung erlauben. Wir sind zurzeit dabei, deutschlandweit fast 70 Lehrer zur Überbrückung befristet anzustellen. Und wir arbeiten mit Hochdruck an einer Lösung. Aber es ist ein laufendes Verfahren, daher kann ich jetzt leider nicht mehr dazu sagen.
Sie gehen als Generalsekretär in Ihre zweite Amtszeit. An kaum einem Ort im Ausland ist die Lage jetzt ruhig, überall Veränderung, Bedrohung, Probleme.
Das macht unsere Arbeit noch wichtiger. Wir stehen vor den unterschiedlichsten Herausforderungen. In Russland werden die NGO-Gesetze verschärft, das betrifft unsere Partner dort in der Zivilgesellschaft. In Polen oder Ungarn tritt uns durch die Populisten plötzlich ein völlig verändertes Werteverständnis entgegen. Das Goethe-Institut bleibt eine wichtige Adresse für kritische Künstler, für Menschen, die sich mit offenen, experimentellen Formen beschäftigen.
Sie waren selbst einige Jahre in Kairo. Wie ist die Situation dort jetzt?
Wir haben in Kairo im Oktober ein neues Gebäude eröffnet. Ich hatte seinerzeit noch meinen Hauptsitz am Tahrir-Platz. Grundsätzlich arbeitet das Goethe-Institut sowohl mit staatlichen Stellen als auch mit unabhängigen Kultureinrichtungen zusammen. Sonst erreicht man die Akteure nicht, die etwas voranbringen wollen. Wir machen mit dem Bildungsministerium in Kairo gute Projekte, das funktioniert. Staatsapparate sind ja nie so monolithisch wie sie aussehen, nichts ist nur schwarz oder weiß. Die freie Szene in Kairo ist allerdings unter Druck, und manch ein Schriftsteller publiziert jetzt lieber nicht in Zeitungen. In einer solchen Situation bieten wir eine Plattform, offen zu reden, über Probleme zu diskutieren.
Hat sich die Goethe-Strategie verändert?
Ich denke, das betrifft die vergangenen 20 Jahre. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dann seit den Anschlägen des 11. September hat sich Kulturarbeit stark verändert. Weil plötzlich klar wurde, dass es andere Auffassungen und Wertvorstellungen gibt, die dem Westen kritisch bis feindlich gegenüberstehen. Im März machen wir in Berlin zu diesem Thema eine Veranstaltung mit dem Titel „Wettbewerb der Narrative“. Wir müssen uns fragen: Was wollen wir vermitteln? Man trifft auf andere Gegenüber, mit denen man den Dialog suchen und die eigene Position behaupten muss.
Dafür genügt schon eine Reise nach Warschau. Nationalismus und konservativer Katholizismus bilden eine Gefahr für Politik und Kultur.
Nicht-liberale Auffassungen sind stärker geworden an vielen Orten. Diskursfähigkeit, Offenheit, all das steht in Frage, was lange Zeit selbstverständlich erschien. Wohin entwickelt sich Europa? Darüber habe ich gerade mit Kollegen vom British Council diskutiert. Sie finden fast überall diese Fifty-Fifty-Spaltung, beim Brexit, bei der Trump-Wahl, bei der Präsidentenwahl in Österreich. Eine Hälfte der Bevölkerung ist für Europa, für liberale Werte, die andere Hälfte will das nicht oder sieht es kritisch. Auch bei dieser Hälfte müssen Kulturinstitutionen versuchen, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen.
Bildung, Kultur, Austausch, Goethe-Institut: Das ist das Feindbild der Populisten. Fühlen Sie sich angegriffen?
Wir sind noch nicht Zielscheibe von populistischen Aktionen geworden, aber es gibt in den sozialen Medien immer wieder negative Kommentare aus dieser Richtung.
Sie arbeiten in einer aggressiver gewordenen Welt. Wie stellen Sie sich darauf ein?
Wir haben einen erweiterten Kulturbegriff. Es geht nicht nur um Kunst und Musik und Literatur. Wir müssen unsere Zielgruppen definieren, zum Beispiel in den USA. Wie erreichen wir Menschen, die außerhalb der großen Städte leben, die wenig wissen von Deutschland und Europa, die Propaganda für bare Münze nehmen? Schüleraustausch, Lehrerfortbildung durch das Transatlantic Outreach Program, das sind einige Instrumente. Deutsche Sprache spielt eine große Rolle. Im Libanon haben wir für geflüchtete Kinder ein Fußballprogramm organisiert. In diese Richtung muss das Goethe- Institut noch mehr unternehmen.
Kultur als Plattform, auf der man sich begegnen kann
Diese integrative Rolle Deutschlands in der Welt wird größer, oder?
Die Frage ist: Wie gehen Kulturinstitutionen mit Menschen um, die nicht offen sind, die die Dinge anders sehen, die die Folgen der Globalisierung ablehnen und sich bedroht fühlen? Darauf haben wir noch keine Antwort gefunden. Unser digitales Angebot, das ist sicher, wird sich verändern. Da werden wir investieren und neue Ideen und Formate entwickeln.
Wie sieht das aus in Ländern mit eklatanten Menschenrechtsverletzungen, wie in Iran? Nach der Absage der Teheran-Ausstellung setzt das Goethe-Institut sein iranisches Programm in Deutschland fort.
Man muss unbedingt diesen Austausch und diese Diskussionen führen, und dafür muss man erst einmal zusammenkommen. Kultur kann eine Plattform sein, auf der man sich begegnen kann, jenseits der Tagespolitik. Es gibt in Iran – ich war mehrmals dort – eine unglaublich lebendige Kulturszene, die hier nicht wahrgenommen wird. Es ist zum Nutzen beider Seiten, diese Leute zu uns einzuladen. Es ist für uns immer wichtiger, Diskurse aus anderen Ländern wahrzunehmen. Durch unser Netzwerk haben wir als Goethe-Institut dazu direkten Zugang.
Gibt es keine Grenzen, mit wem man spricht, was man in Kauf nimmt?
Wenn man Kulturaustausch mit bestimmten Ländern versucht, heißt das nicht, dass man gut heißt, was dort geschieht. Wir lehnen das Unrecht ab. Das wird auch angesprochen. Für mich ist die Grenze erreicht, wenn Künstler, Veranstalter oder das Publikum durch Programme bedroht sind oder in Gefahr gebracht werden.
Wo wird das Goethe-Institut im Ausland neu oder verstärkt aktiv werden?
In Iran arbeiten Mitarbeiter des Goethe- Instituts unter dem Dach der deutschen Botschaft. Ebenfalls in Kuba und Algerien. In New York werden wir gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt die German Academy eröffnen, in Brasilien haben wir bereits neue Residenzen eingerichtet. In den kommenden fünf Jahren wird uns die Frage des Freiraums beschäftigen. Es ist das große Thema der Freiheit, in Europa, in der ganzen Welt.
Und das in einer verschlechterten Sicherheitslage. Sie sind als Goethe-Institut ein weiches Ziel.
Es ist eine Gratwanderung, die Menschen bei uns zu schützen und gleichzeitig den offenen Charakter unserer Institute zu erhalten. Wir werden zum Beispiel in Ankara bauliche Maßnahmen haben, um der Sicherheit willen, und wir schulen unsere Mitarbeiter, wie man mit Bedrohungssituationen umgeht.
Wie sieht es zum Beispiel bei den Goethe- Instituten im Nahen Osten aus?
In Beirut arbeiten wir ganz normal, das Institut in Damaskus ist das einzige, das wir schließen mussten. Wir versuchen in den Nachbarländern etwas für die geflüchteten Syrer zu machen.
Und was wurde aus Ihren Mitarbeitern in Damaskus?
Viele sind ins Ausland gegangen. Wir haben finanzielle Kompensation zur Verfügung gestellt. Zwei ehemalige Mitarbeiter haben kürzlich die Veranstaltung „Damaskus im Exil“ in Berlin mit auf die Beine gestellt, ein Mitarbeiter ist nach Taschkent gegangen. In Erbil, Nordirak, haben wir ein Verbindungsbüro eröffnet. In diesen Zeiten des Rollbacks sind unsere Aufgaben wichtiger und umfangreicher geworden.
Das Gespräch führte Rüdiger Schaper.
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