Comic „Sabrina“: Im Visier der Verschwörer
Mit Nick Drnasos „Sabrina“ war zum ersten Mal ein Comic für den Man Booker Prize nominiert. Das Buch behandelt ein hochaktuelles Thema.
Am Ende schaffte es Nick Drnasos Buch „Sabrina“ zwar auf die Longlist, aber nicht auf die Shortlist des Man Booker Preises. Dennoch: Schon die Nominierung für den renommierten Literaturpreis, der am 16. Oktober vergeben wird, als erster Comic überhaupt war eine Sensation.
Sabrina lernen wir in der Erzählung allerdings fast nur über das Verbrechen kennen, dem sie zum Opfer fällt. Im Zentrum des Buches steht ihr verstörter Freund Teddy, der über die Diskussion eines Videos, das von dem Verbrechen kursiert, in den Sog verschwörungsmythischer Mutmaßungen im Radio und in den sozialen Medien hineingezogen wird.
Reale Vorlage für die Verleumdungen, denen sich Teddy und Sabrinas Familie ausgesetzt sehen und die am Ende darauf zielen, die Identität der Betroffenen, auch des Opfers, in Frage zu stellen, sind Internet-Sendungen wie die berüchtigten „Infowars“ von Alex Jones.
Der US-Radiomoderator hat unter anderem behauptet, dass die vielen Amokläufe an Schulen nur inszeniert seien und die in den Medien auftretenden überlebenden Schüler von den Demokraten bezahlte „Krisenschauspieler“ , die den Amerikanern das von der Verfassung garantierte Recht auf Waffenbesitz nehmen wollen.
Verschwörungsmythen haben eine lange Tradition in den USA
Klagen gegen die „Shock jocks“, die im Internet und im Radio Millionen Zuhörer, Zuschauer und Follower haben, sind angesichts der weitreichenden Meinungsfreiheit in den USA meist aussichtslos. Jones und andere sind bei aller Aggressivität zudem meist schlau genug, ihre Angriffe in Suggestivfragen zu verpacken.
Nicht einmal „poetische Gerechtigkeit“ gibt es in Drnasos vordergründig schlicht gehaltenem Comic, der zeichnerisch an die strengen Linien, klaren Konturen und sanften Farben von Chris Ware („Jimmy Corrigan“) erinnert. Er zeigt uns vielmehr, was Menschen einander antun können, dass der „Mensch des Menschen Wolf“ ist, wie es bei Thomas Hobbes heißt. „Die wilden Tiere übernachten in Hotels“, sagt Sabrinas Schwester zu ihr, um sie vor einer geplanten gemeinsamen Wanderung in der Natur zu beruhigen.
Verschwörungsmythen haben eine lange Tradition in den USA. Aber die Unbarmherzigkeit in der politischen Debatte, auch davon erzählt dieses Buch, hat eine neue Dimension erreicht, weil das Internet den Schutz der Anonymität bietet und im Weißen Haus ein Präsident sitzt, der durch seine verbale Aggressivität asoziales Verhalten zu legitimieren scheint.
Nick Drnaso: Sabrina, Drawn & Quarterly, 204 Seiten, 16,99 Euro
Unser Autor Dr. Thomas Greven ist Senior Research Fellow am Institut für Internationale Politik, Berlin, und Privatdozent am John-F.-Kennedy-Institut der FU Berlin.
Thomas Greven
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