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Aus Hamburg zurück in Korea. Kim Min-Hee ist Young-hee.
© Grandfilm

Koreanisches Kino von Hong Sang-soo: Im Schein der Wintersonne

Fragmente einer Bildersprache der Liebe: Hong Sang-soos mit einem Silbernen Bären ausgezeichnete Abschieds-Elegie „On the Beach at Night Alone“.

Young-hee weiß, wie schnell ein Mensch verschwinden kann. Die junge Schauspielerin ist nach einer Affäre mit einem verheirateten Regisseur von Seoul nach Hamburg geflüchtet. Vielleicht reist er nach, wahrscheinlich eher nicht. Einmal sitzt Young-hee am Ufer eines Sees. Die Sonne ist untergegangen, da malt sie sein Gesicht in den Strand. Ein Akt der Sehnsucht, der in sich bereits den Abschied birgt.

„On the Beach at Night Alone“ ist das 19. Kapitel in Hong Sang-soos Ordnung der Liebesdinge. In immer neuen Varianten kartografiert er das Feld, auf dem sich die Geschlechter anziehen und abstoßen. Dafür lässt er meist einen larmoyanten Filmschaffenden versuchen, eine jüngere und klügere Frau für sich zu gewinnen. Oft komisch, selten tragisch, doch stets liebenswürdig seziert Hong Sang-soo die männliche Begierde. Dank der präzisen Schwerelosigkeit seiner Werke und seinem Spiel mit den Erzählformen wurde der 57-jährige Koreaner zum Dauergast der Filmfestivals.

Sein neuer Film ist grimmiger und verletzlicher als seine Vorgänger. Er verschiebt den Fokus von der amüsanten Anbahnung einer Liebelei auf die schmerzhaften Folgen einer Beziehung. Im Zentrum der melancholischen Miniaturen steht allein Young-hee, Hongs bislang vielschichtigste Frauenfigur. Der Film wird in Korea auch als Antwort auf einen Boulevardskandal verstanden: Der Regisseur soll eine außereheliche Affäre mit Hauptdarstellerin Kim Min-hee gehabt haben, einem Star ihres Landes. Wo das Werk endet und das Leben beginnt, das war bei dem Autorenfilmer noch nie so schwer zu sagen wie diesmal.

Rauchen und reden, flüstern und schreien

Hong Sang-soos Geschichten entfalten sich beiläufig. Es sind lakonische Impressionen des alltäglichen Lebens, mehr durchlebt als durchdacht. Im ersten Teil spaziert Young-hee mit einer koreanischen Freundin durch das winterliche Hamburg, die beiden treffen ein deutsches Paar und fahren zu viert an den Strand. Im zweiten Teil besucht sie alte Bekannte in einem koreanischen Küstenort und fährt ebenfalls mit ihnen an den Strand. Spiegelungen und Wiederholungen: Hong Sang-soos Markenzeichen.

Seine Figuren rauchen und reden, trinken und essen, flüstern und schreien – und offenbaren sich dabei selbst. Und so zeigt die Hamburg-Episode weniger eine äußere Flucht als einen inneren Rückzug. Es geht um das Gefühl, nicht allein und trotzdem einsam zu sein. Wie es sich anfühlt, wenn der geliebte Mensch räumlich fern, doch innerlich so nah ist, das zeigt das Gesicht von Kim Min-hee. Ihr facettenreiches Schauspiel brachte ihr auf der Berlinale 2017 einen Silbernen Bären ein.

Kim Min-Hee spielt diese Young-hee als selbstbestimmte, unabhängige und eigensinnige Frau, die ihrer Trauer die Stirn zu bieten sucht. Sie will leben, wie es ihr passt, sagt sie, und in Würde sterben. Manchmal verliert sich ihr Blick einsamkeitsüberglänzt in der Ferne der Gedanken. Einmal beugt sich Young-hee im Schein der Wintersonne hinunter zu einer Blume. Sie streichelt die Blüte und nähert sich ihr mit den Lippen, als sei es ein Ohr, dem sie ihren Kummer anvertraut.

Überwiegt in Hamburg die lähmende Melancholie, so ist in Korea von der Wehmut vor allem Verbitterung geblieben. Das drängende Bohren der Anderen und der Zwang zur Selbstrechtfertigung treiben Young-hee aus ihrem inneren Refugium. Aus dem Rückzug wird ein Angriff: Sie hat die Männer satt. Diese Mischung aus Wut und Verletzlichkeit, das Pendeln zwischen Freude und Trauer machen Young-hee zu eben der Bombe, als die sie sich im Traum einmal bezeichnet.

Trauer als Prozess, den man durchlebt

Wie so oft konzentriert Hong Sang-soo das Geschehen schließlich um den Esstisch. Es ist der Ort der Zusammenkunft, meist auch des Zusammenpralls. Der Koreaner ist ein Chronist der Nuancen und Zwischentöne. Da fließt ein Gespräch scheinbar beliebig dahin, plötzlich entzündet sich an einer Marginalie ein Wortgefecht und der Tisch fängt Feuer – angefacht vom Soju, jenem Reisschnaps, der wie verdünnter Grillanzünder schmeckt. Als einer dieser typischen Hong-Protagonisten – eitel, feige, mehr pseudo als intellektuell – mal wieder den Welterklärer gibt, rastet Young-hee aus. „Niemand ist berechtigt, geliebt zu werden“, schreit sie.

Die Kamera registriert das in ihrer unverkennbaren Nonchalance; lange Einstellungen legen die Gesprächsdynamiken frei und die durchkomponierten Tableaux offenbaren in der Gleichzeitigkeit der Körper, ihrer Mimik und Gestik, dass der vermeintlich einfachen Form eine hohe Komplexität innewohnt.

Getragen von Schuberts C-Dur-Streichquintett bilden diese Fragmente einer Winterreise eine elegische Charakterstudie, die daran erinnert, dass Trauer kein Problem ist, das man löst, sondern ein Prozess, den man durchlebt. Zu Beginn von Teil Zwei blickt uns Young-hee aus einem Kinosaal als unser Spiegelbild entgegen. Filmschauen kann Selbsttherapie sein. Filmemachen auch: Bei der Korea-Premiere machten Kim Min-hee und Hong Sang-soo ihre Liebe publik. Im Forum der Berlinale im Februar zeigen sie ihren fünften gemeinsamen Film.

Jonas Lages

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