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Echt Blattgold. Der „Thronsaal“ in Neuschwanstein, ausgestaltet 1881 - 87 nach genauen Vorgaben des Königs.
© Ulrike Myrzik

Die Architektur unter Ludwig II. in München: Im Rausch des Ornaments

Schlösser, Fabriken, Universitäten: Das Architekturmuseum der TU München widmet sich der Baukunst unter dem Märchenkönig Ludwig II.

Bayreuth verdankt sein Festspielhaus dem Umstand, dass es an seinem ursprünglich gewählten Standort, der bayerischen Landeshauptstadt München, nicht errichtet werden konnte. König Ludwig II., glühender Verehrer der Musik Richard Wagners, konnte sich mit diesem Vorhaben gegen den Hof wie auch gegen die Stadt nicht durchsetzen.

Aber nicht dafür ist der „Kini“ berühmt, sondern für seine Königsschlösser. Insbesondere Schloss Neuschwanstein hat über Jahrzehnte hinweg das Deutschlandbild des englischsprachigen Auslands geprägt und im Märchenschloss von Disneyland eine durchaus kongeniale Nachfolge gefunden. Anderthalb Millionen Menschen im Jahr besuchen den abgelegenen Bau und vollziehen staunend nach, was Ludwig erstrebt hatte: die Einfühlung in eine andere, von Vergangenheitssehnsucht und Exotismus gleichermaßen gefärbte Welt.

Kaum ein Besucher jedoch erstaunt darüber, dass es überhaupt möglich war, diese Schlösser zu errichten. Doch genau das ist neben der eigentümlichen Architektur dieser Bauten höchst bemerkenswert. Nach dem Besuch der Ausstellung, die das Architekturmuseum der TU München unter dem Titel „Ludwig II. und die Architektur“ in seinen Räumen in der Pinakothek der Moderne zeigt, und der Lektüre des üppig ausgestatten Katalogs stellt sich ein ganz anderes Ludwig-Bild ein.

Nicht nur Königschlösser, sondern auch Fabriken

Der König, 1864 im Alter von nur 18 Jahren auf den Thron gekommen, sah sich und seine hochfliegenden Pläne eingeklemmt zwischen der reaktionären Hofkamarilla und dem machtvoll aufstrebenden Bürgertum, die aus gegensätzlichen Gründen seine Bausucht einzudämmen suchten. Beim Münchner Festspielhausprojekt – das einen erheblichen Eingriff in die Stadtgestalt bedeutet hätte – ist ihnen dies denn auch gelungen.

Dem gegenüber steht die Bautätigkeit in Bayern, die sich unter seiner bis zur Absetzung 1886 dauernden, 22-jährigen Regentschaft ereignete. Sie ist im Bewusstsein der Späteren nie aus dem Schatten der Königsschlösser herausgetreten. So wird jetzt wie eine Entdeckung zelebriert, was doch in den Städten Bayerns in Vielzahl vor Augen steht: die Architektur unter Ludwig II. Sie umfasst „Königsschlösser und Fabriken“, wie der Untertitel der Ausstellung lautet, aber ebenso Bauten der Bildung, des Verkehrs, Sakralbauten und Wohnhäuser. Bayern zur Zeit Ludwigs II. war ein Land im Aufschwung wie andere deutsche Länder auch; das gern gepflegte Bild vom Bauernland, das erst einhundert Jahre später den Anschluss an die Neuzeit gefunden habe, erweist sich als Legende. Natürlich war und blieb Bayern agrarisch geprägt. Aber was sich in den Städten wie Nürnberg, Augsburg und München vollzog, war der Ausbruch aus mittelalterlicher Beschränkung ins Zeitalter bürgerlicher Geschäftigkeit.

Der Großvater des Königs, Ludwig I., bezeugte seine Griechenbegeisterung in antikisierenden Bauten, der Vater, Maximilian II., hatte demgegenüber einen eigenen „Rundbogenstil“ entwickeln lassen und für verbindlich erklärt. Ludwig II. hingegen bevorzugte keinen spezifischen Stil, am wenigsten die deutsche Renaissance, mit der sich das Bürgertum schmückte. Insofern ist die Architektur der zweiten Ludwig-Ära dem Historismus zuzuordnen, jener Selbstbedienung aus dem Vorrat historisch gewachsener Vorbilder, die die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts kennzeichnet.

Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt

Da spielten naturgemäß Gotik und Renaissance eine große Rolle, denn sie waren die beiden vorangehenden Epochen des Bürgertums, und Nürnberg und Augsburg lagen seit der napoleonischen Herrschaft nunmehr innerhalb Bayerns. Augsburg wuchs zu einem Zentrum der Industrie, mit Funktionsbauten der Textilbranche, Ludwigshafen in der damals bayerischen Pfalz sah den riesigen Maschinensaal der BASF, während in München Großbrauereien in nüchternen Backsteinbauten Platz fanden. Ganz verschwunden ist die Ausstellungsarchitektur der Zeit, in denen sich Industrie und Gewerbe mit ihren Errungenschaften feierten.

Speziell dieser gusseisernen Architektur sind in der Vergangenheit bereits Ausstellungen gewidmet worden. Die weniger spektakuläre Baukunst der Krankenhäuser, Universitäten, Mietshäuser und selbst der Bahnhöfe wurde hingegen nahezu übersehen. Sie folgte keinem ausgewiesenen Stilkanon. Sogar Orientalismus war möglich, merkwürdig deplatziert in einem Augsburger Mietshaus von 1885 – wohingegen sich die Synagogen der endlich emanzipierten jüdischen Gemeinden gerade nicht auf den Orient beriefen.

Bleiben als Faszinosum die Königsschlösser. Ihr Prunk, von dem zu Lebzeiten Ludwigs gewöhnliche Sterbliche strikt ausgeschlossen waren, um nach seinem Rätseltod im Starnberger See umgehend für das Publikum geöffnet zu werden, wird sorgsam gepflegt. Dass die Bauten keinem staatlichen oder dynastischen Zweck dienten wie etwa die zeitgleiche Vergangenheitserfindung der Hohenzollern-„Stammburg“ Hechingen, fällt heute niemandem mehr auf, da Schlösser ohnehin Orte der reinen Schaulust sind.

Gülden glitzert der Thronsaal in Neuschwanstein, mehr Byzantinismus als echtes Byzanz. Das Unbekannteste der Schlösser ist ihr kleinstes, das „Königshaus“ auf dem Schachen, 1800 Meter hoch gelegen und von der Elmau aus in drei Stunden zu Fuß erreichbar. Von außen eine, wenn auch noble Berghütte, birgt sie im Innern einen „Türkischen Saal“ mit Buntglasfenstern und üppigster Ornamentik. Hier soll der König ordentlich einen durchgezogen haben. Cannabis in Bayern! Ludwig ist das auf Dauer nicht bekommen, aber die Nachfahren erfreuen sich der Früchte seiner Fantasie.

München, Architekturmuseum der TU in der Pinakothek der Moderne, bis 13. Januar. Katalog bei Birkhäuser, 39,95 €.

Bernhard Schulz

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