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Freunde fürs Leben. Fatih Akin mit Anand Batbileg (Tschick, li.) und Tristan Göbel (Maik, re.) – und dem blauen Lada.
© Verleih

"Tschick" von Fatih Akin: Im Lada nach Dingenskirchen

Erste Liebe, beste Freunde: Die lässig-kongeniale „Tschick“–Verfilmung – und eine Begegnung mit dem Regisseur Fatih Akin.

Fatih Akin ist bester Laune an diesem strahlend schönen Sommertag, da er in einer Suite des Berliner SoHo House in Mitte sitzt, mit Blick auf den Alexanderplatz und die Plattenbauten in der Mollstraße. In der Türkei hat es ein paar Tage zuvor einen Putschversuch gegeben, doch Akin signalisiert, darüber nur ungern Worte verlieren zu wollen. Er befinde sich gerade in einer Art „Schockstarre“ und wolle sich die Laune nicht verderben lassen. Schließlich sei er nicht aus seiner Heimatstadt Hamburg gekommen, um über die Türkei zu sprechen, sondern über seinen neuen Film: „Tschick“, nach dem 2010 veröffentlichten Supererfolgsroman des vor drei Jahren verstorbenen Schriftstellers Wolfgang Herrndorf.

Dieser Roman ist nicht über Nacht zum Bestseller geworden, sondern entwickelte sich über viele Monate hinweg. In der Buchbranche heißt so was Longseller, mittlerweile sind von „Tschick“ weit über zwei Millionen Exemplare verkauft worden. Es passt dazu, dass sich auch die Geschichte seiner Verfilmung zog und ein wenig turbulent ist. Über die Filmrechte war kurz nach der Veröffentlichung schon verhandelt worden, wie man Herrndorfs Blog „Arbeit und Struktur“ entnehmen kann. „Jetzt könnte ich sechsstellige Summen verdienen, und es gibt nichts, was mir egaler wäre“, schrieb der an einem Hirntumor leidende Autor im Januar 2011.

Auch Fatih Akin bemühte sich um die Rechte, allerdings erst ein Jahr später, nach Lektüre der Taschenbuchausgabe. „Ich wollte das sofort verfilmen. Aber hinter dem Buch waren ja alle her. Das Ganze bewegte sich nicht groß, wegen Herrndorfs Erkrankung, und ich habe ,Tschick‘ aus den Augen verloren, als die Finanzierung für meinen Film ,The Cut‘ stand. Den wollte und musste ich dann einfach machen.“ Den Zuschlag bekam schließlich David Wnendt, und Akin wendete sich anderen Filmprojekten zu. Bis ihn im Sommer 2015 sein Anwalt anruft und fragt, ob er „Tschick“ nun doch verfilmen wolle? Wnendt und der Produzent Marco Mehlitz hatten sich getrennt, unklar ist, ob aus Termingründen oder wegen ästhetischer Differenzen.

"Es muss irritierend sein, wenn die Auto fahren"

Und Akin sagt zu – obwohl die Zeit knapp ist, obwohl bestimmte Drehorte lange ausgesucht sind, es die Verantwortlichen für Kostüm, Maske und Ausstattung schon gibt und Akin eigentlich am liebsten mit denselben Leuten zusammenarbeitet, obwohl das Drehbuch für ihn „massive Schwächen“ hat und er es mit Hark Bohm und dem auch von Wnendt engagierten Herrndorf-Freund Lars Hubrich in aller Eile umschschreibt. „Ich habe das Team übernommen, der Produzent hatte mich darum gebeten. Ich wollte mich daraufhin nicht groß anstellen. Der Kameramann und der Regieassistent kamen schließlich von mir, und die Schauspieler waren größtenteils auch noch nicht ausgesucht worden.“

Die Rolle des Maik Klingenberg allerdings, die war besetzt worden. „Am ersten Arbeitstag musste ich dem Jungen absagen, der passte einfach nicht. Er war 18 und hätte höchstens als 16-Jähriger durchgehen können. Doch die Herrndorf-Jungs mussten gerade auch physiognomisch jung sein. Es muss irritierend sein, wenn die hinter einem Steuer sitzen und Auto fahren!“ So sind Tristan Göbel, der den Maik spielt, und Anand Batbileg als Tschick gerade einmal 13 Jahre alt, als der Dreh beginnt, und, wie Akin es nennt, „buchstäblich vor laufender Kamera in die Figuren hineingewachsen.“

Man hört Fatih Akin an, wie aufreibend diese Art von Hauruckfilmproduktion gewesen sein muss, sein ganzer Körper scheint beim Sprechen zu vibrieren, so wie er einem im dunklen T-Shirt und Jeans gegenübersitzt. Er habe eh nichts zu verlieren gehabt, streut er einmal ein, ohne es näher zu erläutern. „So wie ich es gesagt habe.“ Spürbar jedenfalls ist, wie viel Freude ihm die Arbeit gemacht hat, an die er wie an einen Dokumentarfilm gegangen sei: „Man reagiert mehr auf die Dinge, ist weniger der Regisseur, als dass man sich von den Dingen führen lässt.“

Akins Film hat Humor und stimmige Dialoge

Tatsächlich hat diese „Tschick“-Verfilmung etwas Ungezwungen-Lässiges. Die Freude beim Lesen des Romans, auch beim zweiten übrigens, die kann man nun abermals im Kino haben. Wer das Buch kennt und liebt, fragt sich ja bange: Lassen sich Witz und Komik der Vorlage in ein anderes Medium transportieren, gleichermaßen wie die Gebrochenheit und Melancholie, die Lieder von Außenseitertum, Einsamkeit, Freundschaft und erster Liebe, die in Herrndorfs „Tschick“ als zweite Tonspur mitlaufen?

Akin hat es verstanden, beides stimmig zusammenzuführen. Sein „Tschick“ ist stellenweise witzig, ganz ohne Klamauk (sieht man vielleicht von mancher überzeichneter Erwachsenenfigur ab), er enthält sentimentale Momente, ganz ohne Kitsch, auch die oft eins zu eins aus dem Buch stammenden Dialoge wirken spontan und flüssig – und er läuft nie Gefahr, wegen des gebrochenen Haushalts, aus dem Maik stammt (Vater verschwindet mit junger Sekretärin, Mutter ist Alkoholikerin), und des Außenseiterstatus der Jungs zu einem Sozialdrama zu werden.

Akin sagt, sein Erzählbogen sei die Entwicklung von Maik gewesen, dem Icherzähler des Romans, der im Film bisweilen auch aus dem Off spricht: „Maik ist unglücklich in eine Mitschülerin verliebt, er muss auf Reisen gehen, erfährt, was Freundschaft ist. Am Ende hat bei ihm ein Reifeprozess eingesetzt. Die anderen Elemente des Romans wollte ich nur anreißen, die sollten nicht auserzählt werden.“ Sein Film hält sich in den ersten zwei Dritteln relativ dicht an die Vorlage, um gegen Ende einen etwas anderen Zuschnitt zu bekommen. Es gibt Szenen in der Schule, die Vorstellung von Tschick in der Klasse, kurze Auftritte von Maiks Vater und Mutter, die Annäherung der Jungs. Beide sind am letzten Schultag vor den Ferien nicht eingeladen worden auf eine Party von Maiks Angebeteter, auf der sonst alle sind – und sie machen hier ihren ersten großen Aufschlag. Maik überreicht ein Geschenk, eine Zeichnung des Mädchens, und sofort machen sie sich mit dem von Tschick geklauten Lada wieder von dannen, mit Kickstart und 180-Grad-Wendung. Danach soll es in die Walachei gehen, wo Tschicks Familie herkommt und die eben nicht nur ein Wort ist wie Dingenskirchen. Weiter als bis Brandenburg aber schaffen sie es nicht. Sie landen bei der Öko-Familie zum Essen, schauen beim Campen in die Sterne, lernen Isa auf der Müllhalde kennen, als sie Benzinschläuche suchen. Viele Szenen gerade „on the road“ erinnern an New-Wave-Filme der achtziger Jahre mit ihren starken Farbkontrasten: der blaue Lada im grünen Maisfeld, vor knallgelbem Raps oder auf einer Wiese inmitten von Kühen, Tschicks bunte Hemden, Maiks grüne Converse. Ganz schön, zart und ergreifend wiederum ist es, als Isa und Maik sich an einem Baggersee sachte annähern. Sie, die etwas Erfahrenere, im Film auch sichtbar Ältere, er der Unbedarfte, Unsichere, Schüchterne.

Die Jungs hören beim Fahren Richard Clayderman

Gerade in der Konzentration auf seine zwei Hauptfiguren im Zusammenspiel mit Isa überzeugt Akins Film. Anand Batbileg wirkt kräftig, ein wenig burschikos – und doch steckt noch der kleine Junge in ihm. Wie reif er jedoch ist, zeigt sich, als er Maik erzählt, dass er sich eigentlich mehr zu Jungen hingezogen fühlt. Und Tristan Göbel verkörpert gekonnt authentisch diesen Maik am Anfang der Pubertät, der die White Stripes hört und Beyoncé blöd findet, sich nicht wohl fühlt in seiner Haut, auch unglücklich ist: wegen des Mädchens, der Eltern, der ganzen Situation. Das Stationenhafte, das Roadmovies oft haben, wie auch Herrndorfs Roadroman, es ist hier dramaturgisch schlüssig verbunden. Akin hat auf manche Szene verzichtet, zum Teil schweren Herzens. Das göttliche, lustig-verquere Telefonat, das Maik aus dem Krankenhaus mit einem Unbekannten zur Irreführung der Krankenschwester führt, es fehlt auch ihm. „Das hatte was von ,Kill your Darling‘. Aber so ein Telefonat ist nichts Visuelles, da halte ich es mit Werner Herzog, der in seinen Filmen alles vermeidet, was mit Telefonieren zu tun hat.“

Selbstredend drin geblieben ist die „Ballade Pour Adeline“, die Clayderman-Kassette, die die Jungs im Lada finden. Dieser Einfall ließ Herrndorf beim Schreiben sich „unter den Tisch lachen“, und auch im Film haben diese Klänge etwas Grotesk-Absurdes. Mit identitätsstiftender Musik, die Helden von Gegenwartsjugendliteratur immer hören müssen, hatte Herrndorf nichts im Sinn. Fatih Akin hat sich da nicht ganz dran gehalten, in seinem Film ertönen auch K.I.Z., die Beatsteaks oder die Absoluten Beginner. „Vielleicht dreht sich der gute Herrndorf deshalb im Grabe um. Aber er fand das ja gut, wenn die Filme sich von den Vorlagen lösen. Auch die Musik gehört dazu.“

Als wir wieder draußen stehen und uns verabschieden, begegnen uns am Fahrstuhl Anand Batbileg und Tristan Göbel, auch sie sind bei der„Tschick“-Werberunde mit dabei. So wie sich Akin und seine Hauptdarsteller begrüßen, wie sie sich in die Arme fallen, wird auch ohne viele Worte offensichtlich: Alle Beteiligten hatten bei diesem Dreh viel Spaß.

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