Literaturnobelpreis für Bob Dylan: "Im Geiste bin ich bei Euch"
Bei der Nobelpreis-Zeremonie in Stockholm verliest die US-Botschafterin die Dankeswort von Bob Dylan. Juror Horace Engdahl würdigt den Literaturnobelpreisträger als großen Poeten. Und Patti Smith kämpft mit ihrer Nervosität, als sie vor den noblen Gästen einen Dylan-Song singt.
„Es tut mir leid, dass ich nicht persönlich bei euch sein kann, aber bitte wisst, dass ich auf jeden Fall im Geiste bei euch bin“, lässt der Rocksänger die Royals, Nobelpreisträger und Spitzenpolitiker wissen, die beim Nobelpreis-Bankett in Stockholm an den langen Tischen gerade Wachteln mit schwarzem Knoblauch und konservierte Waldpilze gespeist haben. „Den Literaturnobelpreis zu bekommen, ist etwas, das ich mir nie hätte vorstellen oder kommen sehen können“, heißt es in seiner kurzen Dankesrede am späten Abend weiter.
Am Nachmittag, bei der eigentlichen Preis-Zeremonie, hatte Patti Smith seine Stelle eingenommen - schon vor Bob Dylans Absage an die Nobelpreis-Akademie war sie gebeten worden, zur Verleihung des Literaturnobelpreises aufzutreten. Doch irgendetwas stimmt nicht, als sie Dylans Song "A Hard Rain's A-Gonna Fall" vor den 500 Gästen und der schwedischen Königsfamilie singen soll. Welche Last dort oben auf der Empore des Stockholmer Konzerthauses auf Patti Smiths Schultern liegt, ist sofort zu spüren. Sie bricht den Song nach der ersten Strophe ab, lächelt verlegen und sagt, sie sei zu nervös. Dann nimmt sie das Lied erneut in Angriff.
Man kann Dylans siebenminütiges Untergangsepos „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“ auch mit Goyas Radierungen aus dem napoleonischen Krieg vergleichen. Oder mit Picassos „Guernica“-Gemälde. Oder mit T.S. Eliots Gedicht „The Waste Land“. Der Schrecken seiner Tage zerfiel dem Musiker 1962, kurz vor der Kubakrise, in düstere Bilder, die er wie ein Puzzle aufwühlte und aus dem Zusammenhang riss. Das Neugeborene zwischen Wölfen liegend. Männer mit blutenden Hämmern. Eine Frau mit brennendem Körper. Am Ende der Marter findet sich eine Zeile, die sich auf Dylan selbst bezieht: „But I’ll know my song well before I start singin’“. Wegen dieses Satzes und dem, was er bedeutet, hat der Musiker den Literaturnobelpreis zugesprochen bekommen, kann man sagen.
In seiner Laudatio erinnerte Nobeljuror Horace Engdahl bei der Zeremonie die Schriftsteller, die sich darüber beklagten, dass ausgerechnet ein Songwriter die höchste Auszeichnung der literarischen Welt erhält, an die Ursprünge. In alter Zeit sei Poesie gesungen und melodisch vorgetragen worden, seien Dichter Barden und Troubadoure gewesen. "Doch Bob Dylan kehrte nicht zu den Griechen und zu den Provençals zurück." Stattdessen habe er sich der Gegenwart verschrieben. "Nicht um von Ewigkeiten zu singen, sondern um davon zu sprechen, was um uns herum los ist. Als ob das Orakel von Delphi die Abendnachrichten vorträgt."
„I’ll know my song“: In der Zeile aus "Hard Rain" geht es um mehr als den Vorsatz, fleißig zu sein. Vor allem macht der Sänger klar, dass er weiß, was er tut. Dieses Wissen um die eigenen Inspirationsquellen stellt ihn in eine lange Traditionslinie – was auch die schwedische Akademie nach ihrer Entscheidung betont hatte. Dylan selbst wies darauf im Februar 2015 hin, als er in Los Angeles von der Musiker-Hilfe MusiCare geehrt wurde. Damals hielt er eine 30-minütige Rede über sein Lebenswerk und meinte, dass es ältere Songs in dem Bemühen, sie sich einzuverleiben, nur überschrieben und fortgeschrieben habe.
Jeder andere hätte dieselben Lieder daraus gemacht, wenn er nur ebenso oft "Key To The Highway" von Big Bill Boonzy oder all die anderen Come-on-ye-Stücke gehört hätte. Seine Songs nannte er „Kriminalgeschichten“, deren Ursprünge sich bis in Shakespeares Jugend und die Berichte über Mordfälle zurückverfolgen ließen, die der englische Dichter aus der Gosse klaubte. „All diese Songs, die alten und meine eigenen, sind miteinander verbunden. Ich habe nur einen Weg gefunden, dasselbe noch einmal auf eine neue Weise zu sagen", meinte Dylan.
Dylan wollte hinter die Bilder gelangen
Erst wissen, worum es geht, dann darüber singen – so lässt sich Dylans Haltung seit den frühen sechziger Jahren zusammenfassen. In „Hard Rain“ verdichtet sich dieser Ansatz zu einem fiebrigen, hellsichtigen Protestsong, der Generationen von Songwriter geprägt hat mit seiner literarischen Collagetechnik, bei der jede Zeile, wie Dylan selbst sagt, der Anfang eines neuen Songs sei. Ein Reflex auf die Schreckensbilder in den TV-Nachrichten, die faszinierend und abstoßend zugleich an der Oberfläche einer ungeheuren Ungerechtigkeit kratzten.
Dylan wollte hinter die Bilder gelangen. Die Literatur, die er im Sinn hatte, löste sich von der Schrift und wurde zu einer auratischen Kunst. Sie verführt die Menschen, sich mit nichts weiter als ein paar Worten und ihrem Klang zu identifizieren. Oder wie Tom Waits einmal sagte: „Songs sind das beste, was man mit Luft machen kann.“
Der Nobelpreis krönt diese – nicht von Bob Dylan allein betriebene – kulturelle Umwertung. Warum der 75-jährige Musiker nicht zur Verleihung nach Stockholm reisen wollte, hat er lediglich mit anderweitigen Terminen begründet. Welche mochten das sein? Nach wie vor ist unklar, ob er vielleicht noch zu einem späteren Zeitpunkt nach Stockholm kommt, um den Preis entgegen zu nehmen. Aber Bob Dylan ist der Welt nichts schuldig. Zumal seine Songs von jeher ein kurioses Eigenleben entwickelt haben und von anderen Musikern auf eine Weise zu Hits gemacht wurden, die ihm fremd war.
Das bürdete Patti Smith nun enorm viel auf. Auch die bald 70-Jährige zählt zu denen, die Dylan sehr viel verdanken, aber man spürte ihre Hemmung, sich in diesem feierlichen Rahmen gehen zu lassen und den Ton kratzbürtig ins Energische zu treiben. Wie festgenagelt in Frack, hoch geschlossenem, steifem Kragen stand sie da. Erst allmählich baute sich in ihr der Zorn auf, der die mächtigen Zeilen über die Verheerungen von Krieg und Terror trägt. Dadurch und durch Bob Dylans poetische Bilder wird Patti Smiths Auftritt zu einem berührenden Akt. Er illustrierte, dass die von Engdahl heraufbeschworene "Schönheit" eines Songs sich nicht in den Zeilen findet, nicht einmal zwischen den Zeilen, sondern verkörpert wird.
"Götter", schloss Engdahl seine Rede, "Götter schreiben nicht, sie tanzen und singen."