Angela Schanelec im Berlinale-Wettbewerb: "Ich versuche Brüche sichtbar zu machen"
Angela Schanelecs "Ich war zuhause, aber" läuft im Wettbewerb. Im Interview spricht sie über das deutsche Kino und die Erwartungshaltung des Publikums.
Angela Schanelec, 1962, gehört zu der Gruppe von Filmemacherinnen und Filmemachern, die in den nuller Jahren bei der Kritik unter der Bezeichnung "Berliner Schule" firmierte. Ihre ruhigen, konzentrierten Filme entziehen sich allen filmischen Kategorien, ob sie nun in dem meditativen "Orly" über den Transitraum Flughafen sinniert oder in "Nachmittag" Tschechow sehr frei adaptiert. Mit ihrem siebten Langfilm "Ich war zuhause, aber" ist sie erstmals im Wettbewerb der Berlinale vertreten. Die Premiere ist am Dienstag.
Frau Schanelec, Sie haben eine Professur für narrativen Film an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Gibt es eine Lektion, die Sie den Studenten gleich zu Beginn des Semesters mitgeben?
Nein, ich höre erst mal zu. Ich versuche von den Studierenden auszugehen, wobei ich nicht verhindern kann, dass meine Haltung zum Erzählkino immer wieder durchdringt.
Ihre eigenen Filme erfordern vom Zuschauer eine ungewohnte Offenheit des Sehens. Wie vermitteln Sie das der Klasse?
Ich denke, dass sich die Studenten darauf verlassen müssen, dass es diese Offenheit gibt. Ich versuche, ihnen die Sorge zu nehmen, eine Erwartung beim Publikum nicht zu erfüllen, denn diese Sorge ist nicht produktiv. Man bringt nichts zustande, wenn man Angst hat, nicht verstanden zu werden.
Der Titel Ihres Films bezieht sich auf den Stummfilm von Yasujirō Ozu „Ich wurde geboren, aber...“. Auch bei Ozu geht es um das Verhältnis der Kinder zu einem Elternteil. Gibt es noch andere Assoziationen oder gefiel Ihnen vor allem der Klang?
Es stimmt, ich finde den Titel sehr schön, die Zurückhaltung daran und das Ausmaß an Assoziationen, das er hervorruft. Man könnte die beiden Filme in ihren Fragen an die Familie einander gegenüber stellen, aber das muss nicht sein, natürlich existieren sie unabhängig voneinander.
Bei Ozu ist die Familie noch halbwegs intakt, in ihrem Film formiert sie sich nach dem Tod des Vaters gerade wieder neu. Ist das Verhältnis der beiden Brüder zu ihrer Mutter genauso wichtig wie die Erkundung der Leerstelle, die der Vater hinterlassen hat? Warum der Vater fehlt, wird in „Ich bin zuhause, aber“ erst allmählich klar.
Ozu erzählt davon, wie die beiden Brüder verstehen, dass der Vater nicht dem Bild entspricht, das sie sich von ihm machen. Ihr Wunschbild kollidiert mit der Wirklichkeit, und die Mutter versucht zu vermitteln. In meinem Film lebt der Vater nicht mehr, er ist schon lange nicht mehr da und natürlich hat sich die Rolle der Mutter dadurch verändert. Aber sein Tod ist nicht der unmittelbare Auslöser für die Geschichte, und das möchte ich auch nicht suggerieren.
Der 13-jährige Phillip taucht zu Beginn des Films, nachdem er eine Woche verschwunden war, plötzlich wieder auf. Ist seine Rebellion gegen die Mutter und in der Schule auch ein Versuch, sich als Persönlichkeit zu finden?
Ich empfinde Phillip als sehr autonom, aber nicht im Sinne eines wilden, unberechenbaren Kindes. Er ist bei sich, er handelt, wie er handeln muss.
In Ihrem letzten Film „Der traumhafte Weg“ gehen die Menschen in die Natur. In „Ich war zuhause, aber“ kehrt Phillip aus der Natur zurück, wo er mit den Tieren im Wald gelebt hat. Esel, Hund, Rebhuhn. Meine erste Assoziation war ein Krippenspiel.
Ich hatte bei den Tieren viele Gedanken, die mir alle großes Vergnügen bereitet haben: vom Krippenspiel über die Bremer Stadtmusikanten bis hin zu Fabeln. Es entstehen in der Beschäftigung bestimmte Bilder oder Szenen, die ich dann drehe, auch wenn sie nicht einer klassischen Dramaturgie folgen. So kam dieser Anfang zustande.
Das ist ein sehr unmittelbarer Zugang zum Kino. Glauben Sie, dass das wir dieses vorbehaltlose Sehen verlernt haben?
Ja, wenn wir es irgendwann konnten, dann haben wir es verlernt. Die Erwartungen, mit denen wir in einen Film gehen, sind komplex und nicht zu verhindern, trotzdem finde ich erstaunlich, welche Kränkung man hier hervorruft, wenn man die sehr dezidierten Erwartungen an das Erzählkino nicht bedient. Für mich ist weitaus einfacher, einen Film im Ausland zu zeigen, am besten sehr weit weg. Das ist schön, aber manchmal kommt mir das auch merkwürdig vor. Wenn man deutsche Filme macht, hat man zu tun mit den Erwartungen des deutschen Publikums, aber auch mit den Erwartungen an einen deutschen Film. Dieses Land drückt einem einen, wie ich langsam verstanden habe, sehr spezifischen Stempel auf, mit dem man eben umgehen muss, aber der, sagen wir mal in Hongkong an Bedeutung verliert.
Sie haben in den neunziger Jahren zunächst als Schauspielerin am Theater gearbeitet. Warum haben Sie sich später für die Regie und das Kino entschieden?
Ich habe sehr spät, als ich schon Theater gespielt habe, das Kino überhaupt erst entdeckt und daraufhin dann angefangen, zu schreiben und über Licht nachzudenken, über Einstellungen. Der Entschluss, Filme zu machen, schien mir damals als sehr bewusste Abwendung vom Theater, aber inzwischen ist mir klar geworden, wie sehr mich das Theater beeinflusst hat. Zum Beispiel, jemanden etwas berichten zu lassen, anstatt es zu zeigen. Oder die Beschäftigung mit dem Rhythmus der Sprache, Sprache überhaupt.
In „Der traumhafte Weg“ wird kaum gesprochen, in „Ich war zuhause, aber“ dafür umso mehr, in verschiedensten Registern. Alltagssprache, eine leicht stilisierte Umgangssprache, in der Schule proben die Kinder „Hamlet“. So deutlich haben Sie sich bisher nie auf Sprechweisen des Theaters bezogen.
Ja, wie gesagt, Sprache interessiert mich sehr, und in dem Zusammenhang auch der Verzicht darauf. „Der traumhafte Weg“ ist ein sehr sprachloser Film, es gab einen bewussten Verzicht auf Dialoge, der mich sehr beschäftigt und gefordert hat, ich beraube mich ja eines Mittels und das hat dann zur Folge, dass mein Bedürfnis, Dialoge zu schreiben, sehr stark wird. Also gibt es diesmal deutlich mehr Sprache und ein von Figur zu Figur sehr unterschiedliches Vermögen, sich der Sprache zu bedienen. Die Kinder, die fast ausschließlich Verse von Shakespeare sprechen, sind da sehr weit fortgeschritten, wenn Sie so wollen.
Zu Ihren Stilmitteln gehört, dass die Darsteller ihre Dialoge monoton, fast teilnahmslos einsprechen.
Das nehme ich anders wahr. Es geht mir nicht darum, dass der Darsteller mit den Sätzen etwas macht. Ich versuche, den Darstellern Dialoge zu geben, die etwas mit ihnen machen, das ist es, was mich als Zuschauer interessiert.
Ihre Filme vermitteln oft das Gefühl, dass man ihnen beim Entstehen zusieht. Um jetzt mal nicht den Begriff des Dokumentarischen zu bemühen: Wie verleihen Sie Ihren Szenen diese Gegenwärtigkeit?
Es kommt denke ich all das zusammen, womit man eben umgeht, der Raum, die Bewegung, das Licht, der Ton, natürlich auch der Schnitt. Man sieht, was in einer Einstellung passiert, ich benutze den Schnitt nicht, um das, was wirklich in dem Moment passiert ist, zu manipulieren, sondern um Brüche oder Sprünge sichtbar zu machen. Man sieht die Person, die vor der Kamera existiert. Auch erwarte ich nicht von den Schauspielern, dass sie jemanden erfinden, der sie nicht sind.
Sie haben jetzt zum vierten Mal mit Maren Eggert gedreht. Was macht sie so besonders?
Das klingt komisch, aber ich empfinde sie als undurchsichtig und durchsichtig zugleich. Sie ist professionell und empfindlich in gleichem Maße. Und je länger ich sie kenne, desto besser verstehe ich, worum ich sie bitten kann, wie weit wir gehen können.