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Dieter Birr, bekannt als Maschine.
© dpa

Puhdys-Sänger Dieter Birr: "Ich sang Örss statt Earth“

Dieter Birr, 64, ist seit 1968 Sänger der vor allem in der DDR sehr beliebten Band Puhdys und besser bekannt unter dem Namen Maschine.

Herr Birr …

Maschine!

Also gut, Maschine, diesen Spitznamen werden Sie wohl nicht mehr loswerden, nach bald 40 Jahren als Sänger der Puhdys.
40 Jahre – nicht schlecht, was? Irgendwann kommt der Zeitpunkt, wo man aufhören muss, vielleicht, weil ich zu alt bin oder nicht mehr fit genug. Also, ich hoffe, dass dann auch der Tag kommt, an dem ich die Lust verliere, so fällt der Abschied nicht so schwer.

Sie lachen ja!
Wissen Sie, ich bin jetzt 64, und der Tag ist immer noch nicht in Sicht. Wir waren gerade auf einer Unplugged-Tour. Lauter Akustikkonzerte in kleinen Theatersälen, alle Bandmitglieder mussten neue Arrangements einstudieren, das war harte Arbeit. Aber ich will nicht klagen: Wer in unserem Alter hat denn im Osten noch einen festen Arbeitsplatz, und dann einen so außergewöhnlichen wie wir?

Im nächsten Jahr feiern die Puhdys ihren 40. Geburtstag. Exakt die Hälfte dieser Zeit haben Sie in der DDR verbracht. Wie lebt es sich mit dem Ruf einer ehemaligen Staatsband?
Was heißt hier Staatsband? Die Puhdys waren schon immer eine Rockband und keine Staatsband, aber wir waren und sind noch immer politisch interessierte Menschen. Als wir das erste Mal im Fernsehen aufgetreten sind, musste ich meine langen Haare hochstecken, und Quaster …

… Gitarrist Dieter Hertrampf …
… der musste sich von seinem Bart trennen. Na, da haben wir uns einen Spaß gemacht. Quaster saß auf der Bühne, wir haben ihn rasiert und dazu gesungen: „Wasser ist zum Waschen da, walleri und wallera.“ So ein Blödsinn, Karl Marx hatte doch auch einen Bart, und was für einen!

Später haben Sie das offizielle Lied für die Weltfestspiele der Jugend in Ost-Berlin geschrieben.
Das ist nicht ganz richtig. Ja, wir haben ein Lied geschrieben, „Vorn ist das Licht“. Aber damals haben alle Bands Lieder für die Weltfestspiele geschrieben. Unseres hat den Leuten offensichtlich so gut gefallen, dass es alle Nase lang gespielt wurde. Irgendwann hatten wir dann den Ruf weg als offizielle Festspielband, aber das waren wir nicht.

Sie waren mit weltweit fast 20 Millionen verkauften Tonträgern ein erfolgreicher Exportartikel und haben der DDR auch einiges an Devisen eingebracht. Kannten Sie das Staatsratsgebäude wirklich nur von außen?
Das Haus, wo Honecker früher saß? Doch, da waren wir drin. Aber nicht bei Honecker, sondern bei Schröder, der hat sich ja sehr gerne mit Künstlern umgeben. Mit Schröder konnten wir gut, er hat uns zu seinem 60. Geburtstag eingeladen, zusammen mit Westernhagen und den Prinzen, Putin war auch da. Ich glaube, Schröder hat uns sogar geduzt, aber wir haben Sie gesagt. Er wollte sogar zu unserem 30. Bühnenjubiläum in die Waldbühne kommen, aber da ist ihm was dazwischengekommen. Immerhin hat er per Videobotschaft gratuliert.

Haben Sie auch mal bei Honecker, Krenz oder Mielke zum Geburtstag aufgespielt?
Die ostdeutschen Staatsmenschen standen nicht so auf uns, das waren ältere Leute, denen war Rockmusik zu laut. Honecker und so waren mehr auf der Seite von Veronika Fischer. Die hatte noch keinen Nummer-eins-Hit, da war sie schon auf dem Titelbild der Fernsehzeitung „FF dabei“. Bei uns hat das eine Weile gedauert, aber dann haben die Herrschaften uns den Nationalpreis gegeben.

Promo in den USA

Die Puhdys haben dieses Jahr den Echo für ihr Lebenswerk erhalten.
Die Puhdys haben dieses Jahr den Echo für ihr Lebenswerk erhalten.
© dpa

Die Puhdys waren Reisekader und durften zu großen Rockkonzerten in den Westen.
Später, als wir richtig Erfolg hatten. Aber immer allein, nie in Begleitung der Frauen. Und zu allen Konzerten durften wir nicht: Wir wollten unbedingt die Rolling Stones sehen, aber da war nichts zu machen. Die waren ja fast Staatsfeinde, die wurden nicht im Radio gespielt. Also haben wir die Apparatschiks ausgetrickst.

Wie das?
Seit Ende der 70er Jahre durften wir ja auch im Westen auftreten, wir hatten dafür einen eigenen West-Manager. Dem haben wir 1982, bei der großen Stones-Tour, gesagt: Mach irgendeinen Auftritt für uns klar, ganz egal wo, wir brauchen auch keine Gage, es muss nur in der Nähe von einem Stones-Konzert sein. Wir haben also unseren Auftritt bekommen, in einem ganz kleinen Club, da sind vielleicht 100 Leute gewesen, und wir sind gleich danach ins Auto gesprungen und ewig weit nach Hannover gefahren.

Hat es sich gelohnt?
Na ja. Das war ein Nachmittagskonzert, nach dem Vorprogramm haben wir draußen noch ein Bier getrunken, und plötzlich hören wir die ersten Akkorde von „Under My Thumb“. Die Stones haben tatsächlich eine halbe Stunde zu früh angefangen, wo gibt’s denn so was? Der Sound war unglaublich schlecht, andauernd fiel die Anlage aus. Jagger war entsprechend schlecht drauf.

Im Vorprogramm ist damals Peter Maffay aufgetreten.
Ich kann mir denken, worauf Ihr hinaus wollt. Wäre schon eine Riesensache, mal mit den Stones aufzutreten, vielleicht in Berlin oder Leipzig, mein ewiger Traum ist ja ein gemeinsames Konzert in Peking. Ha, das wär was! Die Wirklichkeit aber sieht wohl so aus, dass die Stones uns gar nicht kennen. Aber Chuck Berry haben wir mal getroffen, bei einem Konzert in Finnland. Wir hatten eine Platte mit alten Rock-’n’-Roll-Stücken gemacht, dafür brauchten wir unbedingt den Text von Chucks Song „Brown Eyed Handsome Man“. An so was ist man im Osten ja nicht rangekommen.

Wie dürfen wir uns das vorstellen? Chuck Berry sitzt an einer finnischen Hotelbar …
… und unser Pianist hat ihn einfach angesprochen. Der war auch ganz freundlich, aber er hat den Text nicht mehr ganz zusammenbekommen. Vielleicht hatte er auch keine Lust. Also, wenn ich einem Ausländer in einer Bar einen Text buchstabieren müsste, in einer Sprache, die der kaum versteht … Hat doch keiner von uns Englisch in der Schule gelernt.

Sie haben trotzdem eine englische Platte produziert, „Far from Home“.
Ja, das war lustig. Ende der 70er Jahre hatte unser West-Manager den Flitz, mit uns ins internationale Geschäft einzusteigen. Wir sind also nach London ins Studio und haben dort ein paar unserer Songs auf Englisch eingespielt.

„Doch die Gitter schweigen“ hieß „Prison Walls are Silent“ …
… das ging ja noch. Das Schwerste war eine Zeile in „Bis ans Ende der Welt“, „till the end oft the earth“. Ganz kompliziertes Tie-Äitsch! Da war ein kleines Mädchen mit im Studio, vielleicht vier oder fünf Jahre alt, die hat uns immer vorgesprochen: „Earth!“, und wir: „Örss“. Die hat geschimpft mit uns: „No, no, earth!“ Irgendwie haben wir es dann geschafft.

Die Platte kann man heute noch kaufen.
Wirklich? Muss ich mir unbedingt mal wieder anhören. Damals war sie leider kein großer Erfolg. Das heißt: Im Osten ging sie schon ganz gut, da waren die Leute froh, wenn sie mal was Englisches hören konnten. Aber eigentlich war es ja ein Projekt für das westliche Ausland. Aber dafür war die Platte wohl auch nicht gut genug. Und wer hat sich in England oder Amerika schon für die Puhdys interessiert? Da hätte man ein bisschen was in Promotion investieren müssen, und dafür war natürlich kein Geld da.

1981 haben Sie doch eine Promotour durch die USA gemacht.
Die Reise war ein Geschenk unserer Plattenfirma, damit wir mal nach Amerika kommen. Wir haben kein einziges Konzert gegeben, keine einzige Pressekonferenz. Wir waren als Touristen in New York, San Francisco und Los Angeles. Unser West- Manager hat sogar ein paar Platten verkauft.

Wie sind Sie denn sonst so im westlichen Ausland angekommen?
Gut. Im Westen waren die Fans ja noch viel euphorischer als im Osten, da haben die Leute stundenlang angestanden, die Tickets waren viel teurer als bei uns. Wer im Westen in ein Konzert gegangen ist, dem war das richtig wichtig. Wir haben auch mal vor 120 000 Leuten in Lissabon gespielt, da waren wir aus irgendwelchen Gründen der Hauptact.

Mit portugiesischer Ansage?
Nee. Ich habe gerufen: Hallo Lissabon! Dann haben wir dieselben Sachen gespielt wie in der DDR, und das Publikum war begeistert.

Und in den sozialistischen Bruderstaaten?
In Leningrad haben wir mal 15 Konzerte hintereinander gegeben, immer vor 15 000 Leuten. Aber das war keine große Kunst. Im Osten waren die Säle immer voll. Das war für uns selbstverständlich, darüber haben wir gar nicht nachgedacht.

Wo blieb der Kick?
Bei Auslandsauftritten hat uns immer nur eins interessiert: Wie gut ist die Anlage? Wir haben unsere ganze Gage für Equipment ausgegeben, für Verstärker, Gitarren und so. Und natürlich für Klamotten. Einmal habe ich aus Moskau sogar einen Bootsmotor mitgebracht. Ich habe das Ding also durch ganz Russland im Flugzeug mit rumgeschleppt, fand keiner was dabei. Aber beim Zoll in Schönefeld haben sie mich rausgewinkt.

Womit das Geschäft gestorben war.
Nein. Ein paar Wochen später hat mich einer vom Zoll angerufen, ich solle doch mal meinen Motor abholen Ich hab ihn bei meinen Eltern in der Laube abgestellt, da hat er ein paar Jahre gelegen. Irgendeiner hat den Motor später sogar gekauft.

Die Sache mit BAP

Dieter Birr, bekannt als Maschine.
Dieter Birr, bekannt als Maschine.
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Gab es Kontakte zu westdeutschen Bands?
1984 sollten wir mit BAP bei „Rock für den Frieden“ im Palast der Republik spielen. Aber das ist ja nicht zustande gekommen.

BAP sollte auf einen politischen Song verzichten. Darauf sagte die Band das Konzert ab, um ein Zeichen gegen die Zensur zu setzen.
Was für ein Zeichen? Die wussten doch, was in der DDR los war. Wenn ich in eine Diktatur fahre, dann lasse ich mich darauf ein, dann spiele ich nicht für die Diktatoren, sondern für die Fans. Ich fand die Absage von BAP ziemlich daneben.

Sie sind eingesprungen und haben die Veranstalter vor einem Debakel bewahrt.
Das war eine schwere Probe. Wir standen in dieser Zeit auf dem Gipfel unserer Popularität. Ich habe mir gesagt: Wir sind sowieso nur Ersatz, und wenn die uns auspfeifen – na und? Das hat in uns Kraft und Energie freigesetzt, wir haben uns gesagt: Jetzt erst recht.

Wie hat das Publikum auf die Absage reagiert?
Die Leute waren natürlich sauer, die hatten die halbe Nacht angestanden. Damals war es so, dass im Osten alle West-Künstler gefeiert wurden, egal, was sie zusammengespielt haben. Dann kommt der Ansager auf die Bühne und sagt, mit BAP wird das heute leider nichts. Wir sind also raus auf die Bühne, beim ersten Song haben ein paar gepfiffen, beim zweiten kaum noch einer, und danach hatten wir sie! Und ich hatte es gewusst, du hast heute die Kraft, ein Publikum auf deine Seite zu ziehen, das dich gar nicht hören will. Nach dem Konzert kam ein Fan auf die Bühne, er hat mich umarmt und gesagt: Ihr seid tausendmal besser als BAP! Auf einmal waren wir gleichwertig mit einer West-Band.

Haben Sie BAP-Chef Wolfgang Niedecken mal drauf angesprochen?
Nach der Wende. Ich hatte gehört, dass er hintenrum so ein paar blöde Sachen über uns gesagt hat, von wegen alle DDR-Bands sind eh Scheiße und dass er die Musik im Osten nie zur Kenntnis genommen hat. Wolfgang, habe ich gesagt, ihr in eurer Demokratie hattet gut reden! Weißt du, was bei uns los war? Hättet ihr doch die Songs gespielt, die ihr angeblich nicht spielen durftet! Glaubst du, die hätten euch erschossen?

Auch die Rolling Stones haben sich bei ihrer Chinatour der Zensur gebeugt. Songs wie „Brown Sugar“ und „Let’s Spend the Night Together“ galten den Kulturbürokraten als sexuell anstößig.
Was soll ich dazu sagen? Also, da waren manche Künstler in der DDR mutiger. City hatte mal bei einem Konzert mit Bryan Adams in Weißensee die Auflage, ein bestimmtes Lied nicht zu spielen. Also gut, hat Tony Krahl gesagt ...

… der Bandleader …
… liebes Publikum, wir dürfen dieses Lied leider nicht spielen, deswegen lese ich euch den Text jetzt vor, ganz ohne Musik. Gut, was?

Hatten die Puhdys auch einen politisch unkorrekten Text im Angebot?
Ja. „Ich will nicht vergessen“, ein Lied, in dem unverzeihlicherweise das Wort Deutschland vorkam. Das war ja offiziell tabu. Das Lied dufte zwar nicht im Fernsehen gespielt werden, und es kam auch nicht in die Hitparaden. Aber wir haben es auf die Platte bekommen.

Und auf Konzerten gespielt?
Na klar! Eine Zeit lang haben wir damit sogar angefangen. Einmal haben wir vor irgendeinem Wachregiment gespielt, da kam der Chefsoldat auf mich zu und hat gefragt, ob wir auf diesen einen Song nicht verzichten könnten. Tut mir leid, hab ich dem Mann gesagt, aber wir haben unser festes Programm, das ist unser Anfangstitel, der muss sein.

Ihr größter Erfolg der Nachwendezeit ist ein Song für ein Ost-Berliner Eishockeyteam.
„Hey, wir woll’n die Eisbären seh’n!“ Davon gibt es so viele Raubkopien in so vielen Sprachen, dass ich den Überblick verloren habe. Sogar Borussia Dortmund hat mal angefrag t, aber das wäre nicht fair gewesen gegenüber den Eisbären.

Gibt es etwas, das Ihnen nach 40 Jahren im Rückblick unangenehm ist?
Hmm, eigentlich stehe ich zu allem, was wir gemacht haben, mal abgesehen von einem Song: Jodelkuh Lotte.

Kleine Textprobe: „Stand eine Kuh mit weißem Band plötzlich im Verkehr. Und lief und lief und lief und stürzte hin und her. Nanu, wo ist die Kuh her, das Vieh macht den Verkehr schwer? Holt doch endlich, holt doch endlich mal die Polizei!“
Total peinlich, obwohl ich zugeben muss, dass wir damals alle dahinterstanden. Später haben wir gesagt: Das war der erste Punksong der DDR.

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