Die Geschichte: Ganz junge Pioniere: Hip-Hop in der DDR
Olaf Kretschmann und Marco Birkner haben 1989 die einzige englischsprachige Hip-Hop-Platte der DDR veröffentlicht – unter dem Namen Electric Beat Crew. Hier erzählen sie ihre Geschichte.
Als Beat Crew stehen die beiden 40-Jährigen schon lange nicht mehr auf der Bühne. Marco Birkner betreibt heute das P1-Tonstudio in der Nalepastraße in Berlin-Köpenick. Olaf Kretschmann ist Inhaber einer Werbeagentur, ebenfalls in Berlin. Für den Tagesspiegel haben sie sich noch mal ihrer musikalischen Anfänge erinnert.
OLAF KRETSCHMANN: Es war an einem Samstagvormittag im April 1983. Ich war 13 Jahre alt, kam von der Schule in Schulzendorf nach Hause, schaltete den Fernseher ein und sah im ZDF zufällig die Dokumentation „Wild Style“. Es ging um die aufkeimende Hip-Hop-Szene in New York. Zum ersten Mal sah ich Breakdancer, Schwarze, die roboterähnliche Bewegungen tanzten, sich auf dem Kopf im Kreis drehten – und über Beats rappten. Ich war total begeistert.
MARCO BIRKNER: „Wild Style“ habe ich verpasst. Wir wohnten zwar im selben Ort, waren seit Jahren gut befreundet, lebten aber vier Kilometer entfernt. Beide Familien hatten kein Telefon, wir konnten uns nicht so schnell austauschen. Ich erinnere mich, dass ich auf die Gruppe Kraftwerk stark reagierte. Mich beeindruckten die Beats und der mit Computer verfremdete Gesang. Solche Musik nahm ich zu Hause mit meinem Kassettenrekorder auf. Mein erstes Gerät hieß „Anette“, das Modell kostete damals 700 Ostmark.
OK: In einer Sendung mit Blacky Fuchsberger sah ich einen Tänzer, der Breakdance-Bewegungen vorführte. Das wollte ich auch können – und habe vor dem Spiegel geübt. Einmal nahm ich heimlich den West-Rekorder meiner Eltern, fuhr nachmittags mit der S-Bahn zum Alex, stellte mich auf die Freitreppe hinter dem Fernsehturm und tanzte Breakdance. Ich trug einen dunkelblauen Jogginganzug, dazu ein Basecap, das meine Mutter von einer Dienstreise mitgebracht hatte – darauf stand: Tip Top. War zwar eine Firma für Fahrradflickzeug, klang aber wie Hip-Hop. Natürlich führte mich die Transportpolizei nach ein paar Minuten ab. Es war in der DDR verboten, ohne Genehmigung aufzutreten, egal wo. Die Polizisten nahmen mich aufs Revier mit, fragten mich aus, woher ich komme, wem der Rekorder gehörte und ob ich genügend Geld für die Rückfahrt hätte. Die verstanden überhaupt nicht, was ich da machte.
MB: Wichtig war für uns noch der Film „Beat Street“. Er kam 1985 in die Kinos der DDR.
OK: Die offizielle Begründung lautete, man wolle das Elend der Bronx zeigen. Alles was wir gesehen haben, waren die Plattenspieler und die geilen Turnschuhe. Aber danach war mir klar, dass ich auch solche Musik machen wollte. Meine Eltern besaßen ein zweispuriges Tonbandgerät – auf der einen Mono-Spur konnte ich Gesang aufnehmen, auf der anderen Musik. Ich schnitt einfach Instrumentalpassagen aneinander. Darüber rappte ich auf Englisch, ohne die Sprache richtig gut zu beherrschen. Ich sang einfach nach, kümmerte mich nicht um Aussprache und Grammatik. Die Sprache war ein Klangbild für mich, darauf kam es an.
MB: Mich interessierten technische Sachen. Wie wird ein Track gemacht? Wie kann ich das nachspielen? Dafür brauchte ich ein Keyboard. Bei einem Schulfreund entdeckte ich einen West-Katalog für Musikinstrumente mit Bezugsadressen. Ein Laden war in der West-Berliner Hauptstraße. Mit einem Ost-Berliner Anschluss konnte man nach West-Berlin telefonieren. Der nächstgelegene Ort, Eichwalde, lag bereits im Berliner Einwahlnetz – also ging ich nach der Schule in eine öffentliche Telefonzelle, um anzurufen. Das Keyboard, für das ich mich entschied, kostete 990 DM – fast 500 Euro und damals unglaublich viel Geld. Mein Opa schnorrte eine Tante in West-Berlin an, mir 500 DM zu geben, ich arbeitete den ganzen Sommer lang, meine Eltern gaben mir noch Geld – und am Ende tauschte ich auf dem Schwarzmarkt 4000 Ostmark gegen die fehlenden 500 DM. Mein Opa schmuggelte das Geld im Strumpf über die Grenze. Das Keyboard musste er aber mit der Post zu mir nach Schulzendorf schicken, an der Grenze hätten sie es ihm abgenommen. Wenn man ein Paket als Geschenksendung deklarierte, ging das irgendwie. Es dauerte allerdings zwei Wochen, bis das Paket eintraf.
Der erste Hit
OK: Samstagnachmittags saß ich bei Marco, spielte ihm Tracks vor und sagte: Hör dir mal die Grooves an. Dann versuchte Marco ähnliche Rhythmen auf dem Keyboard zu spielen. So entstand unser Hit „Here We Come“. Die Bass-Linie ist vom Track „Jam On It“ von Newcleus, nur einen Tick anders gespielt, die Anfangssequenz von Kid Frosts „Terminator“ – und das Rapping sollte an Grandmaster Flashs „The Message“ erinnern. Wir wollten nicht klauen, wir fanden die Sounds nur so geil.
MB: Es war typisch für die DDR, sich eine eigene Welt aufzubauen, einen kleinen Freiraum unabhängig von der FDJ. Wir tüftelten im Jugendzimmer herum, manchmal kamen meine Eltern herein und fanden das ganz niedlich. Mein Vater arbeitete als Toningenieur beim Fernsehen – und spielte der Jugendredakteurin einmal einen Track von uns vor.
OK: Und Ende 1987 lud man sie ins Wohnzimmer von Marcos Eltern, wo wir vorspielen mussten. Die Situation war eigenartig: Wir bereiteten uns im Kinderzimmer vor, luden die Musik-Daten von einer Kassette in den Computer ein, die Erwachsenen saßen auf der Couch im Wohnzimmer und riefen irgendwann: So, ihr dürft jetzt kommen! Und dann musste ich vor Marcos Eltern und den anderen mit meinem Basecap rappen. Nach zwei Liedern wurden wir frenetisch gefeiert, verschwanden aber wieder schnell aus dem Wohnzimmer.
MB: Ich weiß noch, kurz zuvor suchten wir den Namen aus. Olaf wollte, dass wir uns Electric Beat Force nannten, aber das war mir zu heikel. Das klang nach Air Force, zu aggressiv.
OK: Wir arbeiteten weiter an Titeln, immer am Wochenende, Marco ging ja noch an die Oberschule in Königs Wusterhausen, ich lernte in Lichtenberg. Unser Ziel war, mit der Electric Beat Crew aufzutreten. Dafür brauchten wir eine Einstufung als Künstler.
MB: Wir bewarben uns im Kreiskulturkabinett. Es gab grundsätzlich zwei Arten von Musikern: Amateure und Profis. Die Profis studierten Musik, sie bekamen ihren Schein nach dem Diplom. Als Amateur konnte man eine Grund-, Mittel-, Ober-, Sonder- und Sonderstufe mit Konzertberechtigung erhalten. Zweimal im Jahr tagte im Kulturhaus Königs Wusterhausen die Einstufungskommission und sah sich die Bewerber an. Das war wie ein kleines Festival, nur ohne Zuschauer. Wir spürten, dass die Einstufer unsere Musik nicht verstanden. Aber wir brauchten den Wisch, um Gigs zu spielen.
OK: Auf der Veranstaltung traten neben uns Bauchredner und Puppenspieler auf. Am Ende kam eine Frau aus dem fünfköpfigen Gremium zu mir und sagte: Ich möchte Ihnen noch einen guten Tipp geben: Singen Sie auf Deutsch! Unsere Registrierkarte für Tanzkapellen bekamen wir trotzdem. Kurz darauf, im Frühling 1988, traten wir zum ersten Mal auf, in einem kleinen Club an der Französischen Straße. Es waren nur 13 Leute da, aber es war aufregend.
Auftritt im DDR-Fernsehen
MB: Eines Tages überraschte uns mein Vater mit der Nachricht, dass wir im Jugendmagazin „Klik“ im Fernsehen auftreten durften. Der Redakteurin hatte unser Gig im Wohnzimmer gefallen. Wir fuhren zur Aufzeichnung nach Waren in einen Jugendklub. Die Sendung griff über 45 Minuten Fragen des Lifestyles auf, zwei Bands traten dazu auf. Kurz vor dem Auftritt fiel der zuständigen Redakteurin plötzlich auf, dass wir Englisch sangen. Das gab es vorher noch nie in der Sendung.
OK: Ich musste den Text schnell übersetzen, um den Fernsehredakteuren zu versichern, dass ich keine systemfeindlichen Botschaften propagierte. Auf der Bühne trug ich eine Art großen schwarzen amerikanischen Predigerhut, eine riesige Plastik-Sonnenbrille und ein Jackett. Marco trug auch eine Sonnenbrille und einen Jogginganzug. Die Leute müssen gedacht haben, wir kommen von einem anderen Planeten. Als die Sendung im November 1988 im Fernsehen lief, wurde unsere Adresse eingeblendet. Pro Tag erreichten uns danach 200 Briefe, manche mit falschen Adressen wie Elektronik Bio Cool. Wir kriegten Autogrammwünsche, einige kapierten einfach nicht, dass wir aus dem Osten waren, andere wollten wissen, wo man die Musik kaufen kann.
MB: Plötzlich trat sogar Amiga an uns heran, das DDR-Plattenlabel.
OK: Die sahen uns im Fernsehen – und legten dann fest: Mit denen machen wir eine EP, eine so genannte Quartettsingle mit vier Titeln. Wir wurden gar nicht gefragt. Eines Tages kam ein Brief, in dem stand: Wir hätten gerne vier Titel von euch. Leider hatten wir nur zwei auf Band, die Amiga stellte uns aber weder Studio noch Geld für die Produktion zur Verfügung. So beschlossen wir, zwei Stücke zuhause bei Marco aufzunehmen.
MB: Im Tonstudio Schulzendorf, so steht es auf der Platte. In Ermangelung des Studios habe ich meinen Kleiderschrank ausgeräumt, mit Decken ausgelegt und Olaf hat sich hineingestellt. Nach zwei Aufnahmen musste er raus, um Luft zu schnappen. Aber wir haben es tatsächlich geschafft. Anfang 1989 haben wir die Bänder abgegeben.
OK: Einmal ging ich zu Amiga. Ich wollte mit den Grafikern über unser Cover reden. Die Büros befanden sich direkt an der Mauer, gegenüber dem Reichstag, heute sitzt in dem Gebäude der Bundestagspräsident. Wir brauchten einen Passierschein, um hineinzukommen. Von den Fenstern im ersten Stock sahen wir plötzlich auf die Mauer und den Reichstag dahinter. Ich dachte: Wenn ich hier arbeiten würde, würde ich die Krise kriegen, ich würde jeden Tag daran denken, wie ich jetzt auf die andere Seite komme. Natürlich lachten die mich aus, weil ich unser Cover beeinflussen wollte.
MB: Wir wussten nicht einmal, an welchem Tag die Platte herauskam. Amiga ging davon aus, sie tun uns etwas Gutes – was auch stimmte. Wir haben 850 Mark als Einmalzahlung bekommen, ohne einen richtigen Vertrag. Die Verkaufszahlen spielten keine Rolle. Amiga durfte nur eine bestimmte Anzahl von Platten produzieren pro Künstler – mehr war im Plan nicht vorgesehen. Insgesamt wurden 10 000 gepresst, die Platte war schnell ausverkauft.
OK: Ich fuhr einmal pro Woche in den Plattenladen nach Eichwalde, um zu sehen, ob die Platte im Regal stand. Als sie endlich kam, erhielt ich ein Exemplar. Mehr ging nicht, der Laden hatte nur zwei bekommen. Danach begannen die Diskotheken, uns rauf und runter zu spielen. „Here We Come“ und „Go Go“ legten die Discjockeys gerne auf, weil sie gezwungen waren, 60 Prozent an DDR-Titeln zu spielen – und da war ihnen ein Lied, das international klang, natürlich lieber. Trotzdem erkannte uns nie jemand, wir existierten in der offiziellen Musikpresse gar nicht.
MB: Die etablierte Rockszene war nicht unser Ding. Musik wie in der DDR gab es nirgendwo sonst auf der Welt – so ein Rockpop mit schwülstigen Texten. Wir fanden das schrecklich, weil es nichts mit unserem Lebensgefühl zu tun hatte. Eines unserer besten Konzerte war unsere letzte Einstufung im „Haus der Jungen Talente“. Als wir an der Reihe waren, füllte sich der Saal plötzlich mit Fans. OK: Weil ich davor Plakate geklebt hatte – natürlich illegal. Das war am 12. Oktober 1989, einen Tag bevor Erich Honecker zurücktrat. Damals merkte man richtig, wie die Stadt brodelte.
MB: Wir traten auch am 7. Oktober auf, am Tag des Republik-Geburtstags. Von der Schönhauser Allee fuhren wir mit dem Trabant nach Adlershof – und am Alex kamen wir in eine Demonstration zwischen Polizei und Bürgerrechtlern. Zum ersten Mal sah ich LKWs, die vorne Metallschieber hatten und Menschen zusammenscheuchten. Es sah extrem bedrohlich aus. Die ganze Zeit sah man im Fernsehen die Menschen, die es in den Westen geschafft hatten. Täglich war ich frustriert, aber es war trotzdem schön, dass man mit der Musik Erfolg hatte. Weil ich wusste, mit dem Ostmuff der DDR hatte das nichts zu tun. Dann ging am 9. November die Mauer auf. Ich war an der Sonnenallee dabei. Es war ein unfassbarer Moment, als die Schranke hochging. Ich wollte sofort zu dem Laden in der Hauptstraße, in dem mein Opa das Keyboard gekauft hatte.
OK: Ich ging zu Pinky Records nach Steglitz – ein kleiner Spezialistenladen. Und da habe ich gemerkt, wie teuer eine Hip-Hop-Maxi sein kann. Und welchen Wert Musik hat.
MB: Nach der Wende meldete sich auch Amiga wieder. Uns wurde ein Budget für ein Album zugestanden. Der Etat belief sich auf 20.000 Ostmark für Produktion, Rechte und Verkauf. Diesmal rappte Olaf im Bad und nicht im Schrank.
OK: Ohne, dass wir etwas taten, erhielten wir die Chance, im Westfernsehen aufzutreten. „Formel Eins“ drehte mit uns in einer U-Bahn-Station im Osten, für die „ZDF Hitparade“ fuhren wir Anfang 1990 in die Studios der Berliner Unionfilm. Zur selben Zeit gaben wir die Masterbänder für das Album ab. Kurzzeitig kam die Vinylplatte im Frühjahr in den Handel, aber irgendwie schien das Interesse nachzulassen.
MB: Die DDR-Bürger hatten auf einmal andere Sorgen. Ich bekam ja auch jeden Tag Kopfschmerzen, weil so viele neue Eindrücke auf mich einbrachen.
OK: Und dann wurde mein Sohn geboren. Dadurch veränderte sich alles für mich. Ich kann gar nicht exakt sagen, wann unser letzter Auftritt war – ich schätze, Ende 1990.
MB: Die Crew war für uns eine Nische in der Jugendkulturwüste DDR. Sie war ein Ventil. Nach 1990 haben sich die Prioritäten verschoben – und so zogen wir uns langsam aus der Öffentlichkeit zurück.
Bandinformationen: www.electric- beat-crew.de.