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Rudel und Trubel. Szene aus „A Song to ...“ von Mia Habib.
©  Yaniv Cohen

Tanz im August Finale: Ich möchte Teil einer Tanzbewegung sein

Von Club Ästhetik bis Queer-Aktivismus: Das Festival Tanz im August überzeugte mit starken Performern und politischen Statements.

Ein Mann allein auf leerer Bühne. Mit schmalem Körper und dunklen Augen schlägt Mithkal Alzghair die Zuschauer gleich in den Bann. Der syrische Choreograf verarbeitet in „Displacement“ seine eigenen Erfahrungen von Flucht und Exil. Das Stück ist karg und hart. Alzghair gelingt es, nur durch den Körper von Entwurzelung und Heimatlosigkeit zu erzählen. Er zeigt einen Mann, dem der Boden unter den Füßen entzogen wird, dessen Bewegungsmöglichkeiten immer mehr eingeschränkt werden. Einen Mann, der langsam zu verlöschen scheint, der sich aber mit letzten Kräften weiterschleppt. Alzghair seziert hier den syrischen Folkloretanz. Am Ende stehen drei Männer auf der Bühne. Sie tanzen zusammen, geben sich Halt, bis es sie in unterschiedliche Richtungen verschlägt.

Mit seiner aufwühlenden Performance bescherte Mithkal Alzghair dem Tanz im August ein fulminantes Finale. Es war ein Festival mit starken Performern und starken politischen Statements. Nicht jede Aufführung vermochte restlos zu überzeugen, es gab Enttäuschungen – aber auch viele Entdeckungen. Die finnische Kuratorin Virve Sutinen sorgt mit ihrem undogmatischen Geist für frischen Wind. Dass ihr Vertrag bis 2019 verlängert wurde, ist ein Glücksfall für Berlin. Das Festival war diesmal stil- und altersübergreifend und brachte verschiedene Szenen zusammen. Hip-Hop war ebenso vertreten wie die Club-Ästhetik von Queer-Aktivisten. Gleich zum Start begeisterte Silvia Calderoni mit der furiosen Gender-Performance „MDLSX“. Das Solo ist von Jeffrey Eugenides Roman „Middlesex“ inspiriert und verbindet Fiktives und Persönliches, Theorie und DJ-ing. Faszinierend, wie die androgyne Italienerin Geschlechtergrenzen verwischt. Mann oder Frau, am Ende stellt sich diese Frage gar nicht mehr.

Gay Disco und Voguing

Schwarz und queer: Die Choreografen und Aktivisten niv Acosta und Jaamil Olawale Kosoko verquicken offensiv politische und sexuelle Themen und spielen mit Elementen von Gay Disco und Voguing. Beide beziehen sich auf die „Black Lives Matter“-Bewegung. Sie wollen die weißen Zuschauer in eine unbequeme Position rücken: Die Europäer sollen sich selber dabei zusehen, wie sie schwarze Körper anschauen. So offensiv der Diskurs über Rassismus hier geführt wird – künstlerisch sind die Arbeiten eher schwach.

Kyle Abraham feiert in „Pavement“ die afroamerikanische Kultur, aber auch die Brutalität des Ghettolebens. Anfangs sieht man, wie ein Weißer einen Schwarzen zu Boden drückt und ihm die Arme auf den Rücken dreht. Starkes Bild, das an die Polizeigewalt gegen schwarze Männer erinnert. „Pavement“ ist ein Mix aus Hip-Hop und Ballett, getanzt wird schon mal zu Barockklängen. Am Ende ist es ein bisschen zu ballettverliebt, aber die Tänzer sind fantastisch.

Demokratisierung des Tanzes

Die Frage nach der Gemeinschaft zog sich durch das Festival. Yoann Bourgeois zeigt in „Celui qui tombe“ ein Kollektiv auf der Kippe. Die riskante Performance, die an Sisyphos denken lässt, ist eine aufregende Kombination aus Tanz und Nouveau Cirque. Das fabelhafte Cullberg Ballet aus Stockholm gastierte mit „Figure a Sea“ von Deborah Hay. Die 75-jährige Amerikanerin, prägende Figur des Postmodern Dance, löst alles festen Strukturen und Muster auf. Man sieht den Tänzern gern zu, wie sie sich scheinbar absichtslos im Raum organisieren und zu lockeren Ballungen konzentrieren, die sofort wieder in einzelne Atome zersprengen. Das Stück ist einerseits ausufernd in seiner Vielgestaltigkeit, plätschert aber auch vor sich hin. Der Geist der Siebziger ist spürbar, geht es doch auch um Demokratisierung des Tanzes. Doch als Entwurf eines Kollektivs, wo der Einzelne ganz entspannt und frei durchs Hier und Jetzt trudelt, wirkt es auch etwas harmlos.

Mia Habibs Gruppenstück „A song to ...“ besitzt da eine andere Vehemenz. Die Norwegerin, ausgebildete Konflikttrainerin, untersucht das Verhältnis von Masse und Individuum. 16 Profitänzer werden von fast 30 lokalen Akteuren verstärkt. Alter, Gewicht, Hautfarbe sind egal, alle treten nackt auf. Als Zuschauer fühlt man sich dennoch nicht als Voyeur. Die Performer muten wie Tiere an, die ein Rudel bilden. Rutschen bäuchlings über den Boden wie Robben. Oder verschmelzen zu einem Massiv aus Leibern. Habib betont das Massige des Körpers. Zeigt die verdinglichten und widerständigen Körper, die formbare Masse, den intelligenten Schwarm. Alles nicht neu, manchmal auch zu lieb. Wenn alle sich zart berühren, hat das etwas von einer Gruppentherapie. Am Ende aber spürt man die Kraft der Masse, wenn die Tänzer bei wechselnden Lichtstimmungen über die Bühne laufen und der Klang ihrer Stimmen immer mehr anschwillt. Dann möchte man auch Teil einer Bewegung sein.

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