zum Hauptinhalt
Die Berliner Musikerin Judith Holofernes
© Marco Sensche/promo

Holofernes-Album "Ich bin das Chaos": Ich Hotspot, du Foxtrott

Analog könnte auch im digitalen Zeitalter besser sein: "Ich bin das Chaos", das neue Album der Berliner Musikerin Judith Holofernes.

Genialer Reim: „Nichts ist so trist wie ein Optimist.“ Der Optimist liegt mit der Nase auf dem Asphalt und sagt, ihm sei nicht kalt. So beginnt „Der letzte Optimist“, Auftaktsong von „Ich bin das Chaos“, dem gerade erschienenen neuen Album von Judith Holofernes. Die melancholisch aufgeraute, dann übermütig kieksende Stimme wird zunächst nur von einem Klavier begleitet, dann kommen Schlagzeug, Bass, Bläser hinzu. Das bildmächtige Chanson warnt vor Selbstüberschätzung und empfiehlt Realismus: „Hinter diesen Sternen/Nichts als Satellitenschrott/Unendlichkeit und Elend.“

Der Himmel ist leer, Gott muss sich aus dem Staub gemacht haben. Am Ende hat sich der Optimist immer noch nicht aufgemacht, er sagt: „Ich bleib hier liegen.“ Judith Holofernes ist immer noch eine der besten deutschsprachigen Texterinnen. Mit ihrer Band Wir sind Helden hat die Kreuzberger Sängerin, die eigentlich Judith Holfelder-von der Tann heißt, den Zeitgeist der nuller Jahre auf den Punkt gebracht. Songs wie „Guten Tag“ oder „Denkmal“ wetterten gegen Entfremdung und Kommerz und changierten zwischen Wut und Ironie.
Doch ihr erstes Soloalbum, das 2014 herauskam, war eine Enttäuschung. Angeblich am Songwriting von Paul Simon orientiert, aber schrammelig aufgenommen, fiel „Ein leichtes Schwert“ deutlich zu leicht aus. Es klang ausgesprochen niedlich und nett, eher nach Kita als nach Konzerthalle. „Ich bin das Chaos“ könnte jetzt die Wiederauferstehung sein. Der alte Druck ist zurück, jedenfalls im Titelsong, der mit seinem zackigen Beat daran erinnert, wie Wir sind Helden in ihren besten Stücken das nervöse Flirren der Neuen Deutschen Welle reanimierten.

„Ich bin das Chaos/Hey – wo willst du hin?“, skandiert Holofernes zu rebellischen Gitarrenriffs. Später ist retrofuturistisch die Rede von Sternen, die tanzen oder „in tausend Teile“ explodieren. Die tanzenden Herzen, so hieß eine West-Berliner NDW-Band. Für den mitunter heldischen Sound sorgen die alten Bandmitglieder Jean-Michel Tourette und Holofernes’ Ehemann Pola Roy, mit dem sie zwei Kinder hat. „Ich bin das Chaos“, das scheint auch das Rezept für die Produktion der Platte gewesen zu sein. Auf Attraktionen folgen Aussetzer und Abstürze. „Oder an die Freude“ ist ein missglückter Parodieversuch, der alberne Verse in Beethovens und Schillers „Ode an die Freude“ schneidet und im Tralala-Pop endet. „Freude, schöner Götterfunken/Tochter, mach dein Physikum!“, wird da kalauernd gefordert. Zwischen Wortwitz und Wortspielhölle liegt manchmal bloß ein Takt. Die Electro-Persiflage „Analogpunk“ setzt mit verzerrten Kraftwerk-Stimmen ein, bevor sie in gitarrenlastiger Rock‘n‘Roll-Routine versackt. Schade, aber vielleicht folgerichtig für ein Lied, das analogen und digitalen Lifestyle gegeneinandersetzt: „Ich Hotspot, du Foxtrott/Ich Memo, du Demo/Ich Fire Wall, du Thor Heyerdahl/Ich Excel, du Texel.“

Produziert wurde „Ich bin das Chaos“ nicht nur von Pola Roy, sondern zudem von dem färöischen Musiker Teitur Lassen. Zu der Kooperation kam es, nachdem Holofernes Teiturs Hit „Catherine The Waitress“ auf der Bühne als „Jonathan der Kellner“ gecovert hatte und dessen Manager bei YouTube darauf aufmerksam wurde. Die Sängerin besuchte den Seelenverwandten auf den Färöern, und beide arbeiteten dort eine Woche von zehn Uhr morgens bis zwei Uhr nachts an den Songs. „Es war ein skandinavischer Songwriting-Porno“, so Judith Holofernes in einem Interview.

Auch das beherrscht sie nun: die Pianoballade, die größer und größer wird, sich zu Coldplay-artigem Stadionpathos aufschwingt. „Und jedes Radio spielt ein Hallelujah“, singt Holofernes mit gehauchter Stimme, „der Krieg ist vorbei/Zwei, drei, vier/Was machst du noch hier?“ Aufforderung zum Aufbruch.

"Ich bin das Chaos" ist erschienen bei "Däräng Dängdäng". Am 21. März tritt sie im Lido auf (ausverkauft), am 23. April spielt sie im Astra.

Zur Startseite