Abbas Khider: Die Orangen des Präsidenten
Abbas Khider, der in Deutschland lebende Iraker beschwört in seinem zweiten Roman "Die Orangen des Präsidenten" die Schrecken von Saddams Regime und erklärt warum Hoffnung und Gleichgültigkeit Leben retten können.
Ungeduldig fiebert man dem großen Ereignis entgegen: Am 28. April, Saddam Husseins Geburtstag, dem „wichtigsten Tag im Leben jedes politischen Häftlings im Irak“, ist es Tradition, dass der Präsident eine Amnestie erlässt. Doch während die Mithäftlinge schon eine Ausgelassenheit ergriffen hat, „als befänden wir uns auf einem Kreuzfahrtschiff“, beschleicht dem Erzähler die Erkenntnis, dass „unser letzter Rest an Würde“ auf dem Spiel steht: „Es gab in Gefangenschaft nichts Schlimmeres als Hoffnung, da sie die Gleichgültigkeit, die man sich wie einen Panzer übergestülpt hatte, zunichte machte und alles Leid, alle Misshandlungen einen wieder schmerzten.
“Mahdi Muhsin, der Erzähler aus Abbas Khiders Roman „Die Orangen des Präsidenten“, gerät Ende der achtziger Jahre, am letzten Tag seiner Abiturprüfungen, zufällig in die Fänge des irakischen Regimes und wird, ohne Erklärung, Anklage oder Prozess, weggesperrt. Die Welt „ausgeknipst“, findet er sich in einer unterirdischen kahlen Zelle wieder, ein Meter im Quadrat.
Für die folgenden zwei Jahre ist er der Willkür der sadistischen Wärter ausgeliefert. Permanent gedemütigt lassen Mahdi und seine Mithäftlinge die Folter über sich ergehen, flüchten sich in Wahnvorstellungen und müssen mit ansehen, wie einer nach dem anderen die Torturen nicht überlebt. Schlimmer noch als die Prügel ist der Hunger. Ausgezehrt sind sie und dürr „wie Vogelscheuchen“, so dass ihnen schon ein kalter Wasserschlauch den Todesstoß versetzen kann. Erst die amerikanischen Luftangriffe im Krieg um Kuwait 1991 bringen die Befreiung und damit die Rückkehr in eine Welt, die „überwältigend in ihrer Einfachheit“ erst wieder erlernt werden will.
In Rückblenden, die die Gefängnispassagen unterbrechen, erfahren wir aus Mahdis jungem Leben. Dessen behütete Kindheit in Babylon endet abrupt, als 1980 der Irak-Iran-Krieg beginnt. Doch bevor es existenziell wird, macht sich der Krieg in vergleichsweise banalen Änderungen bemerkbar: „Die ersten Monate waren schrecklich gewesen, weil das Fernsehen plötzlich meine Zeichentrickserien eingestellt hatte und nur noch Nachrichten von der Front, Erklärungen der Regierung, Lieder für die Soldaten und Reden des Präsidenten sendete.“ Bald muss der Vater an die Front, kurz darauf kommt er um, und die Mutter eröffnet mit der Regierungsentschädigung ein „Märtyrergemüsegeschäft“. Obendrauf gibt es einen Renault.
Mahdis Pubertät fällt in die Zeit bei den Jungpionieren. Zwischen militärischem Exerzieren, Fußballspielen und ersten Versuchen, mit dem anderen Geschlecht anzubandeln, verläuft das Leben in der alterstypischen Aufgeregtheit und bleibt zugleich austauschbar und unspektakulär: „Ich war zufrieden.“ Als im August 1988, während auf den Straßen die Massen das Ende des Irak-Iran-Krieges feiern, auch seine Mutter stirbt, zieht Mahdi zu einem Onkel ins südirakische Nasrijah, wo er Freunde findet, die ihn die Liebe zu den Tauben und zur Literatur lehren. Als er also endlich im Leben angekommen zu sein scheint, fällt er der Willkür des Regimes zum Opfer.
In seinem 2008 erschienenen Erstling „Der falsche Inder“, in gewisser Weise die vorgezogene Fortsetzung des neuen Romans, hatte Khider von der Flucht eines politisch verfolgten Irakers erzählt, die ihn rund ums Mittelmeer irren ließ um dann in einem seltsam fremden Deutschland zu enden. Es war eine lakonische Odyssee unserer Zeit, die, ganz ohne Betroffenheitspathos, mit der subversiven Leichtigkeit des Schelmenromans daherkam und dem Autor im vergangenen Jahr den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis einbrachte.
Ähnlich lakonisch und doch eine Spur ernster erzählt Abbas Khider nun von den unvorstellbaren körperlichen und seelischen Grausamkeiten in den irakischen Gefängnissen. Seine Darstellung berührt gerade durch ihre Beiläufigkeit, die sich nicht zuletzt der schützenden Distanz der verwendeten Fremdsprache verdankt. Der zurückhaltende Ton von Khider macht das „Gefühl des absoluten Ausgeliefertseins“ erahnbar und entlarvt die Unmenschlichkeit der Situation besser, als lautstarke Empörung es könnte. Was Khider zu erzählen hat, ist von einer Wirklichkeit durchdrungen, von der wir gehört haben mögen, die wir aber nicht wahr haben wollen. Seine Geschichten sind letztlich zu wahr, um schön zu sein, und dass es ihm doch immer wieder gelingt, den Schrecken zu bändigen, ohne die Dinge zu banalisieren, ist seine vielleicht größte Leistung. Das Schwere wird etwas leichter, weil aller Grausamkeit zum Trotz das Menschliche durchsickert und am Ende derart unwiderstehlich die Oberhand behauptet, dass der Roman eine seltsame Mischung aus Beklommenheit und Trost hinterlässt.
Zurück zu Saddams Geburtstag. Im Gefängnis erscheint schließlich ein hochdekorierter General, begleitet von Wärtern mit Kartons, in denen die Häftlinge ihre Entlassungsurkunden vermuten. Feierlich verspricht der General vom Präsidenten höchstpersönlich „aufgrund seiner unendlichen Güte ein großzügiges Geschenk“. In den Kartons befinden sich Orangen.
Abbas Khider: Die Orangen des Präsidenten. Roman. Edition Nautilus, Hamburg 2011. 156 Seiten, 16 €.
Andreas Pflitsch