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Die spanische Choreografin La Ribot
© Hugo Glendinning

La Ribot beim "Tanz im August": „Ich brauche Wut, um komisch zu sein“

Eine Frau sieht rot: Das Berliner Tanz- und Performancefestival „Tanz im August“ widmet der spanischen Künstlerin La Ribot eine Retrospektive.

La Ribot muss noch die Engelsflügel an der Wand befestigen. Im Studio des HAU3 hat sie auch andere Requisiten aus ihren Performances mit Klebeband an den Wänden oder auf dem Boden arrangiert. Eine Perücke, ein grünes Paillettentrikot, lange Kleider, eine Taucherbrille. Zum Interview nimmt sie auf einem verschrammten Klappstuhl Platz – auch dies ein Requisit, das auftaucht in den „Distinguished Pieces“, kurzen Solo-Performances, die ihren Ruhm begründeten.

Die hölzernen Klappstühle kennt sie aus ihrer Kindheit in Madrid, von Konzerten oder der Stierkampfarena. Vor Kurzem hat sie der spanische Hersteller angerufen, um ihr mitzuteilen, dass sie nicht mehr produziert werden. Also hat La Ribot gleich noch mal 400 Stühle bestellt. Ihr Ziel ist es, 100 „Distinguished Pieces“ zu kreieren, erzählt die 55-Jährige lachend. Ein Lebenswerk. Momentan ist sie bei Nummer 53 angelangt, es liegt also noch eine lange Etappe vor ihr. 42 der „ausgezeichneten Werke“ kann man jetzt beim „Tanz im August“ sehen.

Sie rieb ihren Körper mit Olivenöl ein und verwandelte sich in ein Sandwich

Das Berliner Festival widmet der Spanierin, die sich an der Schnittstelle von Tanz, Performance, Kunst und Video bewegt, eine Retrospektive. Unter dem Titel „Occuuppatiooon!“ werden Arbeiten aus drei Dekaden gezeigt, neben den gefeierten „Distinguished Pieces“ auch die sechsstündige Performance „Laughing Hole“ sowie „Gustavia“, das Duett mit der französischen Choreografin Mathilde Monnier gilt als feministischer Klassiker.

Zudem wird eine Auswahl ihrer Filmarbeiten in der Galerie Barbara Weiss präsentiert. Darunter auch das Video „Another pa amb tomáquet“, in dem sie ihren Körper mit Knoblauch und Olivenöl einreibt und sich in ein Tomatensandwich verwandelt. Der weibliche Körper, der zum Objekt der Betrachtung, des Konsums, des Begehrens wird – das sind die Themen, an denen sie festhält.

Das Ballett war für La Ribot ein zu geschlossenes System

Maria Ribot, die 1962 in Madrid geboren wurde und heute in Genf lebt, hat sich in La Ribot umbenannt. Das klingt nach Diva, und die Künstlerin mit dem rötlichen Haar und der hellen Haut besitzt auch einen ganz eigenen Glamour, dabei ist sie alles andere als unnahbar. Ihre Worte untermalt sie mit lebhaften Gesten. Und wenn sie über die Bedeutung des Körpers für ihr Werk spricht, muss sie ihr Gegenüber auch anfassen.

Schon als Kind interessierte sich La Ribot für Malerei. Ihr Vater war mit vielen Malern befreundet und nahm sie oft zu Ausstellungen mit. Sie träumte aber davon, Schauspielerin oder Tänzerin zu werden. Mit 13 begann sie mit dem klassischen Ballett – auch weil sie so viel überschüssige Energie hatte. Doch das Ballett war ihr ein zu „geschlossenes“ System – immer wieder betont sie, dass sie das Offene und Mehrdeutige schätzt.

Ihre Choreografien werden auch in Museen und Galerien aufgeführt

In den 80ern etabliert sie sich als Choreografin in Madrid, Anfang der Neunziger vollzieht sie einen radikalen Bruch und begibt sich mit den „Piezas Distinguidas“ auf neues Terrain. Die ersten Arbeiten sind zwar für den Theaterraum konzipiert, doch La Ribot präsentiert sie später in Galerien und Museen. „Eins meiner Ziele war es, den Tanz als eine Form der zeitgenössischen Kunst zu zeigen“.

Heute wird La Ribot gefeiert als Pionierin der feministischen Kunst und einflussreiche Vertreterin des Konzepttanzes. In Spanien bekam sie damals nur zu hören: „Maria, wir lieben dich, aber das ist kein Tanz!“

Reduktion auf der Bühne als Antwort auf die Krise

Die „Distinguished Pieces“ sind kurze Stücke mit einer Dauer zwischen 30 Sekunden und sieben Minuten, die sie zu Serien arrangiert. Das ist auch eine Reaktion auf die Krise in Spanien. „Alles brach zusammen“, erinnert sich La Ribot. „Ich hatte das Bedürfnis, meine künstlerische Sprache zu reduzieren“. Sie entwickelt eine andere Ökonomie des Spektakels. Sie verwendet zunächst nur ihren eigenen Körper, billige Alltagsobjekte und Second-Hand-Klamotten. Später bezog sie auch andere Performer ein. Anfangs benutzte sie ihren nackten Körper wie eine Leinwand und agierte in einer gewissen Distanz zum Publikum.

Doch bald wurden ihre Stücke mehr und mehr politisch. Sie suchte die Nähe zum Betrachter, mischte sich unter die Zuschauer. „Ich merkte, wie verletzlich ich bin“, erzählt La Ribot. „Ich musste viel offener sein und zugleich stärker. Das ist ein Paradox.“ La Ribot besitzt jedenfalls eine starke Präsenz¸ sie weiß, wie man einen Raum besetzt. Ihre Präzision und ihren Sinn für Rhythmus und Timing verdankt sie zweifellos ihrer Tanzerfahrung.

In La Ribots Performances geht es um Gewalt gegen Frauen

Im ersten der „Distinguished Pieces“ verkörpert La Ribot eine sterbende Meerjungfrau. In „Another Bloody Mary“ bedeckt sie den Boden erst mit roten Stoffen und liegt dann lange mit schmerzhaft verdrehtem Körper da. Die Farbe Rot kommt auch in der neuen Serie „Another Distinguée“ zum Einsatz, auf geradezu verschwenderische Weise.

Die spanische Kultur sei ja fasziniert von Blut und Tod, lautet La Ribots Erklärung für diese Obsession. In „N°14“ hat sie ein Pappschild um den Hals gehängt, auf dem steht „For Sale“. Ihren Unterleib hat sie in einen Klappstuhl gezwängt. Mechanisch klappt sie die Sitzfläche vor und zurück und ahmt so den anschwellenden Rhythmus eines Geschlechtsaktes nach.

Gewalt gegen Frauenkörper sei ein Leitmotiv im Werk von La Ribot, führt die Kunstprofessorin Estrella de Diego im Katalog aus, der zur Retrospektive erscheint. Natürlich sei ihre Kunst davon beeinflusst, dass sie eine Frau sei, erklärt La Ribot. Frauen seien in der patriarchalischen Gesellschaft marginalisiert, manipuliert, zurückgestoßen worden. „Ich leide mit all den Frauen, die ich in mir habe."

Humor spielt eine wichtige Rolle

Doch ihre Stücke sind nicht autobiografisch: „Ideen sind mir wichtiger als Gefühle“, sagt sie. Eine wichtige Rolle im Werk von La Ribot spielt der Humor, der herrlich dadaistisch, grotesk und schwarz ist. „Ich brauche Wut, ich muss wütend sein, um komisch zu sein“. Eine große Wut empfand sie auch, als sie 2006 ihre Performance „Laughing Hole“ kreierte, die vom Irak-Krieg, Guantanamo und der Occupy-Bewegung beeinflusst ist. Die drei Performerinnen in Putzkitteln lachen die ganze Zeit, bis zur Erschöpfung, und turnen mit Pappschildern herum, auf denen verdrehte politische Phrasen wie „Die there, Immigrant on sale“ oder „Illegally yours“ stehen.

La Ribot findet es aber auch spannend, die frühen „Distinguished Pieces“ nun bei der Retrospektive wieder aufzuführen. In „Eufemia“ von 1993 trägt sie ein weißes Seidenkleid, das zum Schluss von roter Farbe durchtränkt ist. Eine Frau, die vor Leidenschaft stirbt – darum ging es ihr damals. Was das Werk heute bedeutet, das will sie in Berlin herausfinden.

„Tanz im August“ eröffnet diesen Freitag um 18 Uhr mit „Kalakuta Republik“ von Serge Aimé Coulibaly im HAU 1. Von 16 bis 21 Uhr wird La Ribots Film „Mariachi 17“ im HAU 3 gezeigt. Das Festival läuft bis 2. 9. Infos: www.tanzimaugust.de

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