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Dancefloor-Experten. Chris Lowe und Neil Tennant gründeten 1981 in London die Pet Shop Boys.
© Phil Fisk

Neues Album von Pet Shop Boys: „Hotspot“ ist ein Trip durch Berlin

Linie eins ins Traumland: Pet Shop Boys haben in den legendären Hansa-Studios eine Berlin-Platte aufgenommen. Das britische Duo klingt kein bisschen verstaubt.

Ihr Siegeszug begann mit Fußgetrippel. Stöckelschuhe klapperten über den Asphalt von London, bevor Hi-Hats zischelten, Fanfaren aus Synthesizern schmetterten und Sänger Neil Tennant die „West End Girls“ verewigte. Das war 1985, der Karrierebeginn für eines der erfolgreichsten Duos der Popgeschichte.

Knapp 35 Jahre später rattert nun eine U-Bahn durch das Eröffnungsstück des neuen Boys-Albums „Hotspot“. Es gibt wieder Fanfaren, Pumperbeats – und eine Lautsprecherstimme, die verkündet: Hallesches Tor. Die Pet Shop Boys haben das West End zugunsten von West-Berlin verlassen, Circle Line gegen U1 eingetauscht, Soho gegen Kreuzberg, den schmutzigen Glamour der achtziger Jahre gegen den vergammelten Glanz der zehner Jahre.

Sie haben seit langem eine Wohnung in Berlin

Dass sie sich für Deutschland interessieren, kommt für Fans nicht überraschend. Seit etwa zehn Jahren haben sie eine Zweitwohnung in der Stadt, in die sie sich zurückziehen, um Lieder zu schreiben. Die Briten haben die „Berlin Stories“ von Christopher Isherwood gelesen, sind mit dem in London und Berlin tätigen Künstler Wolfgang Tillmans befreundet, immer wieder mal im Berghain oder in Berliner Galerien zu sehen und haben dem deutschen Künstler Gerhard Richter die erste Erwähnung in einem Pop-Hit verschafft („Love etc“ von 2009).

Vor diesem Hintergrund aus Literatur, Musik und Kunst ist „Hotspot“ entstanden, das 14. Studioalbum von Chris Lowe und Neil Tennant und ihre erste Berlin-Platte. Sie haben den Großteil der Lieder in den legendären Hansa-Studios aufgenommen, wo bereits U2, Depeche Mode und natürlich David Bowie Großes vollbracht haben. Wie viele andere Ex-Pats haben sich die Pet Shop Boys von der Clubkultur der Stadt verführen und inspirieren lassen. Jener Metropole, die in Billigfliegermagazinen gern mal als Hotspot hochgejubelt wird.

Alle Zutaten aus „West End Girls“ sind wieder da

Mit einem AB-Ticket für 2,90 Euro geht die Karussellfahrt durch das Album los, einzulösen am Kudamm, Abstempeln bitte nicht vergessen. Mit dem Opener „Will-o-the Wisp“ (deutsch: Irrlicht) begibt man sich auf eine verrückte Tour mit der Partybahn U1 „from Uhland to Warschauer Strasse“, rauf auf die Tanzfläche, zu einem Typen, der nach Jahren immer noch „handsome“ ausschaut, vermutlich auf einem Berliner Amt arbeitet und in einer Mietwohnung lebt.

Aus Londoner Sicht scheint die deutsche Absage an Wohneigentum wohl ein Alleinstellungsmerkmal im Kosmos der Weltstadtbewohner zu sein. Ein bisschen Ausgehmärchen, ein bisschen nasale Überheblichkeit, viel konkrete Verortung – die Zutaten aus „West End Girls“ sind alle wieder da.

Dabei klingt das Duo null verstaubt. Keine andere Band aus den achtziger Jahren hat sich so konsequent an der Schnittstelle zwischen Dance und Pop abgearbeitet, immer wieder neue Soundideen für sich entdeckt und weiterentwickelt. Depeche Mode sind auf die Gitarrenschleifspur der Stadionrocker eingeschwenkt, Human League oder OMD bereits in der Popgeschichte abgetaucht. Und wer kennt noch Erasure?

Die Faszination für die Berliner Clubkultur ist spürbar

Bei den Pet Shop Boys spürt man die Faszination für das Nachtleben, für die Clubkultur, und das bei gestandenen Männern jenseits der 60. Sie sind am Rand des Dancefloors zu finden, selten in der Mitte, saugen Drum-Pattern und Stolperbeats auf. House, Acid, Reggaeton, Breakbeat, Latino-Beats, Elektrofunk – all das gab es bereits im Werk des britischen Duos zu hören, manchmal genial vermischt, manchmal schlecht gemixt. Auch das neue Album betreibt wieder Klangforschung in kleinen Dosen. Zum Glück in gelungenerer Form als auf dem hektischen Vorgänger „Super“, der wie eine Fieberkurve qualitative Ausschläge nach oben und tief unten hatte.

„Hotspot“ stellt den letzten Teil einer Trilogie dar, die in Zusammenarbeit mit dem Produzenten Stuart Price entstanden ist. Der deutlich jüngere Brite hat lange eine Art Pet-Shop-Boys-Sound fürs neue Jahrtausend produziert, für Madonna, Kylie Minogue und The Killers unvergessliche Ohrwürmer gebastelt. Er gestand in so vielen Interviews, Fan der Pet Shop Boys zu sein, dass es manchmal wie eine Bewerbung klang. Die beiden kontaktierten ihn schließlich 2009 und willigten in eine Zusammenarbeit ein.

Es folgten ein Disco-Album mit der Betriebstemperatur eines Eisschranks („Electro“), eine ungezähmte Nummernrevue voller halb gelungener Experimente („Super) – und nun eine ausgewogene Tanzplatte mit warmen Untertönen. Sie lässt Zeit für Reflexionen, gewährt Pausen, um Luft zu holen. Die Hälfte der Titel ist ruhig, entspannt, wenn man böse sein möchte, gute Schunkelschmankerl. Man ist schließlich nicht mehr der Jüngste.

Zehn Titel führen hinein in den Nachtclub, raus in den Alltag und manchmal an den Tresen einer Bar, an der sich der Erzähler sein Alleinsein eingesteht („Burning The Heather“ mit Bernard Butler an der Gitarre). Vorher geht er noch in „Seelendorf“ spazieren, auf deutsch: Zehlendorf, besucht ein Kino in Mitte („You Are The One“), begibt sich mit Gastsänger Olly Alexander von der britischen Electropopband Years & Years in ein imaginäres „Dreamland“ und manchmal verschlägt es ihn in eine New Yorker Funk-Disco aus den frühen achtziger Jahren, wie sie auf „Monkey Business“ zu hören ist. Hauptsache, Margarita, Champagner und Rotwein fließen in Strömen – nur bitte nicht zusammengemischt.

Kritik am Brexit

Wie politisch aufgeladen die hedonistischen Zeiten trotzdem sind, merkt man schon daran, dass die Zeile „You don’t need a visa“ in „Dreamland“ ausreicht, um auf den Brexit zu verweisen. Insbesondere Neil Tennant hat sich mehrfach gegen den Austritt aus der Europäischen Union ausgesprochen. Dass das Duo nun lieber in Berlin statt in London produziert, darf man auch als Signal verstehen. Eine künstlerische Emigration wird es jedoch nicht geben. Dafür sind die Pet Shop Boys einfach zu britisch.

Zu jedem großen Wurf gehört ein Fehltritt. Bei „Hotspot“ kommt er zum Schluss – ein angeklebter Track, der höchstens dem Titel nach auf dieses Album passt. „Wedding In Berlin“ ist für eine Hochzeitsparty am Spreeufer entstanden, als Geschenk für das Paar, wie gerade in der „Süddeutschen Zeitung“ zu lesen war.

Wer das Stück hört, denkt, in der deutschen Hauptstadt seien alle plemplem. Glocken erklingen, eine Bassdrum klinkt sich ein, Tennant wiederholt die Zeilen „we’re getting married“, dazu ertönt der Beginn des Hochzeitsmarsches von Felix Mendelssohn Bartholdy. Das ist feinster Rummelplatzelektro, vielleicht auch die Mahnung: Nicht jede Ausgehnacht ist legendär. Und ganz bestimmt fungiert der Song als Erinnerung daran, dass es nach neun Liedern und zwölf U-Bahnstationen an der Endhaltestelle Warschauer Straße nachts zugeht wie auf einem Jahrmarkt der Bekloppten.
[„Hotspot“ erscheint am 24.1. bei x2Records/Kobalt. Konzert: 1.5., 20 Uhr, Mercedes Benz Arena]

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