Das Jazz-Musical "Chicago" im Theater des Westens: Hinter schwäbischen Gardinen
Ein ziemlich alter Hut, doch immer wieder aufgeführt: Die Berliner Version von "Chicago" kommt allerdings ziemlich brav daher.
Diese Inszenierung ist ein Traum für jeden Produzenten: keine technischen Spezialeffekte, keine aufwändigen Dekorationen, kein Requisitenschnickschnack – und selbst bei den Kostümen minimaler Stoffverbrauch. Die Band sitzt auf einem schwarzen Podest, rechts und links gibt es Bänke, auf denen die Darsteller bis zu ihrem nächsten Auftritt verschnaufen können. Sonst ist die Bühne leer. Und schwarz. Ein bisschen Scheinwerferlicht auf muskulöse Körper, deren Schamzonen notdürftig verdeckt sind, das genügt. Denn „Chicago“ ist ein Stück, das die klassischen Tugenden des Broadway feiert: tanzen, singen, Pointen setzen.
Mit diesem Minimalismus lässt sich richtig Geld verdienen. Kein Wunder, dass die 1996 herausgekommene Revival-Version des Musicals von Walter Bobbie bis heute ununterbrochen am Broadway läuft, und damit nach „Cats“ – noch so einer genialen Nummernrevue – zur Nummer 2 unter den rentabelsten Dauerbrenner-Musicals wurde.
Dabei ist „Chicago“ ein ziemlich alter Hut. Schon 1926, zwei Jahre nach dem Eifersuchtsmord, der die Story auslöste, wurde ein Theaterstück daraus, 1928 kam eine erste Filmversion in die Kinos, 1942 eine zweite. 1975 dann startete die Show der „Cabaret“-Macher Fred Ebb und John Kander in New York, choreografiert vom legendären Bob Fosse. Als es „Chicago“ 1988 nach Berlin schaffte, war Musical hierzulande noch kein eigenes Genre. Regisseur Helmut Baumann holte sich Charakterdarsteller, Katja Ebstein gab die Roxy, Hans „Pumuckl“ Clarin war ihr unscheinbarer Gatte Amos. Die zweite Produktion im Theater des Westens, 1999 herausgekommen zum Start der Ära Elmar Ottenthal, folgte bereits der neuen amerikanischen Version. Und ein Klon eben dieser Broadway-Fassung ist auch jetzt wieder zu erleben.
Sie kommt aus Stuttgart, im Rahmen des bei der Stage Entertainment üblichen Austauschprogramms des Aufführungsportfolios. Und wirkt tatsächlich klischeehaft schwäbisch: sehr sauber, äußerst gewissenhaft gemacht – und etwas schmallippig. Das abgründig Böse, um das sich die weitgehend im Knast spielende Handlung dreht, die Gefühlskälte im Chicago der Prohibitions-Zeit, die Karrieregeilheit, der skrupellose Zynismus, das Geld-regiert-die-Welt, all das wird nur behauptet. Weder Carien Keizers Roxy noch Caroline Franks Velma traut man zu, dass sie Konflikte mit dem Revolver lösen. Nigel Caseys Winkeladvokat ist vor allem Charmeur, und selbst die Gefängnis-Chefin Mamma Morton bleibt bei Isabel Dörfler eine Lady, die leise darum trauert, dass die Leute früher mehr Stil hatten.
Da verpufft dann auch die Mitleid erregende Kontrastwirkung, wenn Volker Metzger als armes Ehemann-Würstchen seinen Mr.-Cellophan-Song seufzt. Lauter nette, hoch motivierte Menschen bevölkern dieses Retro-Chicago. Schwarz sind hier nicht Seelen und Humor, sondern nur der Bühnenraum.
Musterschülerhaft erfüllt auch das singende, alle Nebenrollen spielende Tanzensemble seine Aufgaben, mit dem Effekt, dass die Choreografien eher artistisch erscheinen als erotisch. Zumindest zur Premiere. Im laufenden Spielbetrieb wird die Chose zweifellos an Lässigkeit gewinnen, bei der 14-köpfige Band, die unter Jochen Kilians Leitung am Sonntag die tollen Swing-, Ragtime- und Tango-Nummern noch redlich ausbuchstabiert, beim Knister-Faktor der virtuosen Gruppen-Nummern, vielleicht sogar bei der Textverständlichkeit. Sobald die Dialoge nämlich etwas schneller werden, rutscht allen Nicht-Muttersprachlern auf der Bühne die Konsonantenklarheit weg. Können in einer Stadt, die so stolz ist auf die ihr zugewachsene Internationalität, US-Shows nicht bitte endlich in Originalsprache mit deutschen Übertiteln gespielt werden?!
„Chicago“ läuft bis zum 17. Januar 2016, Weitere Infos: www.musicals.de
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