Lahav Shani und die Staatskapelle Berlin: Hinter der Maske
Ein Künstler eigenen Profils: Der Dirigent Lahav Shani begeistert mit einem reinen Sergej Prokofjew-Programm bei der Staatskapelle Berlin im Konzerthaus.
Verdeutlichung – im Detail wie in der Gesamtheit eines Musikstücks – kennzeichnet einen guten, wenn nicht großen Interpreten. Sie ist Voraussetzung für alles, was als persönliche Deutung seine Besonderheit ausmacht. Mit der Staatskapelle Berlin im Konzerthaus zeigt Lahav Shani auf Anhieb, dass er dieser Spezies angehört: seine mitreißende, umjubelte Darbietung eines reinen Prokofjew-Programms steht auf solidestem Fundament, aus dem der 27-Jährige Erstaunliches, Überraschendes zutage fördert.
Bereits der 1. Sinfonie D-Dur, der „Klassischen“, treibt er alle Harmlosigkeit aus: da wird das Tempo bei allem Schwung niemals überzogen, ziehen sonst nie zu hörende Holzbläser eine gewichtigere Klangschicht ein, klingen die Triller plötzlich nach Gustav Mahlers schwermütiger Heiterkeit. Mit der 5. Sinfonie empfiehlt sich Shani, der 2018 Chef beim Rotterdam Philharmonic wird, vollends als Künstler eigenen Profils. Prägnant seine Körpersprache: tänzerisch, dramatisch akzentuierend, große Bögen zeichnend und dann wieder auf minimale Taktgebung reduziert, doch stets musikalisch gerechtfertigt, niemals Show.
Akzente wie Faustschläge
Emotionalität, Klarheit und Zugewandtheit gibt ihm die Staatskapelle als hochpräzises und klangschönes Engagement zurück. Prokofjew verliert hier seine Maske, zeigt sich in der „Fünften“, die laut Aussage des Komponisten 1944 doch den „freien und glücklichen Menschen“ zeigen will, von zuweilen erschütternder Tiefgründigkeit. Da untergraben dissonante Akzente wie Faustschläge die freundliche Melodik des Beginns. Da zeigt das Scherzo sein dämonisches Gesicht, mutieren die sachten Triolenbewegungen im Adagio plötzlich zum ergreifenden Trauermarsch-Duktus. Und nicht erst bei den „schönen Trompeten“ des umwerfend virtuos musizierten Finales kommt einem Schostakowitschs Fünfte mit ihrem stalinistisch verordneten „Werden der Persönlichkeit“ in den Sinn.
Schwerelosigkeit gibt es nur zuvor im 1. Violinkonzert, wenn Lisa Batiashvili die traumhaft-verhangenen Partien als Verschmelzung ihres schwebenden Geigentons mit glitzernden Flötengirlanden zelebriert. Der Jubel, den die Künstlerin auch mit kraftvoller Virtuosität hervorruft, mündet in die Zugabe, den „Marsch der drei Orangen“.