Der Animé-Meister Hayao Miyazaki: Himmelwärts
Der Animé-Meister Hayao Miyazaki hat seinen Abschied vom Filmemachen verkündet. Sein fantastisches, in Japan umstrittenes Kriegsmärchen „Wie der Wind sich hebt“ wird nun zu seinem Vermächtnis.
Schon als kleiner Junge träumt Jiro vom Fliegen. Pilot kann er nicht werden, dafür ist er viel zu kurzsichtig. Aber im Traum stürzt er durch die Lüfte, gemeinsam mit seinem Idol, dem italienischen Luftfahrtpionier Caproni. Auch Jiro wird Flugzeugerfinder. Er tritt in den Dienst der japanischen Rüstung und baut das leichteste, schönste, wendigste Flugzeug der Welt.
„Wie der Wind sich hebt“, das neue Werk des japanischen Animationsmeisters Hayao Miyazaki („Chihiros Reise“, "Ponyo"), erzählt halb-fiktiv aus dem Leben von Jiro Horikoshi, Japans berühmtestem Flugzeugdesigner. Für Miyazakis Verhältnisse ist es ein ungewohnt epischer Film: Über drei Dekaden hinweg verfolgt er das Leben des ernsten, schüchternen Mannes vor dem Hintergrund der späten Industrialisierung und Weltwirtschaftskrise, des großen Kanton-Erdbebens von 1923 bis zum Zweiten Weltkrieg. Alles Märchenhafte beschränkt Miyazaki diesmal auf die Traumsequenzen.
Sie sind das Herzstück des Films. Rauschende Flüge mit grandiosen Himmelskörpern, schwebende, trudelnde Bilder. Aber auch die Kleinigkeiten des Alltags und der Arbeit fangen Miyazaki und seine Zeichner wieder mit bewundernswerter Liebe zum Detail ein (das Geheimnis der Fischgräte! Die Revolution der Senkniete!). Ob schwerelos träumend oder erdenschwer schlicht, für beide Welten ersinnt Miyazaki eine ganz eigene Poesie. Und alle Geräusche – Propeller, Lokomotiven, das Zischen der Flammen, sogar das den Tsunami-Albtraum von 2011 heraufbeschwörende Erdbeben – wurden von menschlichen Stimmen erzeugt. Mit Wind also.
Miyazakis Held erfindet den Kampfjet, der in Pearl Harbour eingesetzt wurde
Aber Wind bringt auch Zerstörung. Jiros leichtes, wendiges Flugzeug ist die Zero, jener legendär gewordene Kampfflieger der japanischen Luftwaffe, dem die Chinesen und Amerikaner lange wenig entgegenzusetzen hatten, auch nicht in Pearl Harbor. Kamikaze bedeutet so viel wie „Göttlicher Wind“.
Jiro Horikoshi erschuf Flugkörper von vollkommener Schönheit, die zur mörderischen Kriegswaffe wurden. Ist der Traum, ist die Schönheit dadurch korrumpiert? Miyazaki löst das moralische Dilemma nicht auf, sondern hält es in der Schwebe: Seine Traumlogik mutet dem Zuschauer zu, diese Ambivalenz auszuhalten. In seinem Heimatland Japan, das sich mit der Aufarbeitung seiner Rolle im Krieg immer noch schwertut, wurde Miyazaki deshalb von links für die Verharmlosung japanischer Kriegsgräuel kritisiert. Und von rechts für seinen Mangel an Patriotismus.
Den Darstellungen des Luftkriegs, längst Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses, setzt der Film Jiros unschuldigen Traum entgegen. Er streut zwar Bilder der Zerstörung ein (oft nur in Andeutung), aber die Gewalt kommt über die Welt wie das Erdbeben, wie eine Naturkatastrophe. Wie etwas, das den Traum von außen anfrisst und wogegen der Mensch nichts tun kann.
Miyazakis Filme sind oft melancholisch, „Wie der Wind sich hebt“ ist sein traurigster. Denn der Regisseur entführt sein Publikum diesmal nicht in eine Märchenwelt, er erzählt von verlorenen Träumen. Dass der Film dennoch wieder so sanft, warmherzig, ja berauschend schön geworden ist, verdankt der Zuschauer der sicheren Hand dieses überragenden Künstlers.
"Wie der Wind sich hebt" ist auch ein Selbstporträt seines Regisseurs Miyazaki
Hierzulande bleibt der Animationsfilm der Familienunterhaltung vorbehalten. Da hat Disneys Trickfabrik ganze Arbeit geleistet. In Asien ist das anders, Animé-Filme sind oft Erwachsenenfilme, mit "Chihiros Reise ins Zauberland" hatte Miyazaki 2002 auf der Berlinale sogar den Goldenen Bären gewonnen. „Wie der Wind ...“ ist ein fantastisches Biopic, eine tragische Liebesgeschichte (Jiros große Liebe Nahoko leidet an Tuberkulose), ein Gedankenspiel über das geglückte Leben, eine Elegie vom Scheitern naiver Schönheit. Und, ganz schlicht, ein Film über das Entwerfen von Flugzeugen – also über Kreativität.
Dieser kurzsichtige junge Mann, der da bis spät nachts am Zeichenbrett seine Träume aufs Papier bringt, darf durchaus als Selbstporträt des Regisseurs verstanden werden. Auch Miyazaki sitzt ja am Zeichentisch seines berühmten Ghibli-Studios (wo meist noch von Hand gezeichnet wird), ein ideengebender Schöpfer inmitten einer Großindustrie. Der Name des 1985 gegründeten Studios stammt von einem alten Flugzeugtyp namens „Caproni Ghibli“, entworfen von eben jenem Italiener, mit dem Jiro über das Fliegen und Erfinden philosophiert.
„Ich ziehe mich zurück“, ruft Caproni schließlich seinem Lehrling zu, „Wir Künstler können nur zehn Jahre kreativ sein.“ Und dann, auf der Tragfläche seines Flugzeugs tänzelnd: „Hast du deine zehn Jahre gut genutzt?“ „Wie der Wind sich hebt“ ist auch Miyazakis persönlichster Film geworden – und sein letzter dazu. Ein schönes Vermächtnis.
Aber es wäre nicht das erste Mal, dass der 73-Jährige seinen Rückzug vom Filmgeschäft verkündet und dann doch weitermacht. Ein paar Träume hat er bestimmt noch auf Lager.
In Berlin im Filmtheater am Friedrichshain, Kant Kino, Kino in der Kulturbrauerei , Moviemento, Passage, Colosseum, OmU: Central, Moviemento
Sebastian Handke
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