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Nina Sarita Balthasar und Thelma Buabeng als Enkelinnen, Harriet Kracht als Mutter und Vernesa Berbo als Großmutter.
© Zé de Paiva / Ballhaus Naunystraße

„Tableau“ im Ballhaus Naunynstraße: Hier wird man gebissen

Die iranischstämmige Dramatikerin Reihaneh Youzbashi Dizaji bringt in ihrem Stück „Tableau“ im Ballhaus Naunynstraße vier Frauen zusammen, die ein Fest feiern wollen: schräg, scharf und bissig.

Ein Maulkorb wäre nicht schlecht. Oder gleich ein Schutzanzug für Astronauten. Wo diese Familie zusammenkommt, besteht Verletzungsrisiko. Die Großmutter hat sich nach dem Tod ihres Mannes aus der fernen Heimat nach Deutschland aufgemacht, zum ersten Mal. Dass sie von ihrer geschiedenen Tochter und den beiden Enkelinnen mit offenen Armen empfangen würde, lässt sich nicht behaupten. Die erste Frage lautet: „Wie lange bleibst du?“, wenig später warnt Enkelin Toch: „Hier wird man gebissen.“ Enkelin Ter wiederum nimmt lieber gleich Reißaus: „Sag Oma, ich hasse sie, weil sie schuld ist, dass es Mutter gibt.“

Die Bühne, die Markus Pötter ins Ballhaus Naunynstraße gebaut hat, ist ein hohes Metallportal mit Trennwand. So anheimelnd wie eine Sicherheitsschleuse. Passt also perfekt zu dem Stück „Tableau", das die junge iranischstämmige Dramatikerin Reihaneh Youzbashi Dizaji geschrieben und inszeniert hat. Sie bringt vier Frauen zusammen, die ein Fest feiern wollen. Sich mit enttäuschten Erwartungen und herzlicher Ablehnung aber unentwegt ein Bein stellen, statt zu tanzen.

Dizaji entwirft ein schräg-scharfes Familienbild

Inspiration war eine Recherche der Autorin über das persische Neujahrsfest. Dizaji belässt die kulturelle Verortung auf der Bühne aber bewusst in der Schwebe. Auf dem Papier mag sich „Tableau“ irrtümlich wie Kunstanstrengung ausnehmen. Die Sätze sind radikal verdichtet, geradezu skelettiert. Die Figurennamen – Groß, Mutter, Toch und Ter – signalisieren höchstmögliche Entfremdung. Entsprechend schlaglichtartig (auch im wörtlichen Sinne) inszeniert Dizaji ihren Text: als eine Folge kurzer Szenen, die mal mit Stroboskopgewitter, mal mit Glühbirnenfunzel erhellt und von Blackouts zerhackt werden. Zwei Musiker, James Christopher Douglas und Thomas Gerber, geben dazu im Hintergrund eine stimmige Elektroperformance, die Melodien nur anreißt.

Das alles ergibt aber eben keine Kopfgeburt. Sondern ein schräg-scharfes Familienbild. Nicht zuletzt dank vier hervorragender Schauspielerinnen. Nina Sarita Balthasar und Thelma Buabeng als Enkelinnen, Harriet Kracht als Mutter und Vernesa Berbo als Großmutter sind spannend gegen Alters- und andere Äußerlichkeitserwartungen besetzt und beleben ihre Sätze mal ironisch, mal sehnsüchtig. Und stets mehrdeutig schillernd: „Wieder ein Fest rum.“

Wieder Sa 10.1., 20 Uhr, 11.1., 19 Uhr

Patrick Wildermann

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