zum Hauptinhalt
Schauspielerin, Autorin, Regisseurin: Reihaneh Youzbashi Dizaji, Jahrgang 1983, zeigt mit „Tableau“ ihre erste größere Regiearbeit.
© Doris Spiekermann-Klaas

Reihaneh Youzbashi Dizaji im Porträt: Liebe unter Nadelspitzen

Vier Frauen und ein Neujahrsfest: Reihaneh Youzbashi Dizaji inszeniert ihr Stück „Tableau“ im Ballhaus Naunynstraße.

Der Festsaal erscheint der jungen Frau ungefähr so einladend wie die Vorhölle. „Schlechtes Essen, schlechte Musik, fremde Menschen, warum also?“, fragt Ter. Woraufhin ihre Schwester Toch nicht viel mehr zu entgegnen weiß als: „Oma möchte nicht allein sein“. Auch kein wirklich gutes Argument. Schließlich kennen die beiden die Großmutter kaum, die zum ersten Mal nach Deutschland gereist ist, um die geschiedene Tochter und die westlich aufgewachsenen Enkelinnen zu besuchen. Eigentlich soll gemeinsam ein Fest gefeiert werden. Tatsächlich zelebrieren die Frauen dreier Generationen bei ihrer Zusammenkunft aber nur Rituale der wechselseitigen Verletzung. „Mutter! Du bist kein Mensch“, zählt da noch zu den netteren Bemerkungen.

„Tableau“ hat die Dramatikerin Reihaneh Youzbashi Dizaji dieses Stück genannt, das sie am Ballhaus Naunynstraße auch selbst inszeniert. Es handelt von Menschen, die so zerrissen wie entfremdet sind – aber durch Verwandtschaft untrennbar verbunden. Was sich schon an den Figurennamen ablesen lässt: Toch, Ter, Groß und Mutter.

Dizaji hat sich mit dem Setting für ihre familiäre Selbstzerfleischung anfangs durchaus schwergetan. Als das Kreuzberger Theater mit dem Vorschlag an sie herantrat, etwas über das persische Neujahrsfest Nouruz zu schreiben, „ging bei mir erst mal alles zu“, erzählt sie. Nicht zuletzt „weil es in Deutschland eine sehr einsame Angelegenheit ist“. Dizaji, die 1983 geboren wurde und mit acht Jahren aus der Teppichstadt Täbris nach Stuttgart kam, hat durchaus noch Kindheitserinnerungen daran, wie Nouruz im März gefeiert wurde. Es sind ausschließlich schöne. „Die Vorbereitungen ziehen sich über Wochen, erst mal wird Frühjahrsputz veranstaltet, alles ist geschmückt, es gibt Massen an Essen und Geschenke für die Kinder.“ Im schwäbischen Exil dagegen hat Dizaji den Neujahrsaufguss als eine so grausliche Zwangsveranstaltung unter Wildfremden erlebt, wie sie es im Stück beschreibt. Unterm Strich „total unsinnlich“.

Aus das Teppichstadt Täbris kam sie mit acht Jahren nach Stuttgart

Eigentlich wollte sie nicht über Herkunft schreiben. Nicht schon wieder. Aber Dizaji, die in Berlin nicht viele persische Freunde hat, war auch neugierig zu erfahren, wie andere mit ähnlicher Biografie auf dieses Fest blicken. Sie hat Interviews mit Frauen verschiedener Generationen geführt. Mit einer jungen Deutsch-Iranerin zum Beispiel, die als blondgelockte Prinzessin privilegiert in Teheran aufgewachsen ist. Mit der über 80-jährigen Leiterin einer persisch-deutschen Schule in Hamburg, die aus dem Iran fliehen musste, während ihr Mann dort im Gefängnis saß. Gespräche, die den Background einer Geschichte bilden, die zwar kulturell verwurzelt, aber auch so universell ist, „dass viele ihre eigene Familie darin erkennen können“, sagt Dizaji. Auch wenn es bei aller Härte widersprüchlich klingt: In der Arbeit mit den Schauspielerinnen geht es der Regisseurin vor allem darum, Verbundenheit herzustellen. Unter ihren nadelspitzen Sätzen soll Liebe spürbar werden. „Um sich wirklich verletzen zu können, muss man sich extrem nahe sein“, ist die Autorin überzeugt.

„Tableau“ ist Dizajis erste größere Regiearbeit, zuvor hat sie im Roten Salon der Volksbühne ihre Texte „Wald“ und „III“ szenisch-musikalisch eingerichtet. Ihr kommt beim Inszenieren zugute, dass sie selbst ausgebildete Schauspielerin ist. Seit ihr in der Schultheater-AG Begabung bescheinigt wurde, wollte sie auf die Bühne. Mit 15 büxte sie von zu Hause aus, um an der Otto-Falckenberg-Schule in München vorzusprechen. Sie fasst die Erfahrung lachend zusammen: „Es lief nicht gut.“ An ihrem Wunsch änderte das aber nichts. Und in der elften Klasse brach Dizaji – nicht eben zur Freude der Eltern – die Schule ab, um erst mal ein Jahr am Theater in Mannheim zu hospitieren, bevor sie mit 17 in Ulm ihr Schauspielstudium aufnahm. Dort lebte ein Onkel ihrer weitverzweigten Familie, „das war dann für meine Eltern okay“.

Es gibt vermutlich nicht allzu viele Menschen, die ihr Debüt in Berlin erlebt haben. Sie trat mit dem Monolog „Spoonface Steinberg“ von Lee Hall im Garn-Theater auf, einer Off-Off-Bühne, die der Chilene Adolfo Assor in einem Keller in der Katzbachstraße betreibt.

Die nächste Station war dann schon prominenter: das Grips-Theater. „Dreieinhalb Jahre lang war ich das ‚Hiergeblieben‘-Gesicht“, erzählt Dizaji. Das erfolgreiche Tourstück verhandelt Fragen von Asylrecht und Abschiebung, sie hat es gern gespielt, aber damit stagnierte ihre Karriere auch. An großen Häusern hörte sie beim Vorsprechen, sie sei doch „zu speziell“. Das postmigrantische Theater war zu der Zeit noch nicht gerade en vogue.

Dizaji wandte sich dem Film zu. Arbeitete in Berlin für diverse Produktionsfirmen, inszenierte selbst einen Kurzfilm – „Prellung“ genannt –, der allerdings noch auf Fertigstellung wartet. Es ist auch einem Filmprojekt zu verdanken, dass sie überhaupt zum Schreiben gefunden hat.

Mit Mitte 20 reiste sie mit der Kamera in den Iran, nach zehnjähriger Abwesenheit. In Begleitung von zwei Frauen, die eine Fotodokumentation über lesbische persische Frauen planten. Die Wege der drei trennten sich allerdings schon in Teheran, weil die Bekannten „sich nicht an die Regeln halten wollten, die im Iran nun mal gelten“, sprich: Kopftuch und bedeckende Bekleidung. Wofür Dizaji als Iranerin zur Verantwortung gezogen worden wäre. Und in ihrer Heimat sei „ein Menschenleben nicht viel wert“, wie sie sagt. Vor allem ein Frauenleben.

Mit 15 büxte sie aus, um Schauspiel zu lernen

Dizaji wollte gleichaltrige Iranerinnen interviewen, letztlich erfahren, „wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich nicht in Deutschland aufgewachsen wäre“. Bloß traute sich vor ihrer Kamera niemand zu sprechen. Am Ende entstand aus der Reise die zehnminütige Doku „Mein Paradies“. Vor allem aber das Stück „Stuttgart.Teheran“, in dem sie die eigene Biografie verarbeitet. Mit einer späteren Fassung wurde sie zum Heidelberger Stückemarkt eingeladen.

„Die größte Enttäuschung war, dass er mir eine Kindernähmaschine versprochen hatte, er mir immer wieder am Telefon versichert hatte, dass diese auf mich warten würde – tat sie aber nicht.“ So beschreibt Dezaji ihr Ankommen in Deutschland beim vorgereisten Vater. Es ist eine Passage aus dem Buch „HundertKöpfeFrau“, das sie zusammen mit dem österreichischen Schriftsteller Walter Kohl verfasst hat. Der Titel spielt auf ihren Namen an. Reihaneh, das bedeutet wilder Basilikum, Dizaji heißt Dorf. Und ihr Mittelname Youzbashi bezeichnet einen Begriff aus dem Militärischen, etwa „Herr über hundert Köpfe“.

Das Buch, das die Begegnung zwischen Dizaji und Kohl beschreibt, ist ein poetisches Spiel mit Wahrheit und Fiktion. Aber was heißt das schon. „Was durch mein Auge geht, durch mein Hirn fließt und zu Papier gebracht wird, ist doch schon nicht mehr Wirklichkeit“, sagt Dizaji. Das gelte freilich auch für „Tableau“. Nur um es klarzustellen: „Ich habe eine wundervolle Großmutter. Und meine Mutter ist eine tolle Frau.“

Uraufführung am 8. Januar, 20 Uhr im Ballhaus Naunynstraße, weitere Vorstellungen 9. bis 11. Januar

Patrick Wildermann

Zur Startseite