Tragödie, Verschwörungsthorien, Propaganda: Heute vor 100 Jahren wurde die "Lusitania" versenkt
Tragödie, Verschwörungsthorien, Propaganda: Erik Larson und Willi Jasper beschreiben die Versenkung der „Lusitania“ durch ein deutsches U-Boot und deren Wirkung.
Es dauerte genau 18 Minuten, bis die „Lusitania“ von einem lang gezogenen Stöhnen begleitet in die Tiefe gerissen wurde. Für einige Minuten flehten an der Wasseroberfläche noch Hunderte von Händen um Hilfe, dann herrschte Stille. Zurück blieb, so beschreibt der amerikanische Journalist Erik Larson die gespenstische Szenerie, nur ein „dichter Teppich aus menschlichen Körpern und Trümmerteilen“.
Mit großem erzählerischem Talent inszeniert Larson die letzte Fahrt der „Lusitania“ und lässt dem aus New York kommenden britischen Dampfer gleichsam schicksalshaft das deutsche U-Boot „U-20“ entgegenschwimmen. Dementsprechend zögerte der deutsche Kommandant nicht, ein Torpedo abzuschießen, als beide Schiffe dann am 7. Mai 1915 vor der irischen Küste aufeinandertrafen. 1198 Tote, darunter 94 Kinder, waren zu beklagen. Das mondäne Luxusleben auf dem einst größten und schnellsten Passagierdampfer der Welt kontrastiert Larson dabei immer wieder mit dem von Gestank, Einsamkeit und klaustrophobischer Enge geprägten Alltag des U-Boots. Zunächst aber lässt er zwei unterschiedliche Kapitäne aufeinandertreffen: Auf der „Lusitania“ hatte mit William Turner ein „Seemann alten Typs“ das Kommando, Walther Schwieger auf der „U-20“ galt als aufstrebender und skrupelloser Kapitän, der mit Mannschaft und Maschinerie aufs Engste verbunden war.
Die besondere Stellung der U-Boot- Kommandanten im Ersten Weltkrieg bestand dabei nicht nur in der Beziehung zu ihren Schiffen, die schon bald den Ruf von „Wunderwaffen“ genossen. Im Februar 1915 hatte Deutschland auf die britische Seeblockade reagiert und die Gewässer um die Britischen Inseln zur „Kampfzone“ erklärt. Danach war man zu einer Guerillataktik übergegangen, griff ohne Vorwarnung auch Zivilisten an und riskierte bewusst, Schiffe aus neutralen Ländern zu treffen. Wer beschossen wurde und wer nicht, lag im Ermessen des Kapitäns. Kein Geringerer als der deutsche Kaiser hatte zugesichert, auch Fehlentscheidungen mitzutragen.
Verschwörungstheorien und Propapganda
Deutsche Entscheidungsträger spielen in Larsons Darstellung jedoch nur eine Nebenrolle, da er vor allem auf die Passagiere der „Lusitania“ schaut und deren Geschichten erzählt. Den Hintergrund seiner Erzählung wiederum bildet auf der einen Seite Woodrow Wilson, den er als einen in persönlichen Problemen gefangenen amerikanischen Präsidenten zeichnet. Auf der anderen Seite des Atlantiks gilt seine Aufmerksamkeit vor allem Winston Churchill. Denn mit dem Untergang der „Lusitania“ sind von Beginn an Verschwörungstheorien verbunden, von denen eine behauptet, als Erster Lord der britischen Admiralität habe Churchill den Untergang des Dampfers bewusst provoziert, um die Amerikaner zum Kriegseintritt zu bewegen. Dafür gibt es ebenso wenig Beweise wie für die Vermutung, das Schiff sei nur deshalb so schnell untergegangen, weil es große Mengen an Waffen und Munition transportierte. Warum dies trotz einer Warnung durch die deutschen Behörden sowie zahlreicher geheimdienstlicher Hinweise auf die Gefährdung durch U-Boote weder umgeleitet noch geschützt wurde, bleibt weiter ungeklärt. Fest steht allerdings, dass der von vielen Briten herbeigesehnte Kriegseintritt der USA von 1917 durch die amerikanischen Opfer der Katastrophe erheblich beschleunigt wurde.
Um dem seit 100 Jahren währenden Kreislauf aus Verschwörungstheorien und Propaganda zu entgehen, hat sich der Literaturwissenschaftler Willi Jasper der Kulturgeschichte des „Lusitania“-Untergangs angenommen. Damit legt er aus deutscher Perspektive ein ebenso weitverzweigtes wie aufschlussreiches Netzwerk aus Vorbedingungen und Reaktionen auf die Katastrophe frei. Während der Abschuss in den feindlichen Ländern und vielen neutralen Staaten einhellig verurteilt wurde, löste er in Deutschland und Österreich „Jubel und Entsetzen“ aus. Karl Kraus etwa baute zwei Kinderleichen von der „Lusitania“ in sein Drama „Die letzten Tage der Menschheit“ ein und der anarchistische Schriftsteller Erich Mühsam erkannte in der Katastrophe eine „Übergreuelung der Greuel“ und wandelte sich zum strikten Pazifisten. Andere stimmten nach wie vor in die allgemeine Kriegseuphorie ein. So sah Thomas Mann im Abschuss des „Riesenlustschiffes“ kaltherzig „die Vernichtung jenes frechen Symbols der englischen Seeherrschaft und einer immer noch komfortablen Zivilisation“. Im Vergleich mit dem noch betrauerten Untergang der „Titanic“ drei Jahre zuvor verdeutlicht gerade der „Kulturkrieg“, wie weit sich viele Deutsche mittlerweile von der westlichen Wertegemeinschaft entfernt hatten. Thomas Mann verließ diesen „deutschen Sonderweg“ und wandelte sich nach dem Krieg zum „Vernunftrepublikaner“. Andere Vertreter der „geistigen Elite“ verweigerten sich dem und trugen den „Geist von 1914“ in die Zeit des Nationalsozialismus.
Wenn Jasper der „Lusitania“-Katastrophe dabei insgesamt eine „höchst symbolhafte und konkrete Bedeutung“ für den Fortgang des Ersten Weltkriegs beimisst, zielt er nicht nur auf den Kriegseintritt der USA, sondern vor allem auf die bewusste Inkaufnahme zahlloser ziviler Opfer ab. In der „Eliminierung des Unterschieds zwischen Zivilisten und Soldaten“ erkennt er bereits jene „industrialisierte Entgrenzung der Gewalt“, die im Völkermord an den Armeniern ein Vorspiel und in Stalingrad und Hiroshima eine Fortsetzung erlebte. Auch wenn sie in Auschwitz ihren Höhepunkt fand, war sie also kein deutsches Monopol. Dies zeigt auch die Eskalation der Seekriege: Bei der Versenkung der „Wilhelm Gustloff“ durch ein sowjetisches U-Boot im Januar 1945 starben fast 9000 deutsche Zivilisten.
Man konnte sich daher schnell auf die Formel vom Ersten Weltkrieg als „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ einigen. Damit sieht Jasper allerdings die „Schuldfrage“ ausgeklammert, die für ihn vor allem eine Frage der historischen Verantwortung ist und plädiert dafür, den „deutschen Sonderweg“ und seine Kontinuitäten nicht aus den Augen zu lassen. Gerade von den „U-Boot-Kriegern“ des Ersten Weltkriegs nahmen viele dann im Nationalsozialismus einflussreiche Positionen ein.
Erik Larson: Der Untergang der Lusitania. Die größte Schiffstragödie des Ersten Weltkriegs. Aus dem Amerikanischen von Regina Schneider und Katrin Harlaß. Hoffmann & Campe, Köln 2015. 464 Seiten, 25 Euro.
Willi Jasper: Lusitania. Kulturgeschichte einer Katastrophe. bebra-Verlag, Berlin 2015. 208 Seiten, 19,95 Euro.
Moritz Reininghaus
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