Literaturnobelpreisträgerin: Herta Müller bringt die Serben gegen sich auf
Eigentlich war die Literaturnobelpreisträgerin Stargast der Belgrader Buchmesse. Doch ihre deutliche Position über Serbien als Kriegstreiber hat in Belgrad eine Empörungswelle ausgelöst.
„Skandal: Die Tochter eines SS-Offiziers spuckt auf Kirche und Serben“, titelte die Zeitung „Kurir“. „Müller missbraucht unsere Gastfreundschaft“, empörte sich das Boulevardblatt „Informer“, und die größte Zeitung „Blic“ sprach von einem „Schock“. Die Literatin sei eine Vertreterin „des Angst machenden, tiefen und primitiven Hasses gegen die Serben, wie ihn die Deutschen sonst einzig gegen die Juden gezeigt haben“, war in der Regierungszeitung „Novosti“ zu lesen.
Warum diese Aufwallung? Auf dem Podium des „Jugoslawischen Drama-Theaters“ hatte Müller in der vergangenen Woche als Ehrengast der Buchmesse in Belgrad ihre schon seit Jahren bekannte Position wiederholt, die Serben seien als Kriegstreiber für unendliches Leid in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo verantwortlich, deshalb sei das Nato-Bombardement gerechtfertigt gewesen - eine nicht ungewöhnliche, im Westen verbreitete Position. Herta Müller sagte auch, die Serbisch-Orthodoxe Kirche habe in den Kriegen und beim Zusammenbruch Jugoslawiens eine besonders schändliche Rolle gespielt. Die Nato-Bomben auf Serbien im Frühjahr 1999 seien nötig gewesen, um Diktator Slobodan Milosevic zu stoppen.
In der "Frankfurter Allgemeinen" berichtete nun einer der Moderatoren des Abends, Michael Martens, wie immer mehr Zuhörer nach ersten Pfiffen und Buhrufen empört den Saal verließen. Seitdem reißen die Proteste gegen die in Berlin lebende Literaturnobelpreisträgerin, die 1953 im rumänischen Bannat geboren wurde, in den Medien des Landes nicht mehr ab. „Ich hätte sie sofort zurückgeschickt, mit all ihren Büchern“, sagt der Schriftsteller Dragisa Pavlovic. Und „Novosti“-Herausgeber Milorad Vucelic: „Alles, was sie gesagt hat, ist reine Lüge! Außerdem ist sie keine besondere Schriftstellerin, sondern vielmehr eine verängstigte politische Aktivistin.“
Auch der Nationalist Emir Kusturica kritisiert Müller harsch
Der international renommierte Regisseur und als serbischer Nationalist in die Kritik geratene Emir Kusturica schlug in die gleiche Kerbe. „Sie hätte besser zu einer Militärparade oder zur Automobilmesse als zur Buchmesse eingeladen werden sollen“, denn „Alfred Nobel hätte sich im Grabe umgedreht“. Und: „Wenn es Gerechtigkeit gäbe, hätte der Nobelpreis 2009 nicht ihr, sondern dem größten lebenden österreichischen Schriftsteller Peter Handke überreicht werden müssen.“ Handke hatte seit Mitte der 90er Jahre mit seinen proserbischen Äußerungen die Politik- und Literaturszene bewegt. In diesem Zusammenhang hatte er 2006 auf den Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf verzichtet.
Auch die Kirche kritisiert Müller - und erklärt es zur Staatspflicht, dass Frauen Kinder gebären
Die von Müller in Belgrad offen kritisierte mächtige Orthodoxe Kirche erregte zeitgleich mit einem ganz anderen Thema große Aufmerksamkeit. Patriarch Irinej und seine Bischöfe behaupteten, serbische Frauen müssten aus staatspolitischer Pflicht Kinder gebären. Sonst drohe der ruhmreichen Nation der Untergang. Denn wie auch aus den Nachbarländern kehren jedes Jahr Zehntausende enttäuschte Serben ihrer Heimat den Rücken - die meisten in Richtung Deutschland und Österreich.
Und als die serbische Vizeregierungschefin Zorana Mihajlovic den Klerus zurechtwies, das solle man doch bitte getrost den Frauen selbst überlassen, konterte Bischof Irinej: „Damit hat sie ganz bewusst die deutsche Schriftstellerin Müller unterstützt, die für die Kriege im früheren Jugoslawien das serbische Volk und die Orthodoxe Kirche angeklagt hat.“ Die Nummer zwei in der Regierung brauche jetzt als Hilfe entweder einen Geistlichen oder einen Psychiater. dpa/Tsp