Daniel Barenboim bei den Philharmonikern: Herr B. und die Macht der Liebe
Ein überraschender Abend bei den Berliner Philharmonikern: Daniel Barenboim spielt Beethoven, Petrenko dirigiert Josef Suks "Asrael"-Sinfonie
Sollte Daniel Barenboim tatsächlich Konsequenzen gezogen haben aus der lang anhaltenden, heftig geführten Debatte um seinen Führungsstil? Im Online-Magazin „Van“, später auch in diversen anderen Medien hatten ehemalige Mitarbeiter dem Maestro vorgeworfen, er neige zu explosivem Zorn, verliere jedes Maß, wenn er erst einmal in Rage geraten sei, und vergreife sich gegenüber Untergebenen im Ton.
Am Donnerstag aber ist in der Philharmonie eine Interpretation des 3. Klavierkonzertes von Ludwig van Beethoven zu erleben, wie sie sich defensiver, introvertierter und, ja, auch zärtlicher kaum denken lässt. Ein völlig verwandelter Daniel Barenboim scheint da auf der Klavierbank zu sitzen, der durch seinen Drang ins flüsternde Pianissimo, gepaart mit einem Hang zur weihevollen Langsamkeit, Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker ganz schön in Bedrängnis bringt.
So privat ist dieses Tastenspiel, so intim, dass man meinen könnte, der Virtuose habe die 2400 Menschen um ihn herum völlig vergessen, musiziere überhaupt nicht für den Saal, sondern einzig allein für sich selber. Kündigt sich da bei dem 77-Jährigen ein Spätstil an, der inspiriert ist vom Lebensmotto des Gitarristen Jimi Hendrix? Das da lautet: „Wenn die Macht der Liebe die Liebe zur Macht überwindet, erst dann wird es Frieden geben.“
Unter den Linden gibt es jetzt eine "Diskussionskultur"
Vor einem Monat hat Christine Lemke-Matwey in der „Zeit“ berichtet, dass die Vorwürfe gegen Barenboim dabei geholfen haben, Unter den Linden endlich eine echte „Diskussionskultur“ zu etablieren. Die Susanne Schergut, Staatskapellen-Geigerin und seit zehn Jahren im Orchestervorstand, als „hart und offen“ beschreibt.
Wobei sie gleichzeitig betont, durch das uneingeschränkte Bekenntnis der Musikerinnen und Musiker zu ihrem Chef sei auch eine „neue Intensität des Miteinanders“ entstanden. Die gefürchteten Wutattacken jedenfalls habe es seitdem nicht mehr gegeben. Wie eine nonverbale Untermauerung dieser These mutet Beethovens c-Moll-Konzert an: Ihre stärksten Momente hat Daniel Barenboims außergewöhnliche Deutung in den leisen Passagen, die der Pianist bis hin zum völligen Ersterben des Klangs am Ende des zweiten Satzes ausreizt.
Barenboim setzt auf den "Sfumato"-Effekt
Selbst wenn Petrenko und das Orchester ihn im Rondo-Finale provokant zur Heiterkeit auffordern, ihre Zwischenspiele bewusst energetisch angehen, widersteht Barenboim, bleibt konsequent bei seinem abgeklärten Spiel, seinem pianistischen Understatement. Wobei zugleich auffällt, dass er intensiv vom Pedal Gebrauch macht. „Sfumato“ nennt man den Effekt elegant im Musikeritalienisch, übersetzen lässt sich das prosaisch mit „verraucht, vernebelt“.
Der Begriff stammt ursprünglich aus der Ölmalerei und beschreibt eine Technik, bei der Konturen bewusst verwischt werden. In der Musik eignet sie sich dazu, an heiklen Stellen Flüchtigkeitsfehler zu verdecken. Oder Konflikte.
Daniel Barenboims überraschende, heftig bejubelte Beethoven-Delikatesse lässt fast vergessen, dass im Zentrum des Abends eigentlich Josef Suks „Asrael“- Sinfonie steht. Der tschechische Komponist liegt Kirill Petrenko sehr am Herzen, von den sechs CDs, die er bis zu seinem Amtsantritt als Philharmoniker-Chef veröffentlicht hat, war die Hälfte Suk gewidmet.
Petrenko will den Philharmonikern Josef Suk nahebringen
"Einen der wahrhaft großen spätromantischen Komponisten“ nennt Petrenko den 1874 Geborenen und will darum dessen Werke natürlich auch seinem neuen Orchester nahebringen. Nur zwei Mal haben die Berliner Philharmoniker die nach dem Todesengel Asrael benannte Sinfonie bislang gespielt, 1964 unter Karel Ancerl und 1992 unter Simon Rattle – der am Donnerstag unter den neugierigen Zuhörern sitzt.
Die Musikerinnen und Musiker folgen Petrenko mit Hingabe und Konzentration, filigrane Klanggespinste sind zu bestaunen, herrliche Klangwolken steigen auf, machtvoll entlädt sich Suks Schmerz über den Verlust seiner Frau Ottilie und seines Schwiegervaters Antonin Dvorak. Zugleich wird aber auch klar, wieso das Oeuvre des Tschechen gründlich in Vergessenheit geraten konnte.
Alles ist hier Stimmungsmalerei, unablässig wird Neugier geweckt auf das, was folgen könnte. Doch anders als bei Dvorak gibt es keine Melodien, die ins Ohr gehen, das Hauptthema des Kopfsatzes wirkt, als würden Verzweifelte ihre Arme gen Himmel recken, das melancholische Seitenthema ist eine Kantilene ohne Ziel. 60 Minuten lang wogt diese Musik auf und ab, hochemotional, mal brütend, mal aufbrausend, doch es bleibt eine Erzählung ohne Entwicklung.