Klassik-CD der Woche: Herbert von Karajan - Remastered
Die bei Warner Classics erschienenen Archivaufnahmen zum 100. Geburtstag von Herbert von Karajan sind technisch komplett überarbeitet. Das Ergebnis ist atemberaubend.
Als sich die Klassikwelt 2008 zu seinem 100. Geburtstag an Herbert von Karajan zu erinnern versuchte, war ein Grundton nicht zu überhören: Wie gut, dass wir ihn heute nicht mehr brauchen. Die Klassik genoss ihren endgültigen Eintritt in die postautoritäre Phase, in der jeder Musiker ein Solist sein sollte. Wenn jetzt der 25. Todestag Karajans begangen wird, hat sich das Klangbild gewandelt – und man gedenkt des lebenslangen Schönheitssuchers wieder mit einer gewissen Neugier.
In den Hintergrund tritt dabei die erdrückend dominante Rolle, die Karajan ab Mitte der fünfziger Jahre auf den Podien Europas spielte. Auf die Frage eines Taxifahrers, wohin er den wolle, antwortete der eilende Pultstar damals: „Wohin Sie wollen, ich werde überall gebraucht.“
Nein, wir brauchen Herbert von Karajan nicht mehr, der am 16. Juli 1989 in Anif bei Salzburg in den Armen von Sony-Chef Norio Ohga starb, während er seinen digitalen Nachlass ordnete.
Wir können ihm wieder zuhören, ohne über beide Ohre n in Autoritätskonflikten zu versinken. Und das ist ein Glück, wie es etwa die Strauss-Karajan-Box der Deutschen Grammophon ahnen lässt. Auch das Orchester, dem er auf Lebenszeit vorstand, geht jetzt einen multimedialen Schritt auf den in Streit und Verbitterung geschiedenen Exchef zu. In die Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker halten neben kompletten Audio-Zyklen jetzt auch Videos Einzug, die Karajan in den sechziger und siebziger Jahren mit Unitel produziert hatte. Jahrelang schlummerten die Filme bei minus sieben Grad in einem Keller in Unterföhring. Nun ist endlich die Zeit der Auferstehung gekommen.
Das gilt auch für die Aufnahmen aus den Archiven der EMI, die mittlerweile zu Warner Classics gehören. Der legendäre EMI-Chef Walter Legge hatte Karajan bereits 1946 in Wien unter Vertrag genommen. In London spielte der Maestro mit Legges Philharmonia Orchestra unter anderem einen fulminanten Beethoven-Zyklus ein. Techniker der Abbey Road Studios haben die alten Bänder jetzt überarbeitet. Das Ergebnis ist atemberaubend. Die 1955 freigegebene Mono-Version der Neunten etwa erstrahlt 2014 in lichtem Stereoklang, frei schwingend, mit feuriger Klarheit. Karajan, der ewig Unzufriedene, würde beim Abhören der „Official Remastered Edition“ hin und wieder kurz lächeln. Leise, natürlich.
(Erschienen bei Warner Classics)
Ulrich Amling