Nachruf auf Alexander Kögler (Geb. 1957): Selbst ein Rockstar? Wie uncool!
In der West-Berliner Szene war er der lässigste. Es fehlte ihm nur an Beständigkeit. Seine „15 Minutes of Fame“ dauerten immerhin 16 Monate. So lange betrieb er das „Risiko“.
Im Krankenhaus wurde er noch wegen des Gehirntumors operiert, dann kam er in ein Hospiz, geschwächt von Hepatitis, Leberzirrhose und neuen Tumoren. Am Ende Morphium gegen die Schmerzen, gegen die Angst, gegen das Leben und dessen letzte Härten. So keuchte sich Alex Kögler aus dem Leben, segelte davon.
Sabina war bei ihm, hat sein Verschwinden auf Fotos festgehalten, als sie ihn selbst nicht mehr festhalten konnte. Da war er schon lange nicht mehr der Alex, mit dem sie gelebt hatte. Lange her. Als sie ihn wiedergetroffen hatte, war er kaum mehr wiederzuerkennen gewesen, aufgedunsen, zahnlos, weiß- und schütterhaarig. Ein Greis mit Mitte fünfzig.
Seine Eltern hatten sich getrennt, als er sieben war. Sein Vater, ein bekannter Maler, war fortgegangen aus Berlin. Die Mutter schickte Alex in ein Internat am Starnberger See, die Schule brach er ab, und dann, zurück in Berlin, hat er auch die Fotografenlehre bald wieder hingeschmissen. Das war die einzige richtige Arbeit, der er je nachgegangen ist. Eine gute Zeit, wie er sich später erinnerte.
Es heißt, dass Süchtige emotional stehen bleiben in dem Lebensjahr, in dem sie der Sucht zum ersten Mal nachgeben. Alex war 15, als er mit dem Heroin anfing. Noch als Erwachsener trug er diese weichen, jungenhaften Gesichtszüge und blieb vor jedem Spielzeugladen stehen, drückte sich am Schaufenster die Nase platt. Weihnachten war er immer bei seiner Mutter. Ein Ritual, das eigentlich nicht passte zu seiner Antispießerattitüde. Genauso wenig wie bestimmte Redewendungen, die er gerne benutzte: „Ach, wie süß!“ oder „Ist das niedlich!“, ganz ohne Ironie.
Aber sonst war Alex ein cooler Typ. Auch wenn, oder gerade weil er nicht so rumlief, wie es damals in der harten Berliner Leder- und Nieten-Punkszene üblich war. Als nichtberlinernder Berliner gab er sich als Dandy in Maßanzügen, feinen Hemden und Krawatten, Mänteln aus guten Stoffen und mit edlen Schals. Weil er mit seinen kräftigen dunklen, grau melierten Haaren aussah wie eine Mischung aus Tony Curtis, Robert Mitchum und Bryan Ferry, wirkte seine Aufmachung weder lächerlich noch maskiert. Sogar die wildesten Punks fanden ihn cool.
Sabina ist er sofort aufgefallen und sie ihm. Anfang der Achtziger im Café Central am Nollendorfplatz kamen sie ins Gespräch und betranken sich. Es dauerte dann eine Weile, bis allen anderen auffiel, dass sich hier ein schillerndes Szene- Paar gefunden hatte.
So charismatisch er wirkte, so gering war sein Glaube an sich selbst. Heroin half und Alkohol sowieso, bis zur Besinnungslosigkeit. Neben seiner Passion für den amerikanischen Schriftsteller Jim Thompson und besonders dessen dunklen Roman „The Killer Inside Me“ hatte es ihm die Fernsehserie „Ein Herz und eine Seele“ mit Ekel Alfred angetan. Gegensätze im Leben, Gegensätze in den Vorlieben. Er liebte Donald Duck, den ewigen Verlierer. Micky Maus, den altklugen Spießer, konnte er nicht ausstehen.
Alex lachte, erzählte lustige Geschichten, zitierte Heinz Erhardt, imitierte, improvisierte und betrank sich. Doch vor allem begeisterte er sich für Musik. Für die deutschen Elektroniker von Kraftwerk und Can, die kantige Deutsch Amerikanische Freundschaft, den knarzigen Captain Beefheart und den smarten Bryan Ferry. Später dann Frankie Goes To Hollywood: „Relax, don’t do it“. Und Sinead O’Connor: „Nothing Compares To You“. Alex imitierte die Stars mit ihren Posen und Sabina fotografierte ihn. Sie dokumentierte sein Leben als Gesamtkunstwerk, die große Pop-Illusion: Jeder kann ein Star werden.
Aber selbst ein echter Rockstar werden? Das wäre mit Arbeit verbunden gewesen – wie uncool. Arbeit war nichts für den Dandy, der von regelmäßigen Zuwendungen seiner Mutter lebte, finanziert aus der Erbschaft ihres Vaters, des expressionistischen Malers Arthur Degner.
Ein paar Mal stand er aber doch auf Bühnen. Die unglaubliche Alex Kögler Band war wohl mehr Name als eine beständige Band. Mit Frieder Butzmann und der Gruppe Wir und das Menschliche e. V. trat er am 4. September 1981 vor 1400 Zuschauern im Tempodrom auf, beim „Festival Genialer Dilletanten“. Volltrunken stand Alex auf der Bühne und kreischte: „Ich liebe dich!“ Hinter Lärm und Show und Suff eine Liebeserklärung an Sabina. Und Höhepunkt und Ende seiner Musikerkarriere.
Das "Risiko": seine Nonstop-Party
Das Weitermachen, das Beständige, das Bemühen um etwas war nicht seine Sache. Fand er langweilig, spießig. Lieber noch mal etwas ganz anderes machen.
Er wurde Kneipier. Nach einer Erbschaft übernahm er das „Risiko“ an den Yorckbrücken, eröffnete den Laden vor genau 30 Jahren, Silvester 1984, neu. Die schmale Bar, designt von Sabina, kühl und schmucklos, wurde für unzählige Künstler zum nächtlichen Wohnzimmer. Alex war der Gastgeber, um den sich all die Gestalten scharten, von denen manche große nicht groß blieben und klein nicht manche kleine. Nick Cave, Wim Wenders, Rainer Fetting, Jim Jarmush, Jeffrey Lee Pierce, Anita Lane, Lydia Lunch, Alan Vega, Christiane F., Bela B. waren da. Blixa Bargeld von den „Einstürzenden Neubauten“ stand hinterm Thresen.
Die Bar als Bühne, und Alex, der Superfreund, stand im Mittelpunkt einer Nonstop-Party. Seiner Party. Wo sie alle Drogen konsumierten und Happenings beiwohnten, wo die wahnwitzigsten Pläne entstanden und verworfen, Bands gegründet und aufgelöst wurden. Alex soff mit allen, ließ sie umsonst saufen, nahm Drogen mit allen als Medizin und Spaßmittel, zur Beflügelung, zum Abheben.
Im Morgenlicht stolperten sie hintereinander aus der schmalen, stählernen Tür, die zwei Stufen runter auf die Yorckstraße. Um die organisatorische und geschäftliche Seite seiner Kneipe kümmerte Alex sich weniger. Für die Drogen griff er in die Kneipenkasse, und gelegentlich versteckten seine Tresenleute sie vor ihm, damit noch was für die Miete und Getränkelieferungen übrig blieb. Die Getränke gingen auch so oft genug aus. Dann lief Alex zu „Leos Futterkrippe“ an der nächsten Ecke, um sich ein paar Paletten Dosenbier auszuleihen. Und wenn die Heizung nicht mehr lief, holten sie einen Kanister Öl von der Tankstelle gegenüber. Samstags gab es Prügeleien. Wenn Alex angeschlagen am Boden lag und ihm das Blut übers Gesicht lief, hatte er immer noch diese weichen, kindlichen Züge, und trotz Dreck und Blut strahlte er immer noch seine dandyhafte Eleganz aus. Sabina hat es fotografiert, das Gesamtkunstwerk Alex Kögler. Trinkend, blutend, auf Speed und Heroin, am Boden. Seine Warhol’schen „15 Minutes of Fame“ dauerten 16 Monate. Am 30. April 1986 schloss das „Risiko“. Die Party war vorbei, alles weg, die Gäste, die Freunde, Bier alle, Geld alle. Nur das Finanzamt war noch da mit seinen Forderungen.
Alex fiel in die Bedeutungslosigkeit. Und erhöhte die Dosis seiner Rauschmittel. Bis er merkte, dass es zu viel wurde. Anfang der Neunziger zog er zu seiner Mutter nach Malta. Er versuchte einen Heroinentzug – und entdeckte die Codein-Tabletten, die rezeptfrei in den Apotheken zu bekommen waren. Er zog mit Sabina für eine Weile in die Hauptstadt La Valetta, immer auf der Suche nach den Apotheken mit den Lieblingspillen.
Von Malta zogen sie dann nach Antwerpen, die belgische Hafenstadt, Europas Drogenumschlagplatz. Harte Zeiten für den weichen Alex. Sie wohnten in einer Gegend, wo Polizeirazzien an der Tages- und Nachtordnung waren. Sabina hat es fotografiert. Auch wie Alex auf seinen Dealer wartete, total verloren in Antwerpen. Wo die Junkies in Alex’ Wohnung Rohre und Leitungen aus den Wänden rissen, um das Kupfer zu verkaufen. Wo er fast gestorben wäre an einer Überdosis und ihn Sabina gerade noch festhalten konnte im Leben. Wo sie selber fast gestorben wäre vor Angst. Bis er die Augen wieder aufmachte und sie glasig ansah: „Was ist los?“ Irgendwann haben sie sich gestritten, und Alex hat gesagt, sie solle gehen. Hat sie gemacht, ist nach Berlin gegangen, hat einen Entzug gemacht. Alex blieb.
Als seine Mutter starb, zog er in ihr altes Reihenhäuschen in Tempelhof. Er hat alles so gelassen, wie es war. Nur die Pflanzen sind vertrocknet. Irgendwann besuchte er wieder Sabina. Er könne bleiben, sagte sie, aber die Flasche, die er dabeihatte, müsse weg. Da ging auch er.
Zum Schluss war er in einem Methadonprogramm. Doch gab er jetzt ohnehin dem Alkohol den Vorzug vor dem Heroin. Weil das Verschwinden länger dauert mit Alkohol, das Hinübergleiten in den Rausch, die schönste Phase eigentlich. Zum Schluss bekam er Morphium und segelte davon. Sabina war bei ihm und sah ihn plötzlich wieder so, wie sie ihn kennen gelernt hatte vor 33 Jahren. Jung und schön.
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