Förderung der Berliner Literaturszene: Hegt und pflegt uns
Die Berliner Literatur-Institutionen und die freie Szene fordern vom Senat eine Erhöhung ihrer Mittel. Die Zeit ist reif dafür
Thomas Bernhard, der größte Subventionierungsfeind der deutschsprachigen Literatur, war in Geldfragen hemmungslos gespalten. „Künstlern“, schimpfte er, „soll man die Türen, durch die sie gehen wollen, absolut versperren und zumachen. Man soll ihnen gar nichts geben, sondern sie bei der Tür hinausschmeißen.“ Jede Form öffentlicher Alimentierung, glaubte er, mache Künstler zu zahnlosen Kriechern. Zugleich war er für die Segnungen gut dotierter Auszeichnungen durchaus empfänglich. „Ich bin geldgierig, ich bin charakterlos, ich bin selbst ein Schwein“, gestand er in seinem aus dem Nachlass erschienenen Text „Meine Preise“ und verteidigte sich damit, dass sonst ja weniger begabte Dummköpfe die Profiteure seien und der Staat ohnehin nicht genug bluten könne.
Von solcherlei Absolutismen ist die Diskussion über die Subventionierung von Kultur weit entfernt. Über die gesellschaftliche Pflicht, Musiker, Maler und Schriftsteller, die nicht von vornherein das breite Publikum bedienen, vor der reinen Herrschaft des Markts zu schützen, herrscht nicht nur in Berlin Einigkeit – und wenn es dabei um die utilitaristisch gedachte Umwegfinanzierung touristischer Standortvorteile geht. Niemand glaubt, dass wahres Talent erst im Angesicht von ungeheizten Wohnungen, Tütensuppe und Zwangsvollstreckung so richtig in Fahrt kommt. Und die Furcht, den literarischen Garten mitsamt seinem Wildwuchs in Staats- und Landesmitteln zu ertränken, ist angesichts der Förderungsdürre absurd.
Freie Szene will Anhebung der Projektförderung um eine halbe Million Euro
Tatsächlich steht Berlin vor der Situation, mangels ausreichender Wässerung über kurz oder lang auch seine schönsten Beete vertrocknen zu lassen. An diesem Punkt, inmitten trügerisch blühender Landschaften, sieht sich die Literatur in der Hauptstadt angekommen. Die im vergangenen Januar unter dem Namen Berliner Literaturkonferenz neu gegründete Allianz von traditionellen Institutionen und freier Szene fordert vom Land für den kommenden Haushalt eine deutliche Erhöhung der Mittel. Die Institutionen – das Literarische Colloquium am Wannsee, das Literaturhaus in der Fasanenstraße, das Literaturforum im Brecht-Haus, die Literaturwerkstatt in der Kulturbrauerei und LesArt, das Zentrum für Kinder- und Jugendliteratur – haben einen Mehrbedarf von zusammen rund 800 000 Euro errechnet. Eine bescheidene Summe, wenn man bedenkt, dass ihre Etats seit 1998 gedeckelt sind. Jenseits der Angleichung von Betriebs- und Nebenkosten oder Mietsteigerungen gab es in all diesen Jahren nicht einmal einen Inflationsausgleich.
Das Netzwerk der freien Szene, zu der unter anderem die Lettrétage, die Berliner Literarische Aktion, der Buchhändlerkeller und das Festival Latinale gehören, ruft nach einer Anhebung der Projektförderung um eine halbe Million Euro – ausgehend von derzeit gut 60 000 Euro. Dazu kommen Ansprüche auf neue Haushaltstitel wie eine Lesereihenförderung und Raumprogramme, die geeignet sind, im Umfeld dramatisch steigender Gewerbemieten Co-Working-Spaces oder Konferenzräume zu schaffen.
Es geht darum, eine finanzielle Basis zu schaffen
Vielfach geht es darum, dort, wo bisher ausschließlich für Gottes Lohn gearbeitet wurde, überhaupt erst eine finanzielle Basis zu schaffen. Weiterhin träumt man von einem Sonderfonds, der allen Veranstaltern für neue, insbesondere digitale Präsentationsformen und Infrastrukturmaßnahmen offensteht. Der Futurismus dieser Forderung ist etwa für die Literaturwerkstatt, die mit lyrikline.org eine internationale Netzplattform für Poesie betreibt und dazu auch europäische Mittel in Anspruch nimmt, längst beispielhafter Alltag. Schließlich wünscht sich die Literaturkonferenz die Verdopplung der Autorenstipendien des Senats auf 32 und die Ausdehnung der Laufzeit auf ein Jahr, dazu die Wiedereinführung von Übersetzerstipendien. Die Summe aller Maßnahmen wird auf drei Millionen Euro pro Jahr beziffert.
Mit den Senatsstipendien sieht es in einem ersten Entwurf für den Doppelhaushalt 2015/16, der Ende des Jahres verabschiedet werden soll, gut aus. Auch die freie Szene darf auf eine vorsichtige Erhöhung von kuratorischen Mittel und Spielortzuwendungen hoffen, die nicht allein im Literaturetat ressortieren. Die bleibenden Verlierer sind die Institutionen. Zwar werden Betriebskosten- und Mietsteigerungen ausgeglichen, der seit Jahren durch interne Umschichtungen bis auf ein Drittel geschrumpfte Programmetat, aus dem die Sichtbarkeit der Häuser und ihrer unterschiedlichen Profile entsteht, stagniert weiterhin. Bei einem Anteil am gesamten Kulturhaushalt, der von den Beteiligten auf gerade einmal 0,4 Prozent beziffert wird, ist das schwer nachzuvollziehen.
Jetzt ist Fantasie von der Politik gefragt
Die Fantasie, die der Literatur in den letzten Jahren mit Improvisationsgeist, Selbstausbeutung und Drittmittelakquise über die Runden geholfen hat, verlangt sie zu Recht auch von der Politik, die sich aus Töpfen wie dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) offenbar nur unzureichend bedient. Denn die Literatur erlebt eine Zeitenwende, in der Graswurzelaktivitäten und die Internationalisierung der Berliner Szene mit der rücksichtslosen Ökonomisierung der Verlagswelt kollidiert.
Von der Hege und Pflege der literarischen Szene.
Moritz Malsch gehört zum vierköpfigen Leitungsteam der Lettrétage, eines freien Literaturhauses, das seit Sommer 2013 in den ehemaligen Räumen des Schwulen Museums am Mehringdamm residiert. Ihm und seinen Mitstreitern liegen neue Präsentationsformen von Literatur am Herzen - ganz im Wissen darum, dass das Gelingen einer Skype-Lesung nicht anders als dasjenige der viel verspotteten Wasserglaslesung vor allem davon abhängt, ob ein kompetenter Moderator und ein eloquenter Autor miteinander ins Gespräch kommen. Martin Jankowski von der Literarischen Aktion wiederum sieht die Geschichte der literarischen Szene in einer Art Dreischritt. Im alten West-Berlin, vor allem in den bewegten Jahren um 1968, habe das Literarische Colloquium (LCB) am Wannsee eine entscheidende Rolle gespielt, die seit 1986 vom Literaturhaus, deutschlandweit dem ersten seiner Art, flankiert wird. Nach der Wende habe die 1991 gegründete Literaturwerkstatt mit ihrer Konzentration auf zeitgenössische Poesie ein neues Kapitel aufgeschlagen. Nun, im Jahr 2015, sei es an der Zeit, die Aufbruchsstimmung einer in vielen Zungen sprechenden Stadt zu würdigen. I
Es geht darum, den literarischen Reichtum in einem Moment auszustellen, in dem die Mieten, seit jeher Berlins bestes kulturpolitisches Argument, in die Höhe schießen. Mehr denn je leben in der Stadt namhafte Autoren aus aller Welt. Es gibt englische und französische Buchhandlungen, eine spanische und eine polnische – in Gestalt der Edition Vipen sogar einen Verlag, der vietnamesische Literatur auf Deutsch und Vietnamesisch publiziert. Berlin war zwar schon zu Mauerzeiten abenteuerlich international, aber die heutige Vielfalt findet noch viel zu sehr in abgeschotteten Zirkeln statt, die man endlich füreinander öffnen könnte. Dazu kommt, dass Literatur als Selbstverständigungsmedium der bürgerlichen Öffentlichkeit, ganz ohne eigene Schuld, einen Teil ihrer früheren Bedeutung eingebüßt hat. Sie bleibt die leiseste, unspektakulärste und mit etwas Glück gedanklich intensivste aller Künste, der man in der Konkurrenz der Formen nicht unbedingt einen Gefallen damit tut, sie zum Event aufzublasen.
Der Staat darf Institutionen nicht weiter strangulieren
Die in der Literaturkonferenz zusammengeschlossenen Veranstalter, die sich, wie es in ihrem Konzept heißt, an „Abbildung und Konstituierung“ der hiesigen Szene versuchen, sind bei Weitem nicht die einzigen Akteure in der Stadt. Zu ihnen gesellen sich engagierte Veranstalter wie die Charlottenburger Autorenbuchhandlung oder der Georg-Büchner-Buchladen am Kollwitzplatz, die Botschaften, der DAAD mit seinem Berliner Künstlerprogramm, das Haus der Kulturen der Welt, die Stiftung Brandenburger Tor oder die Allianz Kulturstiftung, die Akademie der Künste, die Stiftungen der Parteien und die Bundeskulturstiftung, das bei den Berliner Festspielen untergeschlüpfte Internationale Literaturfestival, das auch während des Jahres Lesungen organisiert, sowie die Verlage: eine bunte Mischung von privatwirtschaftlichen, politischen und mäzenatischen Kräften regionalen und überregionalen Ursprungs. Vitale Fragen wie die Buchpreisbindung sind obendrein an europäische und transatlantische Entwicklungen geknüpft.
Es liegt also nicht allein in den Händen des Senats, die Hege und Pflege der literarischen Szene zu betreiben. Im unendlich diversifizierten Literaturgeflecht Berlins ist es aber seine Aufgabe, dafür zu sorgen, Institutionen nicht so weit zu strangulieren, dass ihnen noch die Basisfinanzierung für willige Drittmittelgeber misslingt. Geld generiert auch hier Geld – um einmal nicht davon zu reden, dass auf diese Weise Akteure an einen Tisch gebracht werden, die gemeinsam ein größeres Publikum anziehen können.
Nicht alles, was da zum Licht strebt, wird sich als Schatz entpuppen. Aber um den Wert dessen, was da inmitten des jetzt schon sichtbaren Reichtums vor sich hinschlummert, beurteilen zu können, muss es erst einmal geborgen werden. Eine Kulturpolitik, die das nicht ausreichend würdigt, ist eine Schande.
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