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Kräfte, die Gutes wollen - und vielleicht Böses schaffen. Der von Andrea Nahles und Ursula von der Leyen angestrebte Mindestlohn für Praktikanten stößt gerade bei freien Kultureinrichtungen nicht immer auf Gegenliebe.
© dpa

"Angemessene Vergütung" für Praktikanten: Mindestlohn killt Kreativität

Die Freie Szene braucht eine bessere Förderung. Doch können sich kleinere Kulturbetriebe sich die Vergütung ohne den Staat überhaupt leisten?

Zwei Frauen, die das Gute wollen. Andrea Nahles und Ursula von der Leyen haben sich in der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales der Koalitionsgespräche darauf verständigt, dass auch Praktikanten künftig ihren Mindestlohn bekommen. Sofern die Praktika nicht Teil von Schule, Berufsausbildung und Studium seien, müsse es eine „angemessene“ Vergütung geben, so Nahles. Nur leider wird hier durch einen Eingriff in die Vertragsfreiheit das Problem auf den Kopf gestellt.

Praktika sind ein individueller Teil der Ausbildung, eine praktische Ergänzung zum Studium. Man kann Berufe ausprobieren, Kontakte knüpfen und Betriebsabläufe kennenlernen. Dieses selbstbestimmte Lernmodul steht nun zur Disposition. Spielen wir das einmal für die Kulturbranche durch – eine Branche, die bekanntlich besonders rücksichtslos mit ihren Praktikanten umspringt: Ganze Erwerbsbiografien setzen sich hier aus prekären Arbeitsverhältnissen zusammen, wobei sich Erwerb oft auf den Erwerb von Ruhm und Ehre, guten Kontakten und gelegentlichen Förderhäppchen beschränkt.

Grob vereinfacht besteht die Kulturlandschaft aus zwei Teilen: den staatlich geförderten Institutionen (ein paar normal bezahlte Angestellte und viele unbezahlte Praktikanten) sowie der freien Szene (viele unterirdisch bezahlte Selbstständige und viele unbezahlte Praktikanten). Beiden Gruppen gemeinsam ist, dass sie wohl auch in Zukunft ihre Praktikanten nicht bezahlen können – es sei denn, der Staat gibt Geld.

Bei den Institutionen besteht in dieser Hinsicht wohl eine gewisse Aussicht auf Erfolg – bei den freien Trägern wohl eher nicht. In jedem Fall würde der Zugang zu Praktika im Kulturbereich so rationiert und gesteuert: Ein Praktikum wäre dann eine staatliche Wohltat. Das widerspricht der Kunstfreiheit und wirft insbesondere der freien Kulturszene zusätzliche Knüppel zwischen die Beine.

Ein unbezahltes Praktikum zu bekommen ist nicht leicht!

Als wir vor sieben Jahren das Literaturhaus Lettrétage gründeten, dachten wir nicht im Traum daran, unseren Lebensunterhalt jemals mit dieser Arbeit zu verdienen. Wir wollten jung sein, etwas gestalten, den Gastgeber spielen, etwas in Gang setzen. Bis vor einem Jahr verdienten wir kaum Geld. Honorare aus Projektförderungen wogen lange Zeit nicht einmal die aus eigener Tasche bezahlten Investitionen auf. Dies ist kein Einzelfall. Auch viele der Veranstalter, Verlegerinnen, Künstler und Autorinnen, die jeder Feuilleton-Leser kennt, verdienen nichts oder zahlen drauf. Was ist vor diesem Hintergrund eine „angemessene“ Praktikumsvergütung?

Einen unbezahlten Praktikumsplatz in der Lettrétage zu bekommen ist heute gar nicht so einfach. Die Zahl der Bewerbungen übersteigt bei weitem die Zahl der Plätze. Nur die besten kommen durch: Schon ein paar Rechtschreibfehler im Anschreiben können zum Ausschluss führen. Würden all diese Leute eine Ausbildung zum Klempner machen, sie würden mit 20 deutlich mehr verdienen als wir mit 37. Es scheint also andere Gründe als Geld dafür zu geben, sich für ein Praktikum bei uns zu interessieren: Sei es eine erste Orientierung im Literaturbetrieb und seinen Berufsfeldern, Literaturleidenschaft oder auch nur eine Berlin-Auszeit nach dem Studium, verbunden mit einer als sinnhaft empfundenen praktischen Arbeit. Müssten wir Praktika bezahlen, gäbe es bei uns keine. Natürlich leben unsere Praktikanten nicht im Wohlstand. Aber: Das Schicksal ist selbstgewählt, und oft können die Akademikereltern nach vielen Jahren Gymnasial- und Studienzeit auch noch zwei Monate Berlinaufenthalt ohne Probleme finanzieren.

Die freie Kulturszene ist ein flexibler Möglichkeitsraum. Er bietet die Chance, neben neuer Kunst auch neue Modelle des Zusammenlebens und -arbeitens auszuprobieren. Und dies geschieht auch, wo ihr die Gelegenheit dazu gegeben wird. Damit wir diese Arbeit noch besser machen können, brauchen wir eine bessere, eine angemessene Förderung der freien Szene, kein Betätigungsverbot für junge Enthusiasten.

Der Autor, 1976 in Berlin geboren, gründete 2006 zusammen mit Tom Bresemann in Kreuzberg das freie Literaturhaus Lettrétage. Der studierte Germanist und Musikwissenschaftler leitet auch den hauseigenen Verlag.

Moritz Malsch

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