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Still, ganz still. Ulrich Tukur beherrscht als Clemens Trunschka auch das von allen Regungen gereinigte Gesicht.
© Farbfilm Verleih

Neuer Film mit Ulrich Tukur: Headhunter, die Bourbon trinken

Fein komponierte Bilder, suggestive Musik: Bastian Günthers Film „Houston“ mit Ulrich Tukur in der Hauptrolle.

Sein Name ist Trunschka, Clemens Trunschka. Er ist kein Held wie Bond, James Bond, aber ein Headhunter, immerhin. Er fährt nicht Aston Martin, aber darf auf Recherche das große Rad drehen und zu windigen Automechanikern Sätze sagen wie „Die 500 gibt’s gleich, die restlichen 1000 hinterher“. Und den Martini trinkt er weder geschüttelt noch gerührt, sondern Bourbon, wenn’s pressiert, aus der Flasche. Oder ein anderweitig angenipptes Party-Glas Rotwein auf ex.

Ja, Trunschka hat ein Alkoholproblem. Es schmiedet ihn nachts im Tiefschlaf fest auf den Beifahrersitz, weshalb Frau Trunschka Herrn Trunschka schon mal in der Garage parkt. Und Trunschka nimmt es mit nach Houston ins Highland-Hotel, wo er Ringer ausfindig machen soll, Steve Ringer. Ringer ist CEO bei Houston Petrol, und Trunschka soll ihn diskret anbaggern für den Vorstandsposten bei einem Autokonzern, weshalb Borgmann ihn anheuert für den Job. Borgmann wer? Borgmann hat keinen Vornamen, aber einen freundlich lauernden Duzblick. Und ein Handy, das klingelt lauter als jeder Spitzname.

Und da gibt es Wagner, der sich Wäggna ausspricht, sehr amerikanisch, Robbat Wäggna, aber Clem darf ruhig Rob zu ihm sagen. Wagner hat auch so einen Agentenjob: Im Auftrag der Highland-Hotels checkt er diskret, ob der Service stimmt. Wenn etwa der Barmann zu reichlich einschenkt, dann ist das insofern gut für Rob, als auch er ein Alkoholproblem hat, aber schlecht für den Barmann. So läuft das in Houston. Und morgen in L. A. oder Philly oder in Baltimore, überall eben, wo Rob ist und wo die Highlands stehen.

So geht das los: Bei der Konferenz noch in Deutschland verpennt Clem die unauffällige Ranwanze an Ringer, dafür darf er anderntags nach Texas. „Sind doch nur’n paar Tage“, sagt er zu seiner Frau, aber in Houston hat er bald mehr als bloß das Alkoholproblem. Auch hier kommt er an Ringer nicht ran, aber da ist Rob, der kommt rum und kennt Ringer, jedenfalls gibt er das zu verstehen. Und Clem hat nur diese paar Tage in Houston, und manchmal steht er nachmittags am Hotelfenster und sieht einem an der Fassade hinabgleitenden Papierstückchen hinterher, und die Eiswürfel klirren im Glas und klirren und klirren.

Das ist fast die ganze Story, und Clem immer mittendrin. In der Geschichte um die aufhaltsame Annäherung an Ringer und den umso unaufhaltsameren Abstieg von Clem, so langsam, wie ein Papierchen da runtersegelt zwischen Hochhäusern. Clem ist irgendwie draußen aus allem, ein bisschen wie in der Szene am Anfang, als der Testfahrer auf dem Rundkurs die Hände vom Lenkrad nimmt und zu Clem sagt: „Wir werden nur von den Kräften gesteuert.“

Die Marktkräfte. Die Kraft eines Auftrags, der einen nach Texas katapultiert. Die Kraft des Alkohols, der einen in den Rausch haut und voll in Klamotten in die Wanne, bis das Wasser eiskalt ist und man selber halbtot. Oder Robs amerikanisch rohe, aber herzliche Kraft, immer da zu sein im falschen Moment, wobei der doch womöglich gerade der richtige ist. Die Kraft des Alleinseins im Dabeisein, der Sog des Nirgendwohingehörens, die Kraft der Grundfremdheit im Leben.

„Houston“ ist der schwierige zweite Film nach einem ersten, aber der Autor und Regisseur hat mit seinen Leuten alles richtig gemacht – von den fein kadrierten Cinemascopebildern (Michael Kotschi) über den jedes Alltagsnebengeräusch instrumentierenden Ton (Christoph Schilling, Martin Pedersen) bis zu Michael Rothers suggestiv minimalistischem Score. Fabelhaft auch Rob (Garret Dillahunt) und Borgmann (Wolfram Koch), absolut auf dem Punkt.

Tukur, Ulrich Tukur, ist Trunschka – ein Wagnis eigentlich, denn für die Rolle des leise über die Lebensmitte hinwegschlitternden White-Collar-Männchens fallen einem eher Altersgenossen wie Ulrich Noethen oder Axel Milberg ein oder Joachim Król. Aber Tukur kann auch das, die Kafka-Nummer, das von allen Regungen gereinigte Gesicht, den Stillen in der Strafkolonie unter der Sonne. Prozess und Schloss und Riegel, ohne dass irgendwer ein Urteil fällt. Vieles, was das deutsche Kino auszeichnet, fehlt in „Houston“, und vieles, was das amerikanische auszeichnet, trotz Houston sowieso. „Houston“ ist ein Film von Günther, Bastian Günther – auch er ein Agent, einer für Filme, die mit Zaubertinte auf ein Papierstückchen geschrieben sind. Wer Glück hat, dem schwebt so eins vor den Augen vorbei.

CinemaxX Potsdamer Platz, Hackesche Höfe, Lichtblick-Kino, Moviemento

Jan Schulz-Ojala

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