Daniel Libeskind: Haus im Haus: Das Jüdische Museum Berlin hat jetzt eine Akademie
Hier wachsen neue Wurzeln: Daniel Libeskind hat die Blumengroßmarkthalle in der Lindenstraße zur Akademie des Jüdischen Museums Berlin umgebaut. Er ging mit der ihm eigenen Radikalität ans Werk.
Es war wohl doch keine gute Idee, die ehemalige Blumengroßmarkthalle dem Jüdischen Museum für dessen Akademie zu überantworten. Von vielen gewollt war die Nutzung der leer stehenden Sheddachhalle zwischen Linden- und Friedrichstraße als Berliner Kunsthalle. Warum die bestechende Idee nicht weiterverfolgt wurde, weiß wohl nur der Kultursenator, der in Personalunion Regierender Bürgermeister ist. Für die Jüdische Akademie wäre neben der Halle der Platz vorhanden gewesen, auf dem Daniel Libeskind einen eigenständigen und sicher wieder Furore machenden Neubau hätte errichten können.
Stattdessen musste er sich mit der 6400 Quadratmeter großen Halle auseinandersetzen, die Hochbauamtsarchitekt Bruno Grimmek – von ihm stammen z. B. Messehallen und das Amerika-Haus – 1962 bis 65 erbaut hat. Geistesarbeit in einer industriell geprägten Halle unterzubringen, das war Libeskinds schwierige Aufgabe. Und er ging mit der ihm eigenen Radikalität ans Werk.
Um in der weiten und hohen Halle intime Räume zu schaffen, in denen gelesen, geforscht, gelehrt und verwaltet werden kann, hat er sich des Prinzips Haus- im-Haus bedient. Und natürlich ging er wieder metaphorisch vor. Drei im Grundriss quadratische „Häuser“ in Form von schräg aus der Erde wachsenden Kuben stoßen in den Innenraum. Einer durchbricht als Eingangsbau gar die Stirnfront der Halle. Das Durchstoßen, Durchbrechen, Verdrängen vorgefundener Strukturen war immer ein Motiv in der Arbeit des Dekonstruktivisten Libeskind. Während aber der gläserne Handkantenschlag durch das kaiserzeitliche Militärmuseum Dresden nachvollziehbare Bedeutung hat, Blitzkrieg und Zerstörung symbolisiert, hat der Durchbruch an der Großmarkthalle wohl nur die Aufgabe, Innen und Außen zu verschränken und einen signifikanten Eingang zu formulieren.
Die Schrägstellung der Kuben ist ein vom Exilgarten des Jüdischen Museums gegenüber übernommenes Motiv der Entwurzelung, des schwankenden Bodens unter den Füßen. Oder die Bewegung im Wasser treibender Holzkisten, denn die Kuben sind holzverkleidet und symbolisieren die Transportkisten, mit denen die im Haus aufbewahrten Nachlässe jüdischer Familien transportiert wurden. Das assoziative Angebot ist vielfältig.
Die Schneise im äußeren Kubus wird als Eingang wahrgenommen. Umso überraschender, dass der Besucher nicht auf dieser Achse weitergeführt wird, sondern nach rechts in das Foyer, zu Garderoben und Veranstaltungskasse.
Noch kurz der irritierende Anblick einer mausgrauen Saaltür, rechtwinklig natürlich, garniert mit Feuerlöscher und anderen Installationen, die sich in ihrer pragmatisch kostenoptimierten Banalität nicht so recht mit dem avantgardistisch schrägen Design ihres Umfelds vertragen will. Doch dann wird man vom Raumeindruck gefangen genommen, denn zwischen den allseits kippenden Kuben, gläsernen Wänden und Decken und der Halle öffnen sich spannungsvolle Räume und Sichtachsen. Der zweite Kubus beinhaltet den Vortragssaal mit 199 Plätzen, der dritte die Präsenzbibliothek.
Weiter im Inneren der Halle gibt der Architekt das Motiv der kippenden Kuben auf und geht zur Tagesordnung über. Beiderseits an den Längswänden sind Diensträume angeordnet, Büros, das Archiv, Arbeitsplätze für Forscher und die Museumsdidaktik. Der Blick aus Büros und Sitzungsraum fällt in den „Garten der Diaspora“. Die Motive der Entwurzelung und des neuerlichen Verwurzelns sollen thematisiert und Pflanzen mit Bezug zum jüdischen Leben gezeigt werden. In der Praxis sieht das so aus, dass man über eine längere Zeit hinweg testen muss, welche Arten in diesem künstlichen Milieu überhaupt überleben können. Die in der Bibel erwähnten Pflanzen haben es nicht geschafft.
Und dann ist da hinter einer Schamwand noch die leere westliche Hälfte der Halle. Ein überzeugendes Konzept für den attraktiven, aber nicht beheizbaren Raum scheint es aktuell nicht zu geben. Aber man ist optimistisch, erweist sich das Jüdische Museum doch als Erfolgsgeschichte. Die Besucherzahlen steigen, das Archiv wächst in unerwartetem Maße, die Forschungs- und Vermittlungstätigkeit der Akademie nimmt zu, und so ist die Situation, nach Bedarf problemlos expandieren zu können, komfortabel. Libeskinds Architektur trägt dazu zweierlei bei: Sie schafft die Verbindung von der Akademie hinüber zum Museum und sie macht neugierig, wirkt einladend und holt die Menschen in die Großmarkthalle, denn die Akademie ist öffentlich, Besucher sind willkommen.
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