Interview mit Monika Grütters: „Die Hauptstadt muss auch dienen“
Seit Dezember ist Monika Grütters Kulturstaatsministerin. Im Tagesspiegel-Interview spricht sie über Berliner Baustellen und Barrieren – und ihre ersten Monate im Kanzleramt.
Frau Grütters, Sie sind bald 100 Tage im Amt. Ihr hohes Starttempo legt nahe, dass an dieser Stelle in den letzten Jahren wenig passiert ist. Stimmt das?
Das ist eine Frage der Akzentverschiebung. Mir brennt die Provenienzforschung unter den Nägeln, nicht nur bedingt durch den Fall Gurlitt. Wir müssen mehr tun als bisher. Ich möchte außerdem einige Themen anstoßen, vor allem über das Humboldt-Forum müssen wir reden, um wegzukommen von der Polemik, dass es doch nur ein besseres Völkerkundemuseum geben wird. Wir brauchen vielmehr eine Vision. Und dann ist die Frage der Museumslandschaft akut.
Das Land Berlin erweckt den Eindruck, als herrsche hier ein kulturpolitisches Vakuum, zumal der neue Staatssekretär Tim Renner erst Ende April die Amtsgeschäfte übernimmt. Machen Sie die Berliner Landespolitik jetzt auch noch mit?
Berlin ist für seine Kultur zunächst einmal selbst verantwortlich. Aber Kulturpolitik in und für Berlin ist häufig auch Bundeskulturpolitik, weil hier die Potenziale und Spannungen sichtbarer und konzentrierter sind als in anderen Bundesländern. Berlin ist eben kein konkurrierendes Bundesland wie jedes andere, sondern in der Hauptstadt spiegelt sich deutsche Geschichte. Ich versuche den Bundesländern klarzumachen, dass sie als allererste von einer Kulturblüte ihrer Hauptstadt profitieren, und umgekehrt den Berlinern, dass Hauptstadtsein auch eine dienende Funktion ist.
Können Sie als Staatsministerin überhaupt konkret eingreifen, zum Beispiel beim Kulturforum?
Statt ein Ort der Begegnung zu sein, ist das Kulturforum eine urbane Ödnis an einem der sensibelsten Gelenke der Stadt. Seit vierzig Jahren redet Berlin darüber als Stadtentwicklungsprojekt, ohne dass etwas passiert. Man kapituliert immer wieder vor der Größe der Aufgabe. Aber wenn sich dort der Bund tatsächlich engagiert, muss auch das Land mitziehen, das wäre echte Hauptstadtpolitik. Deshalb wünsche ich mir, dass die Kunst des 20. Jahrhunderts, des großen Berliner Jahrhunderts, angemessen zur Geltung kommt. Zum Beispiel müsste man nach privater Unterstützung Ausschau halten oder fragen, ob auch Public-Private-Partnerships vorstellbar wären.
Warum ist es so absurd schwierig in Berlin, die Partner zusammenzubringen? Haben wir in der Hauptstadt die falschen Strukturen für die großen Aufgaben?
Ja, vielleicht sind die schwerfälligen Strukturen schuld daran, dass sich ein Muster immer wiederholt: Immer wenn sich die Verantwortlichen zu einer anderen Platzgestaltung hätten durchringen müssen, wurde das Projekt wieder in die Zukunft verschoben. Es gibt zwei zentrale Orte für eine echte Berlin-Vision: das Humboldtforum und das Kulturforum. Deshalb hat der Bund auch ein Interesse, Debatten anzustoßen über eine Art Gemäldegalerie des 20. Jahrhunderts. Es ist schließlich ein Unterschied, ob wir über Kosten in Höhe von 130 an dem einen oder 180 Millionen Euro an dem anderen Standort am Kulturforum reden. In Zeiten der Schuldenbremse muss das alles sehr gut begründet sein. Da der Bund das im Zweifel nicht allein realisieren könnte, hoffe ich auf bürgerschaftliches Engagement, aber auch, dass das Land Berlin sich endlich engagiert.
Ihr Vorgänger Bernd Neumann war auf diesem Terrain sehr vorsichtig und hat erst einmal eine Studie in Auftrag gegeben, um Zeit zu gewinnen.
Die Studie hat die verschiedenen Varianten ganz seriös untersucht, das ist eine gute Diskussionsgrundlage für mögliche Neubauten. Denn die Sammlungen dürfen Deutschland nicht verloren gehen. Außerdem kann die Nationalgalerie ihre eigenen Bestände ja heute schon nur zu 20 Prozent ausstellen. Das ist unverantwortlich. Noch einmal: Wir reden vom großen Berliner Jahrhundert, von den Künstlern der Brücke bis Beuys, von Heisig bis Richter. Auf Zeit zu spielen ist jetzt nicht die richtige Strategie.
Für das Humboldt-Forum möchte Monika Grütters einen international renommierten Intendanten berufen
Sie erwähnen jetzt gar nicht die Gemäldegalerie und die Frage eines möglichen Umzugs. Das ist in Teilen der Öffentlichkeit das noch heißere Thema.
Ich bin eine Anhängerin der Vision des Masterplans. Die Alten Meister gehören mittelfristig auf die Museumsinsel in den dortigen Sammlungskontext.
Wie weit gehen da Ihre Möglichkeiten? Oder dreht es sich in Ihrem Amt am Ende doch hauptsächlich um schöne Reden?
Als erstes muss man für ein Projekt Begeisterung wecken. Das gilt auch für den Bundestag, denn dort muss das Geld bewilligt werden. Das Land Berlin ist bei den Grundstücken gefragt. Die Debatte über eine Weiterentwicklung des Kulturforums ist kulturpolitisch ehrgeizig. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Wie wollen Sie das Humboldtforum befördern, wenn schon der Stiftungspräsident konstatiert, dass es ihm bisher nicht gelungen sei, das Projekt in die Herzen der Menschen zu bringen?
Ein konkreter Schritt ist die Bestellung eines international renommierten Intendanten, den ich berufen möchte. Es geht nicht nur um die Museumssammlung, sondern um eine Vision für Deutschland und Berlin am Beginn des 21. Jahrhunderts, auch intellektuell, mit einem neuen Identitätsbegriff. Das Projekt muss in der breiten Öffentlichkeit sinnlicher und populärer dargestellt werden.
Exekutive ist etwas anderes als parlamentarische Arbeit, die Sie lange gemacht haben. Bekommen Sie das im Kanzleramt zu spüren?
Noch bin ich leidenschaftlich, was die Umsetzung eigener Ideen angeht. Das Deutsche Zentrum für Provenienzforschung ist ein neuer Schwerpunkt meiner Arbeit. Selbst meine Deutschland gegenüber distanzierte Kollegin Limor Livnat äußerte bei den Regierungskonsultationen in Israel echte Bewunderung für die Bewegung, die in kurzer Zeit in die Restitutionsbemühungen gekommen ist. Dabei geht es mir nicht in erster Linie nur um materiellen Ausgleich, sondern vor allem um die Anerkennung der Opferbiografien, darum, dass auch 75 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs nicht das unendliche Leid der Menschen in Vergessenheit gerät. Es ist wohl diese Haltung, die meine Ministerkollegin bewog zu fragen, ob nicht deutsche Provenienzforscher auch israelische Sammlungen begutachten könnten.
Ist es nicht trotzdem bedrückend, dass all diese Aktivitäten jetzt erst, nach Gurlitt forciert werden?
Es ist auch früher bereits viel geschehen. Aber wir haben das Thema alle erst nach der Washington-Konferenz von 1998 über Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten entzogen wurden, wirklich angepackt. Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände haben sich in einer gemeinsamen Erklärung zur Suche und Restitution von NS-Raubkunst bekannt. Die Arbeitsstelle für Provenienzforschung wurde 2008 nach dem Berliner Kirchner-Fall eingerichtet. Selbst wenn wir von 90 000 bearbeiteten Fällen und 12 200 Rückgaben reden, haben wir noch viel zu tun. Deshalb soll in Magdeburg, wo bereits die Lost-Art-Datenbank und die Koordinierungsstelle bestehen, das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste angesiedelt werden. Die Rechtsform Stiftung sichert die Unabhängigkeit der Forscher. Neben den staatlichen Museen sollen auch Private ermutigt werden, ihre Bestände begutachten zu lassen.
Sie wollen das Verhältnis von Bundeskulturpolitik, Ländern und Kommunen ändern. Was meinen Sie damit?
Die Kulturhoheit ist bei den Ländern gut aufgehoben, man muss immer wissen: 44 Prozent der Kulturleistungen erbringen die Kommunen, 42 Prozent die Länder, der Rest der Bund und Private. Wir reden über 9,3 Milliarden Euro im Jahr, das sind deutlich weniger als zwei Prozent der Steuern in Deutschland. Wer glaubt, damit Haushalte sanieren zu können, ist auf dem Holzweg. Mir geht es darum, die kulturelle Infrastruktur zu erhalten, dazu wird es regelmäßige Konsultationen mit meinen Kollegen auf der Ebene der Länder und Kommunen geben. Die flächendeckende kulturelle Vielfalt ist Deutschlands Markenzeichen, sie ist ein Schatz. Wir sind heute das Land mit der höchsten Theaterdichte weltweit. Wenn ich gefragt werde, ob wir in Berlin drei Opernhäuser brauchen, antworte ich immer: wer drei Kinder hat, fragt auch nicht, ob er sie braucht, sondern tut alles dafür, dass aus ihnen etwas wird. Das gilt nicht nur für die Hauptstadt, das müsste der Ehrgeiz deutschlandweit sein.
Sie reden so, als sei das alles unbekannt.
Ich glaube, diese Zusammenhänge machen sich viele Menschen nicht klar. Zehnmal so viele Besucher in den Museen wie bei den Spielen der Fußballbundesliga, das zeigt doch, dass es einen kulturellen Hunger gibt. Und: Kultur ist ein großer Wirtschaftsfaktor. Kultur ist keine Dekoration, die wir uns leisten. Bei einem Großteil unserer Kulturarbeit geht es um Grundfragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, dazu zählt auch die Aufarbeitung der Vergangenheit. Und mehr als alles andere ist Kultur ein Wert an sich. Sie ist Ausdruck von Humanität.
Das Gespräch führten Nicola Kuhn und Rüdiger Schaper.
Monika Grütters ist CDU-Politikerin aus Berlin und seit dem 17. Dezember 2013 Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und Nachfolgerin von Bernd Neumann. Ihr Büro ist im Bundeskanzleramt. Zuvor war sie Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien des Bundestages, dem sie seit 2005 angehört, und Vorstand der Stiftung Brandenburger Tor der Landesbank Berlin. Zehn Jahre lang, von 1995 bis 2005, gehörte Monika Grütters dem Berliner Abgeordnetenhaus an, wo sie wissenschafts- und kulturpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion war. Immer wieder einmal war sie für diverse Positionen im Gespräch gewesen, kam aber in der Berliner CDU nie recht voran. Geboren wurde sie 1962 in Münster. Sie studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Politikwissenschaft. Seit 1999 hatte sie als Honorarprofessorin einen Lehrauftrag im Studiengang Kulturmanagement an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ inne.