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Bundesaußenminister Joschka Fischer bei der Rückkehr von einem Besuch in Indien im Herbst 2000. Kurz vor der Landung spielt er mit einem Erfrischungstuch.
© Thomas Koehler/imago/photothek

Essay zu Imre Kertész: Hat der Humor seinen Ernst verloren?

Wie Satire das politische Denken erspart: Imre Kertész, Jean Paul und die „Heute-Show“

„Der Humor hat seinen Ernst verloren.“ Als dieser Satz mir zum ersten Mal vor Augen kam, lachte ich auf, lachte von Herzen: Welch ein Treffer! Eine beiläufige, bescheidene Feststellung in den Aufzeichnungen „Der Betrachter“ des verehrten Imre Kertész und zugleich eine Provokation. Der Satz wippt zwischen den Gegensätzen Humor und Ernst hin und her, spöttisch auf seiner vorgetäuschten Paradoxie schaukelnd. In dem Notat von 1995 spricht Kertész vom postmodernen Intellektuellen, „der die großen Dinge nicht als große Dinge sehen will“, womit die Existenzfragen Tod, Liebe, Vernichtung, Tragödien gemeint sind.

„Das Erleben großer Dinge auf Art kleiner Dinge, mit Ironie“ versteht er als „Abwertung der großen Dinge, Abwertung des Stils, Abwertung des Lebens, emotionale Sparflamme. Das Erleben kleiner Dinge auf Art großer Dinge – Trübsinn, Verfälschung, Moralisiererei, Humorlosigkeit“. Doch die postmoderne Mode lasse nach, unklar sei, zu welcher neuen Falschmünzerei das führe, in der gegenwärtigen Zeit jedenfalls erlebe „man selbst die großen Erlebnisse kleinlich – genauer gesagt, man erlebt sie nicht, sondern moralisiert oder witzelt über sie.“ In diesem Kontext folgt nun die elegante Pointe „Der Humor hat seinen Ernst verloren“, und nach einem Semikolon geht es weiter: „und die ernstesten Dinge macht die Theorie der allgemeinen Relativität zu vernachlässigbaren Anekdoten.“

1989 begann die Wende in der Witzkultur

Der Satz vom verlorenen Ernst des Humors wurde geschrieben, als der totalitäre Ernst in Osteuropa deutlich nachließ. Doch er erscheint mir ebenso produktiv, wenn man ihn auf die westlichen, demokratischen Gesellschaften bezieht. Es wäre zu prüfen, ob mit der Epochenwende 1989 auch eine Wende der Witzkultur begann. Mindestens vier Indizien dafür schossen mir durch den Kopf, als der Kertész-Satz zu wirken begann:

– Übersteigerte Humorempfindlichkeit: Der Ernst der deutschen Vereinigungen vertrug zunächst mal keinen Humor. – Zum Beispiel hat kein „Titanic“-Titel so massive Empörung geerntet wie „Zonen-Gaby“ mit „Meine erste Banane“, die eine Gurke war. Schnell beleidigt zu sein, sich bei jeder Gelegenheit gekränkt zu fühlen, scheint seitdem in Ost und West eine Volkskrankheit zu sein.

– Verleugnung der Widersprüche: Wenn klar ist, wer der Sieger ist, muss nicht mehr viel argumentiert, um bessere Denkweisen gerungen, intelligent gefochten werden. Das „anything goes“ der Postmoderne hieß ja auch: Widerspruch ist nicht mehr gefragt oder nicht mehr ernst zu nehmen, Humor – also der zweifache, widerspruchsfreudige, selbstkritische Blick auf die Welt – auch nicht.

Ego-Argumente zählen mehr als politische oder ästhetische

– Neue Spaßmacher: Nachdem die mit Hilfe der CDU installierten Privatsender in den achtziger Jahren „die Fernsehlandschaft umpflügten und sämtliche bis dahin bekannten Grenzen des guten Geschmacks überrannten“ (Gerhard Henschel), konnten sie in den Neunzigern mit Comedians auftrumpfen, die mehr Zoten als Witz zu bieten hatten, mit Rappern, die mit Menschenverachtung hausieren gingen, und mit Moderatoren, die nichts so lächerlich machten wie Bildung, Schule, Respekt und Diskussionskultur.

– Konjunktur der Häme: Nebenan in den Feuilletons der Ton der höheren Häme, nicht nur beim Meinungsgeplänkel, auch in der Kunst- und Literaturkritik. Gleichzeitig galten Ego-Argumente mehr als politische oder ästhetische.

Die Möglichkeiten, mit sprachlichen Mitteln Lachen zu erzeugen, sind so vielfältig, dass man erst einmal präzisieren müsste, von welcher Sorte Komik man jeweils spricht. Da haben wir den Scherz (Witz), die Satire (macht ihren Gegner lächerlich, attackiert und verurteilt, will verändern), die Ironie (unterläuft Pathos, Tiefe, Enthusiasmus), die Comedy (Lächerlichmachen von allem und jedem mit möglichst hoher Lachfrequenz) und die tiefere Bedeutung Humor. Aber was, bitteschön, ist Humor? Wer anfängt, diesen Begriff zu definieren, gerät rasch in den Verdacht, humorlos zu sein. Man könnte sich also, um keine Humorwächter zu provozieren, mit dem Satz von Karl Valentin begnügen: „Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative, eine komische.“ Aber die Frage ist ja: Wie wird die komische Seite sichtbar, wie wird Humor evoziert?

Ich halte mich an Jean Paul: Humor ist, wie er im Roman „Hesperus“ schreibt, „die Frucht einer langen Vernunft-Kultur“, also Ergebnis von Gelassenheit, Wissen, Weitsicht, Distanz. Humor zeigt sich dann, wenn der Blick auf die Welt nicht einseitig ist, sondern mindestens von einer zweiten Perspektive relativiert wird, wenn also ideologisches, fanatisches, rechthaberisches, narzisstisches Denken verlacht, ja ausgeschlossen wird. Daraus ergibt sich drittens, dass Humor mehr auf eigene Unzulänglichkeiten und Fehler oder den Weltzustand zielt als auf Einzelne, und seien sie noch so große Trottel oder Verbrecher.

Wer genauer wissen will, wie sich Humor, Witz, Komödie, Satire, Ironie, Scherz und ihre tieferen Bedeutungen voneinander unterscheiden, kann sich in der bewährten „Vorschule der Ästhetik“ umtun. Vor über 200 Jahren hat Jean Paul, der Erzhumorist der deutschen Klassik, sich die Mühe des Differenzierens gemacht. „Der Humor, als das umgekehrt Erhabene, vernichtet nicht das Einzelne, sondern das Endliche durch den Kontrast mit der Idee. Es gibt für ihn keine einzelne Torheit, keine Toren, sondern nur Torheit und eine tolle Welt; er hebt – ungleich dem gemeinen Spaßmacher mit seinen Seitenhieben – keine einzelne Narrheit heraus, sondern erniedrigt das Große, aber – ungleich der Parodie – um ihm das Kleine, und erhöht das Kleine, aber – ungleich der Ironie – um ihm das Große an die Seite zu setzen und so beide zu vernichten, weil vor der Unendlichkeit alles gleich ist und nichts.“ Der Ernst bleibt für ihn jedoch die wichtigste Grundierung des Witzes.

Die Deutschen sind in den letzten 50 Jahren lockerer geworden

Kertész’ zwanzig Jahre alten Satz habe ich, als er 2016 auf Deutsch zu lesen war, vor allem als heutigen verstanden. Erfreut, dass hier mal einer ein saftiges Pauschalurteil, eine solide begründete Aussage gewagt hatte, die sich ohne größere Bedenken von ihrer existenziellen Höhe auf unsere gegenwärtige populäre Humorkultur herunterladen ließ.

Dabei könnte man ganz zufrieden sein: Die Deutschen sind in den letzten fünfzig Jahren trotz aller Klischees deutlich lockerer und witziger, weniger ernsthaft und weniger prinzipiell geworden, und demokratisch reifer ebenfalls, keine Frage. Und es wird fleißig gelacht, jedenfalls im Fernsehen und in großen Kabarettshows. Die neue Lockerheit scheint jedoch mehr und mehr in Richtung Flachwitzigkeit und Witzlosigkeit zu driften und immer weniger von der Energie des oben definierten Humors gespeist zu werden. Man kann das, etwas herablassend, Infantilisierung nennen.

Bleiben wir beim Massenhumor, beim „Lach-Stoff“ des Fernsehens. Seit dort die Quote als heiligster Maßstab gilt, gibt es zwar mehr Lach-Sendungen als je zuvor, diese tragen aber nur ausnahmsweise zur Verbreitung des Humors bei. Seit der Eindruck stärker wird, Hohn und Häme würden immer öfter als Satire verkauft, lohnt sich ein genauerer Blick.

Billiges Bashing wird im Fernsehen als Witz inszeniert

Die omnipräsenten Comedians mit der Devise „Humor ist, wenn hinten gelacht wird“, die politischen Softkabarettisten sowie die allzu lehrerhaften Politkabarettisten erreichten nur selten die mittleren Höhen der Bosheit und witzigen Klugheit. Sie operieren immer weniger doppeldeutig, mit zweiter Perspektive. Sie teilen mit gleicher Intensität in alle Richtungen aus und bleiben so als die einzigen Rechthaber übrig.

Das zeigt sich vor allem daran, wie sie mit „den Politikern“ umgehen. Was viele politische Journalisten vormachen, sich mit Personalia zufriedenzugeben, eifern die Unterhaltungskünstler auf dümmlichste Weise nach. An ihren (häufigen) schlechten Tagen gefällt sich die halbe „heute-show“ darin, Politiker nur deshalb fertig- oder lächerlich zu machen, weil man einen Halbsatz von ihnen aufspießen kann. Hohn, Geschimpfe, Rüpeleien, billiges Bashing werden als Witz inszeniert – und stets nach Parteienproporz ausgestreut (damit niemand im Fernsehrat aufjault), nicht aber nach dem Witzpotenzial oder gar der Fragilität der Argumente dieser Politiker.

Wenn alle Parteien, zum Beispiel CSU und Grüne, um nicht von der Linken und der AfD zu sprechen, vor den Comedians gleich sind, dann ist etwas faul, dann ersparen sie sich das Denken oder uns die Meinung. Die Fernsehsatire wird zum Abklatsch des parteipolitisch ausgewogenen Fernsehrats: bloß nicht wehtun, oder allen nur ein bisschen. Doch eine gleichmacherische und dazu meinungspolitisch feige Satire ist keine Satire mehr.

Inzwischen unterscheiden sich viele Plattsatiren kaum noch von den Plattwitzen der traditionellen Karnevalisten auf der einen Seite – und den Verachtungs- und Beschimpfungsgewohnheiten in den sogenannten sozialen Medien auf der anderen Seite. Die altbackenen Büttenredner sowie die asozialen Dauermeckerer und die neubackenen Showredner haben das gleiche Ziel: Schunkeln und Schenkelklopfen, Quote und Klicks, also Werbegeld. Mit Kertész zu sprechen: Bei solchem Treiben geht der Ernst des Gedankens verloren, dass mit der pausenlosen und weitgehend argumentlosen Gießkannen-Häme auf die Repräsentanten der Demokratie auch die Demokratie selbst in Richtung Tonne getreten wird.

Schon Jean Paul sprach von "Selbstgefallsucht"

Auch wenn es, gerade in der „heute-show“, immer wieder geglückt durchtriebene, fein recherchierte Beiträge mit solchem Wirklichkeitsgewinn gibt, wenn aufklärerischer Echtwitz und kleine Geniestreiche aufblitzen, das fernsehkompatible Kabarett kommt nur selten über das hämische Abfertigen einzelner Personen hinaus. Selbst wenn das satirisch gekonnt gemacht ist, hat das nicht viel mit Humor zu tun, der nur dann Humor ist, wenn ihr Urheber die eigene Position mit infrage stellt. Und Satire, die vorwiegend mit dümmlichen Politikerabfertigungsschablonen hantiert, klärt nicht mehr auf, bietet keinen Wirklichkeitsgewinn, wird reaktionär und arbeitet den reaktionären Parteien zu.

Was Jean Paul in seiner Zeit als „Selbstgefallsucht“ wahrnahm, begegnet uns heute in der Fixierung auf Identität und im blühenden, im Selfiekult schon wieder kollabierenden Narzissmus. Wer sich selbst oder seine eingebildete Identität im Spiegel oder auf dem spiegelnden Bildschirm oder auf den Pixeln rund um die eigene Nase sucht, wie einst Narziss verliebt sein Eigenbild im Wasserspiegel betrachtend, vernachlässigt den zweiten, relativierenden, selbstironischen Blick und wird zur Distanz, also zum Humor immer weniger fähig sein.

Humor erwächst aus der Nicht-Identität

Noch stärker wirkt die modische Identitätsideologie mit ihren humortötenden Folgen. Die besonders bei harten Rechten und soften Linken beliebte Festlegung auf eine formelhafte Identität ignoriert nicht nur, dass jeder Mensch ein Vielfaches an Identitäten hat (Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Herkunft, Bildung, Religion, Arbeit, Alter, Kraft, politische Orientierung, sexuelle Orientierung, Intelligenz, Gene, Erfahrung usw.), wovon einige erfreulicherweise variabel sind. Mit der Reduzierung auf „die“ oder „eine“ Identität wird auch dem Humor der Boden entzogen.

„Deine Identität liegt einfach dort, wo du beschließt, mit dem Denken aufzuhören“, hat Philip Roth im Roman „Gegenleben“ eine Figur sagen lassen, die mit einer anderen über „jüdische Identität“ stritt. Identitäres Denken und identitäre Zuschreibungen entspringen, das steht schon bei Adorno, dem Wunsch nach Widerspruchslosigkeit, negieren die Vielfalt des Einzelnen und führen zur Ideologie und Rassismus – und damit auch zur Vertreibung des Humors, der zum Blühen mehr als eine Perspektive braucht.

Humor erwächst gerade aus der Nicht-Identität. Je mehr Identitätsideologie, desto mehr Verhärtung des Denkens, desto mehr Witzlosigkeit, könnte man folgern. Und umgekehrt: Je mehr ein Mensch mit seiner Nichtidentität oder seinen Vielfachidentitäten klarkommt, desto größer die Humorkompetenz. Auch das wusste Kertész schon 1990: „Ich habe mehrere Ichs, die alle einem einzigen Ich, meinem repräsentativen Ich, dienen. Doch meine sämtlichen Ichs – und damit auch ich selbst – wissen über das repräsentative Ich nur das wenigste.“

Friedrich Christian Delius, 1943 in Rom geboren, lebt als Schriftsteller in Berlin. Bei Rowohlt Berlin erschien zuletzt seine Erzählung „Der Augenblick der Schönheit“. Der hier dokumentierte Essay ist die stark gekürzte Version eines Vortrags, den Delius bei einem dreitägigen Imre-Kertész-Symposion der Akademie der Künste mit dem Titel „Der Holocaust als Kultur“ hielt. Anfang Mai erscheint er vollständig und erweitert in der Zeitschrift „Sinn und Form“ (3/2018, 11 €, sinn-und-form.de).

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