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Jean Paul. 1823 gemalt von Lorenz Kreul, aus Privatbesitz.
© Stiftung Brandenburger Tor

Jean-Paul-Ausstellung in Berlin: Der Weltverzauberer

Im Jubiläumsjahr zum 250. Geburtstag des Dichters präsentiert die Stiftung Brandenburger Tor Jean Pauls großes „Dintenuniversum“.

Er war seiner selbst und der Eigenmacht der Dichtung schon so bewusst, dass er vor gut 200 Jahren in seiner „Vorschule der Aesthetik“ den Kosmos der Literatur zu einer zweiten und der recht eigentlichen Welt erhob. Johann Paul Friedrich Richter, im März 1763 im fränkischen Wunsiedel geboren und im November 1825 in Bayreuth gestorben, nannte sich als Verehrer des Philosophen und Aufklärers Rousseau alsbald Jean Paul. Und dieser wundersame Franke spannte seiner Dichterseele Flügel so weit aus, dass sie alle Landstriche, Luftmeere und Milchstraßen durchrauschte. Schön also, dass die erstaunliche Ausstellung der Stiftung Brandenburger Tor im Max-Liebermann-Haus am Pariser Platz den urfränkisch weltläufigen Titel „Dintenuniversum“ trägt.

Im Zusammenspiel mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Staatsbibliothek haben die Kuratoren Markus Bernauer und Angela Steinsiek zu Jean Pauls 250. Geburtsjahresjubiläum vor allem eine noch nie öffentlich gesehene Vielzahl von Originalhandschriften zusammengetragen: über zwei Etagen verteilt und aus konservatorischen Gründen in gedämpftem Licht präsentiert. Dabei kommt der Schau zugute, dass der größte Jean-Paul-Nachlass mit 40 000 Manuskriptseiten sich seit 1888 im Besitz der Staatsbibliothek befindet.

Natürlich ist das für eine heutige Ausstellung auch eine Gefahr. So viel, wenngleich kostbarste Vitrinenware. Erschwerend kommt noch hinzu, dass Jean Paul, der schier unaufhörlich schrieb, ebendieses in altdeutscher Schrift tat und manchmal gar so miniaturgleich wie Fliegenschiss. So viel Augenpulver zu entziffern, übersteigt alle Fähigkeiten.

Manchmal werden wichtige Stellen zwar auf den Hinweisschildchen übersetzt. Aber nicht immer. Und weil Jean Paul alle Welt vom galaktisch Entferntesten bis zum kopfinnerst Kleinsten und Großartigsten aufsaugen wollte, würde einen interessieren, welche Varia und Kuriosa er sich etwa bei den Aussprüchen seiner Kleinkinder oder bei der hochliterarischen Lektüre von Laurence Sternes umwälzend komischem, obszönem, sprachungetümen Roman „Tristam Shandy“ (alias „Schandy“) tatsächlich notiert hat. Hier wird die geweckte Neugierde nicht immer ganz befriedigt.

Das allerdings bekommt man in der dann doch wieder bezaubernden, verführerischen Ausstellung stark anregend mit: Was für ein ungeheuer fabelhafter Typ dieser Brausekopf war – der Autor der „Unsichtbaren Loge“, des „Hesperus oder 45 Hundsposttage, Leben des Quintus Fixlein“ (ein Bestseller), des „Siebenkäs“, des „Luftschiffers Gianozzo“, des „Titan“ und des letzten, Fragment gebliebenen Romans mit dem bezeichnenden Titel „Der Komet“.

Weitschweifer und Erfolgsautor, erfolgreicher als der oberflächig spannendere E.T.A. Hoffmann. Goethe zuckte zurück vor ihm, Nietzsche nannte ihn missgünstig „ein Verhängnis – ein Verhängnis im Schlafrock“. Doch nein, eine Himmelserscheinung auf Erden. Spökenkieker, Freund der Französischen Revolution und zugleich Napoleonfan, Tagträumer und Nachttrinker, Einzelgänger mit Löchern in den Socken und dem Geruch des Ungewaschenen, nicht schön, aber ein Frauenschwarm (viermal verlobt plus ein Mal verheiratet). Hiervon erzählt die Ausstellung mancherlei. Auch dass um 1800 seine Leserinnen vom sich lichtenden Haupt des Gefeierten sich so viele Locken erbaten, dass Jean Pauls treuer Pudel Ponto mit seiner Haarpracht aushelfen musste.

Obwohl nie über Berlin im Norden und München im Süden hinausgekommen, fing Jean Paul die Welt ein, in seinen Werken und seinen Materialien, den zehntausendfachen Exzerpten aus Gelesenem, Beobachtetem, Aufgeschnapptem, für die er ein besonderes, prägooglehaftes Such- und Verweissystem erfand. Gleichzeitig war er ein guter Netzwerker, der seinen „Titan“ Preußens schöner Königin Luise widmete. Worauf die Königin, obwohl vom Mix aus Profanem und Erhabenem leicht pikierte Leserin, Jean Pauls Braut Caroline zu deren Hochzeit 1801 ein bildhübsches Brillantarmband nebst Silbergeschirr kredenzte. Hier zu sehen.

In Seitenkabinetten laufen dazu Percy Adlons wunderbare Filme über den Weltfranken, der in der dabei zu hörenden „Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab“ den Surrealismus, die Science-Fiction-Literatur und die Imaginationen Kafkas und Becketts vorausnahm. So bekommt der Besucher eine kräftige Ahnung, warum Ludwig Börne in seinem Nachruf Ende 1825 Jean Paul bereits „an der Pforte des zwanzigsten Jahrhunderts“ sah. Und zum „Nachleben“ sehen wir in die Zettelkästen von Arno Schmidt oder Peter Rühmkorf, neben Bildern von Max Beckmann oder Horst Janssen.

Unbedingt zu empfehlen ist der Ausstellungskatalog. Und es gibt Begleitveranstaltungen von Dichtern und Denkern, so heute Abend vom Büchnerpreisträger Reinhard Jirgl im Berliner Literaturhaus (20 Uhr, Fasanenstraße).

Bis 29. Dezember am Pariser Platz 7.

Katalog 24,90 €. Infos zu Veranstaltungen www.stiftungsbrandenburgertor.de

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