Der Komponist Christian Jost: Haste Töne?
Eine Begegnung mit dem Komponisten Christian Jost, dessen „Berlin Symphonie“ am Freitag im Rahmen des Konzerthaus-Festivals "Mythos Berlin" uraufgeführt wird.
Zur Abwechslung ist von einem Komponisten zu berichten, der schwimmen geht. Nicht in einer Flut von Skizzenblättern, die von späteren Musikforschern analysiert werden können. Auch nicht in penibel ausgearbeiteten Materialsystemen oder in Listen von Spezialnotationsweisen. Sondern nur um die Ecke ins städtische Schwimmbad, um dort ein paar Dutzend Bahnen zu ziehen – eine lebenswichtige Übung, wenn man so viele Stunden täglich am Schreibtisch verbringt wie der 1963 in Trier geborene Christian Jost.
Außerdem kommt Jost beim Gang ins Schwimmbad zwangsläufig an der Torstraße in Mitte vorbei, vielleicht zieht er sogar die Schiebermütze vor dieser Gegend, aus lauter Dankbarkeit für die Inspiration zu seiner neuen „Berlin Symphonie“, die an diesem Freitag im Konzerthaus am Gendarmenmarkt uraufgeführt wird, im Rahmen des Festivals „Mythos Berlin“. Jedenfalls nimmt Jost den städtischen Lärm in dieser Straße sicherlich auf besondere Weise wahr, das ewige Hupen, Brummen und Straßenbahnfiepen – oder das kaum hörbare Tastengeklapper und gar nicht mehr zu hörende Sirren in den sogenannten kreativen Köpfen im „Café Oberholz“ am Rosenthaler Platz, wo wir in diesem Augenblick zusammensitzen und übers Komponieren sprechen. Zum Beispiel darüber, wie das geht, eine ganze Stadt in Musik zu packen, die schäbige Torstraße in einen großen symphonischen Satz?
Da lächelt der Komponist und korrigiert gleich die ersten laienhaften Mutmaßungen, im Übrigen mit einem schlanken, schönen, trierischen „sch“: „Nein, ich bin nicht mit dem Handy durch die Stadt gelaufen und habe versucht, Geräusche einzufangen.“ Natürlich, eine kleinliche Frage. Denn auch, wenn man Josts neuer Symphonie – das Konzerthaus hat bereits ein Video dazu auf YouTube eingestellt – sofort anzuhören glaubt, dass es um ständige Bewegung geht, um ein stetes Herannahen und Wiederentschwinden, so hat der Komponist doch keinen künstlerisch überhöhten Geräuschpegel geschaffen, sondern ein eigenständiges musikalisches Werk.
Jost hat bereits der Stadt Taipeh eine Komposition gewidmet
Anfangs hatte Christian Jost übrigens noch darüber nachgedacht, auf die Konzerthaus-Empore hinter dem Orchester zusätzlich eine Bigband zu stellen. Doch das „war dann eine etwas rahmensprengende Idee“ – von der immerhin ein Altsaxofon und ein eher klarinettenlastiger Holzbläsersatz in der Endfassung der Partitur übrig geblieben sind.
Auch der Gedanke an einen Solisten wurde gestreift, außerdem der Einfall, elektronische Musik zu verwenden, bis schließlich klar war: Das Auftragswerk, das der Intendant des Konzerthauses, Sebastian Nordmann, vor bald zwei Jahren bei Jost bestellt hatte, würde auf eine Symphonie für großes Orchester hinauslaufen, als Teil einer Werkreihe mit „symphonischen urbanen Landschaften“, in der bereits die taiwanesische Hauptstadt Taipeh ihren Auftritt hatte, mit dem Stück „Taipei Horizon“.
In Taipeh hielt sich Jost auch bei den ersten Überlegungen zu der neuen Komposition auf. „Es gab eine ganze Reihe Abende, wo ich nach den Proben durch Taipeh gelaufen bin und dachte, ich freue mich unglaublich darauf, ein Stück über Berlin zu machen.“ Zum Klangapparat der neuen Symphonie würden mehrere fein austarierte Schlagzeugsets gehören, erklärt er. Vier Teile sollte sie haben, die nahtlos ineinander übergehen würden, dazu eine Struktur aus verschiedenen Geschwindigkeiten, die beim Zuhören ein „Gefühl von zwei Zeitebenen“ entstehen lassen sollte. Und über den großen Bogen der knapp halbstündigen Symphonie wiederum plante Jost eine große Verlangsamung zu legen, bis hin zu einem „stehenden Ein- und Ausatmen von Tönen in den Holzbläsern“ im Übergang vom dritten zum vierten Teil, bevor eine komplexe Polyrhythmik sich Bahn brechen würde.
Aber wie geht so etwas im kompositorischen Arbeitalltag vor sich? Da lächelt Jost abermals und sagt: „Das fragt mich meine Mutter auch immer.“ Natürlich, Mütter stellen die richtigen Fragen. Christian Jost also denkt lange über Formverläufe nach, weit vor dem Aufschreiben legt er sich die Dinge innerlich zurecht. Und dann sitzt er tatsächlich mit Stift und Papier am Schreibtisch, nicht selten singend, zwitschernd, pfeifend. Das Komponieren selbst sei „Architektur“, ein Vorgehen in „linearer Vertikalität“, ein langwieriges Schreiben und Notieren für wenige Sekunden Musik, ein Zusammenfügen kleinster Bausteine, wie früher bei den Zeichentrickfilmen, in denen jede Bewegung ihr eigenes Bild bekam: „Komponieren ist wirklich sehr viel Arbeit.“ Anfang Dezember zog Jost den Schlussstrich unter die neue Symphonie und entließ das Stück.
Nicht die am schwersten aufzuführenden Stücke, findet Jost, sind automatisch die besten.
Am Montag hat das Konzerthausorchester mit seinem Chefdirigenten Iván Fischer die „Berlin Symphonie“ zum ersten Mal geprobt, am Freitag wird die Uraufführung zu hören sein, gemeinsam mit einer konzertanten Aufführung von Kurt Weills Schauspieloper „Der Silbersee“. In so wenigen Tagen Probenzeit verbleibt wenig Raum für kompositorische Vorgehensweisen, die die Musiker dazu zwingen, sich erst lange hinzusetzen und extraterrestrische Spieltechniken einzuüben. Stattdessen gehört auch auch das zu Josts Herangehensweise als Komponist: ein reelles Verhältnis zu dem, was einem Orchester abzuverlangen ist, ein guter Umgang mit den Erfordernissen des musikalischen Arbeitsalltags.
Von dem suggestiven Unterton, der solchen Formulierungen eigen ist, hält er unterdessen wenig. Für einen Moment wird er sogar ein wenig unwirsch. Muss denn immer Blut fließen? Ist ein Werk weniger wert, bei dem nicht gelitten wird? Ist es umgekehrt erst dann etwas wert, wenn es furchtbar kompliziert aufzuführen ist? Natürlich nicht. Christian Josts Erfolg als Komponist beruht nicht zuletzt darauf, dass seine Musik sich tatsächlich einpassen lässt in einen so großen Apparat wie das Konzerthaus, mit eigenem Sinfonieorchester, mit sorgsam abgestimmten Plänen für ein neuartiges Festival und unzähligen weiteren Modalitäten und Sachzwängen. Deswegen nur schnell eine letzte Frage: Überrascht ihn der Klang seiner Kompositionen mitunter, wenn er sie das erste Mal hört? „Nein“, sagt Jost, „nicht im Wesentlichen.“ Es gebe Stellen, auf die freue er sich mehr als auf andere, die er die „stiefmütterlichen“ nennt. Beim Hören aber, fügt er hinzu, „ist es dann manchmal genau umgekehrt“.
Die Uraufführung von Christian Josts „Berlin Symphonie“ findet am Freitag um 20 Uhr im Konzerthaus statt. Das Konzert wird am 21. März wiederholt.