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Im Zeichen der Liebe. Die Sängerinnen und Sänger aus Deutschland haben sich mit Musikern und Tänzern aus Taiwan zusammengetan.
© Sheng-Fa Lin/Rundfunkchor

"Lover" von Christian Jost: Und alles bleibt im Fluss

Ein "Musik-Tanz-Theater" nennt der Komponist Christian Jost sein neues Werk „Lover“. Bei der Uraufführung treffen die Tänzer und Musiker des U-Theatres Taiwan in der sakralen Halle des Kraftwerks Mitte auf den Rundfunkchor Berlin.

Diese Aufführung ist ein langer, ruhiger Fluss: meditativer Tanz, getragener Chorgesang, Trommel- und Gongschläge mit viel Hall. Eine Begegnung von Ost und West hat Christian Jost komponiert, jahrhundertealte Traditionen aus Asien und Europa treffen in seinem 70-minütigen Stück „Lover“ aufeinander, das am Mittwoch vom Rundfunkchor Berlin und dem U-Theatre Taiwan uraufgeführt wird. Als Ort dieser Begegnung dient das Kraftwerk Mitte. Bis 1997 wurde in dem riesigen Zweckbau an der Spree Wärme für Berlin produziert, seit 2006 residiert hier der Techno-Club Tresor.

In den letzten Jahren haben die Berliner Hochkulturinstitutionen den Industriekomplex als Veranstaltungsort entdeckt. 2012 investierte die Lindenoper eine sechsstellige Summe, um hier Luigi Nonos „Al gran sole carico d’amore“ zeigen zu können. Die Aufführungsebene, auf halber Höhe in der gigantischen Halle eingerichtet, eröffnet schwindelerregende Ausblicke nach oben wie nach unten. Nicht nur die Atmosphäre mutet sakral an; wie man es aus christlichen Kathedralen kennt, klingt hier jeder Ton mehrere Sekunden lang nach.

„Musik-Tanz-Theater für gemischten Chor und Schlaginstrumente auf altchinesische Gedichte und Gedichte von E.E. Cummings“ lautet der offizielle Untertitel von „Lover“ – wobei Christian Jost ergänzend erklärt, dass man die Bindestriche auch durch Gleichheitszeichen ersetzen könne: „Musik = Tanz = Theater“. Eine Begegnung auf Augenhöhe der taiwanesischen Musiker und Tänzer mit den deutschen Sängerinnen und Sänger schwebte ihm beim Kompositionsprozess vor. Denn jeder kann hier das einbringen, was er am besten versteht. Beide Ensembles sind Jost vertraut, für den Rundfunkchor hat er große Werke geschaffen, die mönchische Arbeitsweise des U-Theaters lernte er 2012 kennen, als er composer in residence beim National Symphony Orchestra in Taipeh war.

Alles soll hier fließen, die sechs Sätze der Partitur gehen nahtlos ineinander über, der von Nicolas Fink vorbereitete Rundfunkchor zelebriert die hohe Kunst der Homogenität, für die taiwanesische Truppe bedeutet jeder Schlag auf die Gongs und Trommeln, Vibrafone, Wölbbrettzithern und Klangschalen zugleich auch geformte Bewegung, jede Tanzfigur auch stumme Musik. Über allem waltet mit engagierter Körpersprache der dirigierende Komponist.

Allerdings verschwimmen auch Text und Bedeutung in der von Ruo-Yu Liu inszenierten, von Keh-Hua Lin ausgestatteten Aufführung. So virtuos die Chorsolisten die oft sechsstimmigen Gesangspassagen klanglich ausformen, nicht nur die chinesischen, auch die englischen Verse bleiben unverständlich. Und damit so abstrakt wie die Choreografien, deren Eleganz und innere Kraft man bewundern kann, wenn Männer mit nackten Oberkörpern archaische, an Kampfkunst erinnernde Bewegungsmuster darbieten, wenn ein in Weiß gewandeter Meister rätselhafte Rituale mit einem langen Stab vollführt oder sich ein Paar zum zärtlichen pas de deux zusammenfindet, während zarte, mit stilisierten Blumen bestickte Stoffbahnen von der Decke herabschweben.

Doch der Gesang löst hier nicht den Tanz aus oder umgekehrt. Chorklang und Performance stehen nebeneinander, hochkomplex und doch organisch, im Grad der kollektiven Konzentration jeweils auf ihre Weise beeindruckend. Die befruchtende Begegnung unterschiedlich geprägter Spezialisten aber, der Crossover-Kuss der Kulturen bleibt auch in „Lover“ ein schöner Traum.

Wieder am 4., und 5. April, 20 Uhr

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