zum Hauptinhalt
Marius Müller-Westernhagen in der Berliner Mercedes-Benz-Arena.
© Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Marius Müller-Westernhagen: Konzert in Berlin: Hart aufs Herz

Müller-Westernhagen, der Rock-Rentner? Unser Autor geht voller Skepsis ins Berliner Konzert. Und ist sofort Fan.

Tja, so kann's gehen mit Vorurteilen. Wo soll ich hin, bitte, zu Westernhagen???!!! – „Na ja, ihr seid beide mit 18 durch Düsseldorf gerannt“, sagt die Kollegin aus der Kulturredaktion. Was habe ich mit dem Armani-Rocker zu schaffen? Freiheit, Freiheiheit, und dazu glimmen die Feuerzeuge? Gruselig.

Aber gut, auf in die Arena am Berliner Ostbahnhof. Das Publikum? 12 000 sind gekommen, Ü 45 ist wahrscheinlich geschmeichelt, Westernhagen wird am 6. Dezember 67, nachgewachsene Fans sind kaum zu finden. Am Getränketresen wird ein Glas „lieblicher Wein“ bestellt. Lieblicher Wein, auf einem Rockkonzert? Man trägt Jeans unter dem Schmerbauch, Accessoire einer gefühlten, aber vergangenen Aufmüpfigkeit. Passend dazu die Musik vom Band vor der Musik von der Bühne: Das White Album der Beatles, gefällig, aber, sorry, irgendwie verbeamtet.

Auf den Videos: geknechtete Afrikanerinnen

Und dann geht der Vorhang auf. Marius Müller-Westernhagen trägt Poncho und behauptet singend, er sei ein Alphatier, dem man folgen soll. Aber ja! Ja! Ja! Im Hintergrund des Sängers, seiner brillanten Band und seiner brillanten Backgroundtruppe laufen Bilder, Collagen des Afrika-Chronisten Peter Beard. Verstörende Bilder sind das, skelettierte Tiere, Elefanten, Zebras, dazwischen Frauenbildnisse, geknechtete Frauen, grinsende, angepasste Frauen, eine Soldatin schaut in die Kamera, in der linken und der rechten Hand hält sie abgetrennte Köpfe. Ich bin ein Alphatier, bitte folge mir. Ja! Ja! Ja!

Westernhagen schenkt uns nichts, keine feucht-fröhliche Party, aus der die Realität ausgeklammert wird, er zeigt sie knallhart. Und dann hat er mich. Mich, der ich eigentlich nur Tom Waits gelten lasse, der mit langen Zähnen zum Konzert gegangen ist. Es gibt skeptische Blicke im Auditorium, aber diese Zuhörer holt er sich auch, spätestens als er aus der Vergangenheit berichtet, mit Pfefferminz, ihr Prinz zu sein. Die Arena tanzt, hüpft, singt mit, kennt jede Silbe. Und Westernhagen sprintet über die Bühne, als sei er nicht bald 67, sondern Mick Jagger (72).

Es ist das letzte Konzert seiner 2015-Tournee. Wenn die Leinwand ihn in Großaufnahme zeigt, könnte man meinen, dass die Konzerte ihn angestrengt haben. Aber auch, dass es ihm Freude macht. Er biedert sich nicht an, gibt sich nicht politically correct, jedenfalls nicht auf die naheliegende Weise. Nicht ein einziges Mal erwähnt er die Flüchtlinge, zumindest habe ich es nicht gehört. Er hat es nicht nötig. Seine Botschaft kommt auch so rüber. Und intensiver.

Er schreit es heraus: "Die Welt brennt lichterloh"

„Schweigen ist feige/Reden ist Gold“, singt er – und positioniert sich. „Die Welt brennt lichterloh.“ Er ruft, ja er schreit es in die Arena, zusammen mit den Bildern von Peter Beard ist das nicht misszuverstehen. Wie wäre es, nur so ein Gedanke mitten im Konzert, alle Pegidas und die komplette AfD hier zu versammeln, während Westernhagen samt Band singt und tanzt? Würde vielleicht so manche Dumpfbacke zum Nachdenken bringen.

Aber wir sind unter uns. Zwischendurch erhebt sich auch der zur Neutralität verpflichtete Chronist, Westernhagen singt jetzt „Taximann“, eine Hymne der Jugend. Krach mit der Freundin, besoffen im Taxi, ja, so sind wir damals durch Düsseldorf gerannt, und nein, das passiert heute nicht mehr, aber authentisch bleibt der Song doch, noch mit 67 Jahren. Etwas fürs Herz, die Blume, die auf die Bühne geworfen wird, gibt er an seine Backgroundsängerin weiter. Oder wenn er, inmitten seiner politischen Verve, auch der Liebe eine Gasse bahnt und „Weil ich dich liebe“ singt. Es gehört ja auch zusammen.

Und „Freiheit, Freiheiheit“? Das Feuerzeug bleibt in der Tasche. Westernhagen wird nicht sentimental, vermeidet den Kitsch, am Ende setzt er sich mit zwei Freunden und akustischen Gitarren auf die Bühne und singt „Johnny Walker“. Eine Hommage an den Alkohol, noch so etwas Unkorrektes. Aber ehrlich.

Tom Waits wird bleiben. Aber ab sofort wird per Stream auch Marius Müller-Westernhagen gehört. Danke, Marius.

Zur Startseite