zum Hauptinhalt
Westernhagen
© imago stock&people

Musik: Es ist niemals das Ende

Marius Müller-Westernhagen feiert seinen 60. Geburtstag in der Berliner Max-Schmeling-Halle. Per Internetabstimmung durften die Fans entscheiden, welche Songs zur Aufführung kommen. So kommt es zu einem nostalgischen Vorweihnachtsabend.

Runde Geburtstage sind Gelegenheiten, das eigene Erdentreiben Revue passieren zu lassen. So auch im Hause Westernhagen: Anlässlich seines 60. Geburtstages am 6. Dezember hat sich Marius Müller-Westernhagen auf eine Drei-StädteTour begeben, die ganz im Zeichen der Retrospektive steht. Per Internetabstimmung durften die Fans entscheiden, welche Songs zur Aufführung kommen. Wenig überraschend erwartet die Besucher in der Max-Schmeling-Halle ein nostalgischer Vorweihnachtsabend, bei dem ein Großteil der Stücke älter als 15 Jahre ist. Als Anheizer gibt „Ladykiller“ die Richtung vor: ein programmatisches Aufreißerstück vom 1981er Album „Stinker“, zu dem Westernhagen seinen Gesang ins Mikro krächzt und mit durchgedrücktem Rücken affektiert auf dem langen Laufsteg ins Publikum gockelt. Die gelegentlich unterfordert wirkende Band rifft sich stoisch durch simplen Bluesrock und verziert ihn bei jeder Gelegenheit mit theatralischen Gitarren-, Orgel- und Saxofonsoli.

Modisch hat sich der Jubilar für mehr Zurückhaltung gegenüber der Phase veilchenblauer Anzüge Ende der Neunziger entschieden. Mit runder Nickelsonnenbrille und dezent ergrautem Haarschopf sieht Westernhagen wie ein in Würde gealterter Rockstar aus. Seines auffälligsten Kleidungsstücks, eines schwarzen Glitzerjacketts, entledigt er sich mit einem Seitenhieb auf den Großmeister der flamboyanten Garderobe: „Hab‘ ich mir bei Thomas Gottschalk geliehen.“ Ohnehin hat man das Gefühl, dass Westernhagen, was man nicht vermutet hätte, immer noch zu Selbstironie fähig ist. So wirken viele der unvermeidlichen Rockstar posen nicht ganz ernst gemeint, scheint sich der Künstler über die immer gleichen Geste-Spruch-Jubel-Reaktions muster eher zu amüsieren.

Den Fans dürfte es schnuppe sein, bekommen sie doch, was sie bestellt haben: In zwei Dutzend Songs bringt Westernhagen alle Hits seiner langen, erstaunlichen Karriere unter. Die meisten werden werkgetreu interpretiert, manche mit eingebauten Irritationen. So implodiert die sakrale Stimmung bei „Freiheit“, als Marius den Rapper Curse auf die Bühne bittet und dieser ein paar Extrareime zwischen die Mitsingpassagen der gesamtdeutschen Feuerzeugballade streuen darf. Gerade die Großstadt-Rocker der frühen Jahre wie „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“ oder „Mit 18“ geraten durch die angefettete Boogiefizierung der bis zu zwölfköpfigen Band zahmer als die rotzigen Originale, was auch Marius gesanglich zu hemmen scheint. Inspirierter wirken die Stücke, von deren ursprünglicher Fassung nur noch eine ferne Erinnerung bleibt: Das flirrende Wüstenblues-Intro von „Sexy“ erinnert an Ry Cooder, ehe sich alle in einen „Sticky Fingers“-artigen Sumpfrock mit massiven Bläsersätzen delirieren. Bei „Steh auf“ versucht sich Marius an Falsettgesang, überlässt das ekstatische Finale aber seiner stimmgewaltigen Background-Vokalistin Della Miles.

Natürlich darf bei einem Konzert dieser Größenordnung das begleitende Show-Brimborium mit Großbildleinwänden, Lichtkaskaden und Konfettikanonen nicht fehlen, aber es überwiegt doch eine vergleichsweise zurückhaltende Bühnendramaturgie. Völlig überdreht ist dann der Zugabenbombast von „Lichterloh“ aus dem Jahre 2002, der immerhin die Entwicklungsfähigkeit des strukturkonservativen Deutschrockers Westernhagen belegt: eine zyklopische Monsterballade, in die Zitate von „Purple Rain“ bis „The End“ einfließen, während Westernhagen inbrünstig die Zeilen „Die Welt brennt lichterloh“ wiederholt. Das wäre ein großartiger Abschluss von unterhaltsamen zweieinhalb Stunden gewesen.

Aber so aufgewühlt mag Westernhagen seinen Anhang nicht in die Weihnachtstage schicken, weshalb er das klebrig-süße „Engel“ nachreicht. Und da ist er dann wieder: der grundsolide, manchmal etwas peinliche Rock- und Balladenkasper, dessen beste Tage – die Halle ist nicht ganz ausverkauft – doch schon eine Weile zurückzuliegen scheinen.

Jörg W, er

Zur Startseite