zum Hauptinhalt
Zurück im Musikbusiness: Viv Albertine von den Slits
© Carolina Ambida/Suhrkamp Verlag

Viv Albertine und ihre Autobiografie: Hammer, Haushalt, Rebellion

Punk darf niemals sterben: „A Typical Girl“, die Autobiografie der Slits-Gitarristin Viv Albertine.

Schon der Name der Band war eine Provokation. The Slits, zu Deutsch „die Schlitze“, waren Pionierinnen des Punk – und das in doppelter Hinsicht: als Musikerinnen zusammen mit befreundeten Bands wie The Clash und den Sex Pistols, außerdem aber als Frauen. Entfesselte Weiber, die eine andere Band von der Bühne zerrten, um sich vor ihrem ersten Auftritt eine Art Generalprobe zu verschaffen, hatte man bis dato nicht erlebt. Mit toupiertem Haar, zerrissenen Kinderkleidern und absoluter Unbefangenheit produzierten sie eine neue Form des Lärms, die in die Musikgeschichte eingehen sollte.

Den Status als eine der einflussreichsten britischen Punkbands erkämpften sie sich hart. 1977 begleiteten sie The Clash auf Tour und durften in keinem der Hotels übernachten, in denen The Clash und die anderen männlichen Vorbands unterkamen: rotzende Frauen waren da noch unerwünschter als rotzende Männer. The Slits reagierten auf diese Ungleichbehandlung umso unbändiger: Sie drehten in den Hotels die Musik auf, hämmerten gegen die Türen, pinkelten in die Schuhe auf dem Gang. „Wir werden behandelt wie Außenseiter, also benehmen wir uns auch so“, beschreibt die Slits-Gitarristin Viv Albertine Aktionen wie diese in ihrer gerade auf Deutsch veröffentlichten Autobiografie „A Typical Girl“.

Viv Albertine wächst in einem Arbeiterviertel im Norden Londons auf

Ein typisches Mädchen? Ein Mädchen, das braun gefärbte Tampons als Ohrschmuck trug? Das mit einem Hammer auf Keith Levene von The Clash losging, um den geklauten Geldbeutel ihrer Bandkollegin zurückzuholen? Viv Albertine doch nicht!

Geboren 1954 in Sydney, wächst Viviane Katrina Louise Albertine in einem Arbeiterviertel im Norden Londons auf. Seit ihrer Kindheit ist sie besessen von Musik – und von Musikern. Aber erst als sie mit einundzwanzig Patti Smiths Album „Horses“ hört, will sie selbst Musik machen: „Bis dahin waren Mädchen immer sehr zurückhaltend und beherrscht. Patti Smith ist unbändig. Ihre Platte übersetzt unerreichbare Teile meiner selbst in Sound, Dinge, die ich bis zu diesem Moment nicht in Worte fassen, mir nicht vor Augen führen konnte.“ Sie sagt sich: „Wenn ich nur ein Viertel oder ein Achtel von dem habe, was sie hat, und bereit bin, mich zur Idiotin zu machen, könnte vielleicht doch noch was aus mir werden.“ Sie kauft sich eine Gitarre und schmeißt das Modestudium am Chelsea Art College, um Musikerin zu werden – obwohl sie gar nicht spielen kann.

Die "A-Seite" ist Punk, die "B-Seite" Hausfrau- und Mutterdasein

Es ist dann inspirierend zu lesen, wie Viv Albertine 1977 als Gitarristin bei den Slits einsteigt, wie sie in der Punk-Szene abhängt, was für Mode-Obsessionen sie hat, in welche Liebeswirren sie gerät. „A Typical Girl“ dokumentiert gut das Lebensgefühl der frühen Punk-Bewegung.

Mit der Coolness und dem Glamour der Rockstar-Tage ist es allerdings schlagartig vorbei. Davon erzählt Viv Albertine auf der „B-Seite“ ihres Buches, dem zweiten Teil. 1981 trennen sich die Slits, und Albertine leidet in Folge unter Depressionen. Der Verlust der Band wiegt schwer, doch auch mit den unterkühlten Pop-Achtzigern, der zunehmenden Kommerzialisierung im Pop und der Ära Thatcher kommt sie nicht klar. Etwas Merkwürdiges passiert: Viv Albertine verschwindet. Sie berichtet nun von einer Frau, die 1991 einen Typ heiratet, weil er Sachen reparieren kann und gerne Geld verdient, die ihre eigene Arbeit für eine „funktionierende Ehe“ zurückstellt – in diesen Zeilen erkennt man die kompromisslose Musikerin der „A-Seite“ nicht wieder.

Dann folgt Tiefschlag auf Tiefschlag: Fehlgeburten, künstliche Befruchtung, Krebs. Jahre in einem dunklen Tunnel. Als es wieder lichter wird, findet sich Viv Albertine als Hausfrau und Mutter im südenglischen Küstenstädtchen Hastings wieder, komplett abhängig von ihrem Ehemann. Jeder künstlerischen Identität beraubt, verlangt ihr selbst ein Töpfer-Kurs zu viel kreativen Selbstausdruck ab. Rückblickend beschreibt sie dieses unsichtbare Dasein als typisches Frauenschicksal – dem sie in der Mitte ihres Lebens erneut den Kampf ansagt.

"A Typical Girl" ist eine Verbeugung vor den Idealen des Punk

Vor diesem Hintergrund entpuppt sich der deutsche Titel „A Typical Girl“ als kluge Wahl, weil er einen doppelten Boden besitzt. Im ersten Teil zitiert er vor allem den Slits-Song „Typical Girls“, mit dem sich Albertine 1979 über die klassischen „Mädchen-Eigenschaften“ wunderte: „Don’t rebel, don’t create, have intuition, can’t decide“. Damals hätte sie bestimmt nicht gedacht, dass sie damit ihr Leben drei Jahrzehnte später genau beschreibt.

Geradezu furchtlos arbeitet sich Albertine in ihrer Autobiografie durch die Schichten ihres Inneren und offenbart den langwierigen, oft schmerzhaft banalen Prozess, mit dem sie ihr Ich zurückerobert. Sie findet den Mut, ihre Stimme wieder zu erheben und auch selbst zu singen. Und sie geht einen weiten Weg, um noch mal mit den Slits aufzutreten und später gar ein Solo-Album aufzunehmen. Radikal ehrlich blickt Albertine in die Kluft, die sich zwischen dem Dasein als Hausfrau und Mutter und dem Dasein als Künstlerin auftut. Und sie dokumentiert die Herabwürdigungen, die ihr widerfahren bei dem Versuch, diese Kluft zu überwinden.

Trotzdem spielt und singt sich Viv Albertine bei einem Konzert auch für nur drei Anwesende „die Seele aus dem Leib“. Genauso hat sie geschrieben. Entstanden ist eine vielschichtige Selbstbetrachtung, ein Zeugnis des Ringens um Authentizität. „A Typical Girl“ liest sich wie eine Verbeugung vor den Idealen des Punk – koste es, was es wolle.

Viv Albertine: A Typical Girl. Aus dem Englischen von Conny Lösch. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 480 S., 18 €. Viv Albertine liest am Fr, 27. 5., 19 Uhr im Kulturkaufhaus Dussmann, Eintritt frei

Carolin Haentjes

Zur Startseite