Kolumne Literaturbetrieb: Große Namen, kleine Listen
Letzte Woche wurde die Shortlist des Deutschen Buchpreises bekannt gegeben. Warum unterscheidet sie sich so von den Bestseller-Listen? Unser Autor vermutet zwei Welten dahinter.
Es ist die vergangene Woche wieder ganz schön was los gewesen im Literaturbetrieb. Der Grund: die Bekanntgabe der Shortlist für den Deutschen Buchpreis, die regelmäßig für Erregungswellen sorgt. Weil der oder die mit ihren Romanen nicht auf der Liste stehen. Oder weil die Auslobung dieses Deutschen Buchpreises sowieso ein zweifelhaftes Unternehmen ist, vom Diktat des Marketings bis zur Auswahl der Jury. Zumindest die Namen von Büchern und Autoren und Autorinnen sind bei der Bekanntgabe der langen wie der kurzen Liste im öffentlichen Gespräch, kurze Zeit zwar nur, aber immerhin. Und eben nicht nur die der Nominierten, sondern auch die der Übergangenen, sagen wir Stephan Wackwitz, Nora Bossong, Jan Koneffke, Mirna Funk, sagen wir, jetzt ganz aktuell, weil bekannt, weil mit preiswürdigen Romanen am Start, Ilija Trojanow, Feridun Zaimoglu oder Clemens J. Setz.
Aber sind diese Autoren wirklich bekannt? Bekannt bei einem großen Lesepublikum, einem Publikum, das dafür sorgt, dass ihre Bücher auch in den Bestsellerlisten auftauchen? Gerade diese Woche hatte man wieder den Eindruck, gerade beim Blick auf die Büchercharts, dass es zwei sehr verschiedene Lesewelten gibt: eine, in der engagiert für das Gute, Wahre und Schöne gestritten wird und wer das repräsentiert; und eine, in der das keine Rolle spielt, in der es um große Namen, die dann Selbstläufer und -läuferinnen sind, um Spannung und leichte Lesbarkeit geht und nicht so sehr um literarische Güte. Hier, ganz oben, seit drei Wochen, David Lagercrantz’ Stieg-Larsson-Fortsetzung „Verschwörung“, dort, auch seit drei Wochen, Günter Grass und sein „Vonne-Endlichkait“-Vermächtnis. Hier Stephen King mit seinem circa 70. Roman „Finderlohn“, dort mit ihrem circa 20. Buch „Der japanische Liebhaber“ Isabel Allende. Von den Buchpreis-Shortlist-Nominierten findet sich auf den hinteren Rängen Jenny Erpenbeck mit „Gehen, ging, gegangen“, Platz 16, und noch als Neueinstieg auf Platz 49 Rolf Lappert mit „Über den Winter“.
Der Deutsche Buchpreis macht Gewinner zu Bestsellern
Grass, King, Allende – sie sind völlig unterschiedliche Autoren. Jedes ihrer Bücher wird jedoch ungeachtet des Inhalts und der literarischen Güte gekauft. Der Grass-Käufer hat auch seine „Blechtrommel“-und „Rättin“-Erstausgaben im Bücherschrank, da soll die Kritik sagen, was sie will; bei Allende ist es „Das Geisterhaus“, aber auch Bücher wie das über ihre Tochter Paula oder solche, die gezielt Leserinnen ansprechen; und King ist sowieso ein Fall für sich: ein Popstar. Und was hat Jenny Erpenbeck sonst noch so für Romane geschrieben, mag man polemisch fragen. Oder Rolf Lappert?
Der Deutsche Buchpreis mag da kurzfristig Abhilfe schaffen. Er schafft es ja wirklich, dass seine Gewinner zu Bestsellern werden. Aber die vielen Nicht-Gewinner überwiegend nicht. Verständlich ist in diesem Zusammenhang auch das ewige Argument der Buchpreis-Verächter, dass dieser Preis die Aufmerksamkeit auf nicht mehr als 20 Bücher lenkt, die der Longlist, und sich deshalb kein Mensch mehr für die viele wahre, gute und schöne Literatur interessiert, die es sonst noch gibt.
Kannibalisierung auf höchstem Niveau, wenn man so will – obwohl: So erratisch wie dieses Jahr war die lange Liste selten nicht. Will heißen: Buchpreis-Vertrauen ist gut, Long- und Shortlist-Misstrauen besser! Aber die vielen Lesewelten zeigen sich noch anders. Neulich bei Martin Amis, im Palais der Kulturbrauerei. Ein großer, schöner Lesesaal, aber ein überschaubares Publikum von vielleicht 70, 80 Menschen. Irgendwie enttäuschend, ist doch Amis einer der bekanntesten (und smartesten) Schriftsteller Großbritanniens mit Büchern wie „Gierig“, „London Fields“ oder „Information“. Live ist er gleichfalls nicht so oft zu sehen hierzulande, zudem hat er gerade mit „Interessengebiet“ einen umstrittenen Holocaust-Roman veröffentlicht.
Warum sind da keine 300, 400 Menschen? War es in diesem Fall das Berlin-typische kulturelle Überangebot? Oder ist es doch vielmehr so, wie es einmal der große und viel gelesene Siegfried Lenz in einem Interview gesagt hat: „Literatur ist immer nur für eine Minorität gedacht – und das war noch nie anders.“
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