Martin Amis in Berlin: Sex und Liebe in Auschwitz
Der Auftritt des britischen Schriftstellers Martin Amis in der Kulturbrauerei - und sein satirischer Holocaust-Roman "Interessengebiet"
Martin Amis gesteht an diesem Abend im Palais der Kulturbrauerei, dass es ihn getroffen habe, als seine Stammverlage in Deutschland und Frankreich, Hanser und Gallimard, es ablehnten, sein neues Buch zu publizieren: den Auschwitz-Roman „Interessengebiet“. Es sei immer deprimierend, wenn Beziehungen so zu Ende gehen, so Amis. Doch er wolle, das fügt er gleich an, daraus überhaupt keine weiteren Schlüsse ziehen. Am Ende sei all das eine ökonomisches Frage: Wenn Verlage glauben, mit bestimmten Büchern keinen Profit erzielen zu können, dann machen sie sie eben nicht. Amis trifft es zumindest mit dieser Einschätzung durchaus: Seine Bücher sind in Deutschland schon länger keine Renner mehr. Manche, gerade in jüngerer Zeit, kamen erst mit vieljähriger Verspätung in deutschen Übersetzungen auf dem Markt - so wie seine Autobiografie „Hauptsachen“, die in England 2000 erschien, in Deutschland 2005. Und sowieso hat der Hanser Verlag in den nuller Jahren nicht jedes neue Buch von Martin Amis veröffentlicht.
Amis begibt sich direkt in das Zentrum des Grauens von Auschwitz - und erzählt eine Liebesgeschichte
Im Fall von „Interessengebiet“, im Original „Zone of Interest“, liegen gewissermaßen die Amis-Hauptsachen aber noch woanders. Da hatten, bevor der Schweizer Verlag Kein & Aber für die Veröffentlichung auf dem deutschen Markt sorgte, auch andere deutsche Verlage abgelehnt, vielleicht, weil sie, wie Hanser, den Roman literarisch nicht überzeugend genug fanden. Aber sicher auch, weil sie einen möglichen Skandal fürchteten
Denn Amis begibt sich mit seinem Roman direkt in das Zentrum des Grauens und der Unmenschlichkeit, in ein „Kat-Zet“, wie es hier immer heißt, das Züge von Auschwitz trägt, um genau an diesen Ort den Wahnsinn des Nationalsozialismus zu karikieren, diesem Wahnsinn mit schwarzen Humor zu begegnen. Was jetzt erstmal weder neu noch besonders skandalös ist. Amis erzählt vor allem eine Liebesgeschichte und sein Roman hat in großen Teilen etwas von einer satirischen Komödie - wobei die Massenvernichtung der Juden durch die Nazis nicht nur den Hintergrund bildet, sondern immer wesentlicher Bestandteil des Romangeschehens ist. Etwa wenn der Lagerkommandant Paul Doll, der an den Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß erinnert, einen seiner Untergebenen lobt dafür, wie er die in den Zügen ankommenden Menschen mit dem Megafon beruhigt und ihnen „warme Duschen“ und „leichte Desinfektionsmaßnahmen verspricht, nicht zuletzt um Krankheiten zu vermeiden: „Zum Fürchten gut, das, musste ich zugeben.“, so denkt sich Doll das: „Das Stethoskop, der weiße Kittel (die schwarzen Stiefel) – ungeheuer gut.“
Warum Amis diesen Roman unbedingt schreiben musste, erfährt man in der Kulturbrauerei nicht
Doll ist einer der drei Hauptfiguren, aus deren Perspektive Amis seinen Roman im regelmäßigen Wechsel erzählt. Die beiden anderen sind zum einen der (natürlich blonde) Schönling Angelus Golo Thomsen, der für die Buna-Werke arbeitet, als Neffe Martin Bormanns dessen Schutz genießt und der sich in Hanna Doll verliebt, eben jene Frau des Lagerkommandanten. Sie beschreibt Thomsen als „eher vom südländischen Typ, ihre Haut von südländischer Färbung und unpatriotisch dunkelbraun waren ihre Augen, wie feuchtes, sämig glänzendes Karamel.“ Und zum anderen ist da noch ein einem Sonderkommando angehörender jüdischer Häftling namens Szmul, der für die schlimmsten Arbeiten im KZ zuständig ist: das Geleiten in die Gaskammern, das Ausplündern, das Leichenwegschaffen etc. Und der sich zu den „traurigsten Männern der Weltgeschichte“ zählt.
Amis erzählt bei seinem Auftritt in Berlin, befragt von dem rbb-Radio-und Fernseh-Moderator Jörg Thadeusz, ihm sei die Idee für seinen Roman aus dem „Unbewussten“ gekommen, ähnlich wie seinerzeit Nabokov mit „Lolita“. Er vergleicht seine Roman-Eingangszene, den „Blitzschlag“ von Angelus Thomsens Lustausbruch und seine Liebe auf den ersten Blick vor dem Hintergrund des „Kat-Zets“ mit Nabokovs Affen, der zeichnen lernen sollte und als erstes die Gitterstäbe seines Käfig zeichnete. Amis erklärt auch, keine "Stopschilder" zu kennen, was die Themenwahl anbetrifft (und mit dem Holocaust hat er sich ja schon 1991 mit seinem Roman „Time’s Arrow“, dt. „Pfeil der Zeit“ auseinandergesetzt). Er empfände es im Gegenteil als eine gewisse Selbstgerechtigkeit, das nicht zu tun. Und der Humor, der so hochentwickelt und im höchsten Maß auch kompliziert und komplex sei, habe sich hier einfach mit eingeschlichen, im Nationalsozialismus habe es soviele lächerliche Anteile gegeben, denen er bei seinen Studien permanent angesichtig worden sei. Es fällt an diesem Abend ein bisschen schwer, die Motive von Amis nachzuvollziehen, diesen Roman unbedingt schreiben zu müssen: Was waren seine Intentionen nochmal?. Auch das lange, auf viele seiner Quellen verweisende Nachwort seines Romans bleibt mehr im Vagen, von der Frage nach dem „Warum?“ ist da die Rede. Von einem „chronischen Stillstand, der sich zu einem gewissen Zeitpunkt löste“, von der Lektüre von Primo Levis Buch „Die Atempause“, von dessen Diktum, den Holocaust und die Nazi-Schlächter womöglch gar nicht begreifen zu dürfen, was gleichermaßen bestürze wie Erleichterung bringe. Und was Amis schließlich so auslegt, dass Levi „den Druck vom Warum“ nehme und „uns so den Weg zu einer Antwort“ weise.
Amis treibt das Bizarr-Lächerliche des NS-Systems auf die Spitze
Doch auch bei der Lektüre von „Interessengebiet“ hat man nie das Gefühl, allein die Ahnung einer Antwort zu bekommen, wenigstens die Notwendigkeit dieses Romans. Er hat etwas von einem Unterhaltungsroman, und Amis versteht es deftig zu werden, Lust lustvoll in Worte zu fassen. Wenn die Nazis Doll und Thomson ihre Sicht der Dinge erzählen, wenn das Bizarr-Lächerliche des NS-Systems und der Nazis auf die Spitze getrieben werden, hat "Interessengebiet" seine besten Momente. Aber allein die gleichermaßen hanebüchene wie profane Liebesgeschichte von Thomsen und Doll, die gegen Ende, da Thomsen der Liebe halber vom NS-Glauben abfällt, Amis´ Roman immer undurchschaubarer und sinnfreier werden lässt!
Eine noch zweifelhaftere Schlagseite aber bekommt der Roman mit der Erzählperspektive des jüdischen Sonderkommando-Häftlings, weil er hier, korrekt wie er schließlich doch sein will und muss, die Ebene des Schwarzhumorigen und Satirischen verlässt und gleichermaßen Ernsthaftigkeit und Unglaubwürdigkeit Einzug halten. Und schwach ist er gleichfalls immer dann, wenn Thomsen und Doll die historischen Geschehnisse statuarisch nacherzählen. Thomsen sagt dann Sätze wie „Am 9. November 1923 hatte sich das lächerliche Debakel des Bürgerbräu-Putschs zugetragen. An jenem Tag versammelten sich in und um den Gasthauskeller unweit des Münchener Odeonsplatzes etwa 1900 Schreihälse und Tagediebe, Spinner und Freibeuter....“. Oder Doll analysiert schnell mal die militärische Lage 1942/1943. In solchen Passagen steht der Autor Martin Amis weit vor seinen Ich-Erzählern. Da weiß man sofort, wer hier spricht und wer hier nie so sprechen würde, und dass Amis ja die Zeit von 1941 bis 1945 umfassend darstellen möchte. Man versteht, dass der Hanser Verlag (und vielleicht auch andere Verlage) nicht zuletzt literarische Bedenken anmeldeten.
Amis ficht das im Palais nicht weiter groß an, so wie er da in seinem dunkelblauen, dezent grüngestreiften Hemd sitzt, jünger aussehend als Mitte sechzig, die eine oder andere Selbstgedrehte rauchend. Er verweist auf den Intellekt Stalins und den fehlenden Intellekt Hitlers, zitiert mehrmals seinen 2005 verstorbenen Freund und auch Lehrmeister Saul Bellow, erklärt, dass Schriftsteller mehr Hebammen seien als Gebärende. Und es bringt ihn auch nicht aus der Ruhe, dass ein Mann aus dem Publikum ihn auf seine ständigen Seitenhiebe gegen Frankreich (der Mann fügt an, eine französische Frau zu haben) anspricht: „Wir können uns nachher draußen weiter unterhalten!“ Martin Amis ist eine coole Sau. Es macht Spaß, ihm so selbstgewiss Rede und Antwort geben zu sehen und zu hören – doch täuscht das nicht darüber hinweg, dass „Interessengebiet“ keinerlei Erkenntnisse beschert und nicht zu seinen besten Büchern gehört.
Martin Amis: Interessengebiet. Roman. Aus dem Englischen von Werner Schmitz. Kein & Aber, Zürich 2015. 422 Seiten, 25 €.
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