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Der nigerianische Schlagzeuger Tony Allen, 75.
© Promo

Tony Allen live in Berlin: Groove und Glück

Afrobeat-Meister Tony Allen gab im Berliner Columbia Theater mit seiner sechsköpfigen Band ein wunderbar erhebendes Konzert.

Zum zweiten Mal innerhalb von 15 Monaten ist die Afrobeat-Legende Tony Allen in Berlin. Und wer dieses Geschenk nicht annimmt und nach dem ausverkauften Konzert im Haus der Kulturen der Welt nun auch diesen Auftritt des 75-jährigen nigerianischen Drummers verpasst hat, dem gehen langsam die Ausreden aus. Schließlich wäre noch etwas Platz im Columbia Theater gewesen.

Umso schöner für die Anwesenden, denn Allens Musik richtet eine unmissverständliche Aufforderung ans vegetative Nervensystem: Beweg dich! Tanz! Lass es peinlich aussehen oder cool, es wird eh niemand darauf achten.

Ganz gleich, ob die Songs lässig vor sich hin schunkeln wie das empathische „Boat Journey“ und das auf Allens grandiosem 2014er-Album „Film of Life“ von Damon Albarn, hier vom Keyboarder seiner sechsköpfigen Band gesungene „Go Back“ oder ob sie wie „Afro Kungfu Beat“ und „Koko Dance“ als afrorhythmische Feuerwerke mit Zusatzpercussion, pluckernder FunkGitarre, brutzelndem Bass, gurgelndem E-Piano und jazzigen Bläsersoli mörderisch grooven: Der Sound lässt einen buchstäblich ein paar Millimeter über dem Boden schweben. Derweil sitzt Tony Allen, der einst für Fela Kuti trommelte, mit Glitzer-Basecap, Sonnenbrille und breitem Grinsen auf seinem Podest und hält an unsichtbaren Fäden den Laden zusammen.

Der Drummer spielt nur ein einziges minimalistisches Solo

Nach einer Stunde passiert dann Außergewöhnliches: Tony Allen spielt ein Schlagzeugsolo. Das heißt, eigentlich macht er gut zwei Minuten lang nicht viel anders als sonst. Ab und zu lässt er die Becken hell aufzischeln, dazu streichelt er mit den Sticks vielleicht einen Hauch energischer über Snare und Toms, gibt der Bassdrum um Nuancen kräftigere Tritte in den Unterleib, aber: nichts vom Leistungsfetischismus, der fast jeden abendländischen Schlagzeugvirtuosen befällt, wenn er sein Können vor Publikum demonstrieren darf.

Tony Allen spielt einfach weiter mit minimalem gestischem Aufwand seine trügerisch einfach wirkenden, aber komplex verschachtelten Polyrhythmen und federt dabei so locker aus Hand- und Fußgelenken, als würde er anderen, und zwar freundlicheren Schwerkraftgesetzen unterliegen als der schnöde Rest der Menschheit. Aber auch wir Normalsterblichen sind nach anderthalbstündiger Afrobeat-Massage so tiefenentspannt wie lange nicht mehr und taumeln glückstrunken in den Frühlingsabend hinaus.

Jörg Wunder

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