Zum Start des Jüdischen Filmfestivals: Gott vor Gericht
Wunderbar böse und tief human: Das Programm des 21. Jüdischen Filmfestivals Berlin & Potsdam, das am 10. Mai im Hans Otto Theater beginnt. Es treten auf: Gott als Angeklagter, vierjährige Schachspielerinnen und Fritten, die die Nation bedeuten.
Und Gott schuf die Völker, die Völkervölker und Völkervölkervölker, an die Seite seines Herzens aber setzte er die Juden, weil sie „ihm verantwortlicher und zärtlicher geraten waren“. Er „pflückte einen Stern von seinem Kleide und hob das Kind unter den Völkern zu sich empor“. So konnte Else Lasker-Schüler noch auf die Nachricht eines Pogroms reagieren, irgendwo im Osten, im Jahr 1920: Sie schrieb den „Wunderrabbi von Barcelona“, las ihn in vielen deutschen Städten. Die große jüdisch-deutsche Dichterin starb im Januar 1945 in Jerusalem, fünf Tage später wurde Auschwitz befreit.
Überlebende berichteten immer wieder, dass Häftlinge des Vernichtungslagers Gott den Prozess gemacht haben. Der Herr bekam, wie das jedem zusteht, natürlich auch seinen Verteidiger. Die Anklage lautete, der Höchste habe den Bund gebrochen, den er mit dem Volke Israel geschlossen habe.
"Lasst euch Gott nicht nehmen, selbst wenn es ihn nicht gibt!"
Es ist nicht recht vorstellbar, wie Else Lasker-Schüler auf die Nachricht dieses Prozesses reagiert hätte. Auf diese allerbitterste Komik der Verzweiflung. Der Brite Andy de Emmony, sonst durchaus auch mit Werbespots und TV-Serien befasst, hat „God on Trial“ verfilmt: Da ist der Säkularjude Mordechai (Rupert Graves), der vor allem Zorn auf Gott empfindet, während sein tiefgläubiger Vater sich auch jetzt noch weniger für Gott als für den Sohn schämt. Ein französischer Physiker bezweifelt, dass ein solches bilaterales Abkommen überhaupt existierte, schon wegen möglicher Nichtexistenz des einen Vertragspartners, was der den Prozess leitende Juraprofessor (Stellan Skarsgard) zu der Ermahnung veranlasst: „Lasst euch nicht auch noch euren Gott nehmen, selbst wenn es ihn nicht gibt!“
Es ist dieser Aberwitz des tödlichen Ernstes, der das Jüdische Filmfest so unvergleichlich macht, der es immer wieder aus jedem Rahmen fallen lässt, auch und erst recht aus dem des guten Geschmacks. Und das befreit, das Gefühl wie den Verstand. Wem man erst erklären muss, dass auf dem Grunde des Lachens der Ernst wohnt, dass vielleicht nichts ernster ist als das Lachen, der hat hier wohl auch in diesem Jahr wenig verloren. Und ist vielleicht jedes wirkliche Gotteslob eine latente Gotteslästerung?
Sünde und Hotdogs, Sterbehilfe und Schabbat
Wie folgt man den Ratschlägen des Höchsten am besten? Der real existierende orthodoxe Filmemacher Ori Gruder etwa kam irgendwann in die etwas verstörende Situation, seinem Sohn erklären zu müssen, dass der Herr Onanie gar nicht gern sieht. Der Sohn fragte sinngemäß: Wieso?
Das Wesen der Religion besteht nicht zuletzt darin, dass sie die Zahl zulässiger Wieso?-Fragen stark begrenzt und anstelle vieler kleinen Antworten die übergroße Ein-Mann-Antwort setzt. Doch der Filmemacher und Spermaforscher Ori Gruder fasste sich ein Herz und begann zu recherchieren, bei Rabbinern und Dozenten und Pädagogen. Das Ergebnis heißt „Sacred Sperm“. Das Judentum ist doch eine sehr wissensorientierte Religion.
Inwieweit die Begriffe von „Vergehen“ und „Sünde“ zum Verständnis der Hotdog-Produktion beitragen können, zeigt Lloyd Handwerkers Dokumentarfilm „Famous Nathan“. Lloyd Handwerker ist der Enkel eines bettelarmen galizischen Juden, der zu Beginn des letzten Jahrhunderts sein Heimatdorf verließ und gen Westen ging, immer weiter, unkontrolliert über drei Grenzen. Er besaß nichts, schlief auf dem Dampfer nach Amerika trotzdem ganz oben, denn dort war er sicher vor Dieben. Nathan Handwerker hatte keine Chance, aber kaum einer hat sie genutzt wie er: Seit über 100 Jahren gibt es „Nathan’s Famous“ Hotdogs auf dem Boardwalk von Coney Island, und nicht nur Jacky Kennedy hat sie gegessen. Manchmal schlägt in einer Art Frittenbude das wahre Herz einer Nation; „Famous Nathan“ gehört ganz sicher zu den heißen Würstchen dieses Festivals.
Im Alter von vier schlägt sie das erste Mal einen erwachsenen Schachspieler
Nathan Handwerker wusste genau, wem er seinen Erfolg verdankte: „Gott hat seine Hand über mich gehalten.“ Die meisten sind für diese Dienstleistung, auf die niemand ein Recht hat und ohne die doch keiner leben kann, auf ihresgleichen angewiesen. So wie die drei jungen Frauen Helene, Lili und Rose, die in Auschwitz zu Freundinnen wurden und sich Jahre später wiederfanden, um sich nie mehr aus den Augen zu lassen. Die wahre Geschichte seiner Mutter war das Vorbild für Jean-Jacques Zilbermanns berührenden Spielfilm „A La Vie“.
Die drei ungarischen Mädchen Zsuzsa, Zsofia und Judith spürten wohl stärker als andere Kinder die Hand des Vaters über ihren Stirnen. Der ungarische Pädagoge Lazslo Polgar, der fast seine ganze Familie im Holocaust verloren hatte, war davon überzeugt, dass in jedem Kind ein Genie steckt, das man nur angemessen fördern müsse, weshalb Zsusa, Zsofia und Judith schon als Kleinkinder ihre Tage vor einem Schachbrett verbrachten.
Als Zsuzsa vier Jahre alt war und mit Hilfe eines Kissens gerade über die Tischplatte gucken konnte, schlug sie zum ersten Mal einen Mann, der glaubte, er könne Schach spielen. Der israelische Regisseur Yossi Aviram, der im letzten Jahr „Under the same sun“ auf dem Festival zeigte, hatte bei der Geburt seiner Tochter beschlossen, das Rauchen aufzugeben und statt dessen künftig Schach zu spielen. So begegnete er den Polgar-Schwestern, folgte ihnen mit der Kamera seit 2009, als sie gegen jeweils 100 Laien antraten. Aviram hat den vielleicht unterhaltsamsten Film gemacht, der je über das Schachspiel gedreht worden ist. Und er verschweigt nicht den Preis, den die Schwestern zahlten.
Ist Abschiebung Deportation?
Der wunderbar böse, tief humane Film „Manpower“ von Noam Kaplan erzählt die Geschichte des verdienstvollen Polizisten Meir Cohen, der sich jedoch von jedem Geldautomaten demütigen lassen muss, weil sein Konto nie gedeckt ist. Als er der Einwanderer- und Abschiebepolizei zugeteilt wird, beschließt Cohen, mittels Überstunden seine Einkommenssituation grundlegend zu verbessern. Aber wer in Israel ist eigentlich kein Einwanderer und ist Abschiebung nicht: Deportation?
„Am Ende ein Fest“ ist Israels Beitrag zum Thema Sterbehilfe. Der Veterinärmediziner Dr. Yehezkel hat bisher zwar nur seinem engeren Patientenkreis diesen letzten Weg gebahnt, doch er traut sich mehr zu. Und Yehezkel entwickelt die „Mercy-Killing-Machine“ mit eingebauter Schabbat-Zeitschaltuhr.
vom 10. bis zum 20. Mai in 8 Berliner Kinos und in Potsdam; Eröffnung am 10. Mai mit „The Eichmann Show“ im Hans Otto Theater Potsdam; Infos: www.jffb.de
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