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Techno-Botschafter. Marcel Dettmann.
©  Sven Marquardt

Marcel Dettmann: Gott des Zufalls: Berghain-DJ Marcel Dettmann

Marcel Dettmann hat sein zweites Album aufgenommen. Es ist geprägt von einer fast schon gespenstischen Atmosphäre, geisterhafte Maschinengeräusche spuken umher und die Bassdrum klingt oft, als sei sie unter Wasser aufgenommen worden. Ein Treffen mit dem Berliner Techno-DJ und Produzenten.

Marcel Dettmann ist nicht nur groß, er ist ein regelrechter Hüne. In Thailand, erzählt er, haben einmal zwei Jungs ganz ehrfurchtsvoll zu ihm aufgeschaut. Ihr Vater sagte entschuldigend, dass seine Kinder ihn für Thor hielten, den göttlichen Helden mit dem Hammer, den sie aus der gleichnamigen Marvel-Comicverfilmung kannten. Der Slogan „God is a DJ“ bekommt da eine ganz neue Bedeutung.

Im Netz gibt es viele Fotos, auf denen Marcel Dettmann zu sehen ist, bevor er seine blonden Haare so schulterlang trug wie Thor. Einige ziemlich stylishe Promofotos sind darunter, teilweise aufgenommen von Sven Marquardt, dem sagenumwobenen Türsteher des Berghain, der auch als Fotograf arbeitet (das Foto auf dieser Seite stammt ebenfalls von ihm). Mal ist Dettmann wie ein Dressman in Szene gesetzt, mit Hemd und Krawatte, mal mit freiem Oberkörper und aufgemalten Tattoos, mal im Unterhemd.

In der Zeit, in der der Mittdreißiger mit Techno aufwuchs, gab es derartige DJ-Inszenierungen nicht. Zumindest nicht im Underground-Techno, der Dettmann interessierte. Die DJs aus Detroit, die er im Berlin der Neunziger im E-Werk und im Tresor erlebte, stammten aus einer Welt, die sich noch dezidiert als Antithese zum üblichen Popstargetue verstand. Bei Dettmann, der in seiner Kindheit im brandenburgischen Fürstenwalde ein erfolgreicher Judoka war, kommt nun beides zusammen: Er sieht aus wie ein DJ-Posterboy, ist aber gleichzeitig immer noch den alten Technowerten verpflichtet, die ihn geprägt haben. Das bedeutet, dass er bei all dem Erfolg, den er schon seit Jahren als DJ und inzwischen auch als Produzent hat, den Spagat zwischen DJ-Startum und Underground-Ethos probiert.

Dabei hilft es, dass er längst zum festen Stamm der Berghain-DJs gehört, und damit eng mit einem Club verbandelt ist, der gerade deswegen so erfolgreich ist, weil er es schafft, trotz des ganzen Hypes um ihn weiterhin szenenah und authentisch zu wirken. Die Berghain-Philosophie ist auch Dettmanns Philosophie. Der Club steht immer noch für den dreckigen und düsteren Techno, mit dem man Berlin bereits in den Neunzigern assoziierte. Dieser Sound ist längst ein echter Exportschlager, der weltweit nicht mehr nur in kleinen Clubs, sondern auch bei Massenveranstaltungen funktioniert. Dementsprechend werden die Haus-DJs der Berliner Partyzentrale wie Marcel Fengler, Ben Klock oder eben Marcel Dettmann allein schon aufgrund ihres „Berghain“-Stempels im DJ-Pass in Paris ebenso gerne gebucht wie in New York. Die Kombination Berghain und Berlin bringt einen als DJ problemlos überall hin. Sogar auf der Partyinsel Ibiza, wo man eigentlich eher auf Gute-Laune-DJs wie David Guetta steht, legt Dettmann inzwischen seine rohen, kompromisslosen Sets auf und die Leute drehen trotzdem durch.

„Für mich ist Techno einfach Amateurmusik“

Techno-Botschafter. Marcel Dettmann.
Techno-Botschafter. Marcel Dettmann.
©  Sven Marquardt

Techno ist zwar schon bald drei Jahrzehnte alt und musikalisch inzwischen nur noch selten halbwegs revolutionär, aber das Ding brummt weiter und wächst sogar. Die USA haben jetzt Electronic Dance Music im ganz großen Stil entdeckt und Asien wird für europäische DJs gerade immer interessanter.

Am Wochenende auflegen und unter der Woche für Frau und Kind da sein – so hätte Dettmann problemlos weitermachen können. Aber vor ein paar Jahren hat er auch noch mit dem Produzieren von eigener Musik begonnen und seitdem verbringt der DJ unter der Woche immer mehr Zeit in seinem Studio. Die letzte Nacht, so berichtet er beim Treffen in den Büros des Berghains, habe er wieder fast komplett durchgemacht. Ein Remix für das Berliner Techno-Duo Modeselektor war fertigzustellen.

Bei den meisten DJs laufen das Auflegen und das Produzieren eigener Musik parallel. Selbst produzierte Tracks dienen als Visitenkarten für lukrative Bookings in den Clubs. Dettmann aber war eigentlich immer nur DJ, bestens gebucht auch ohne eigene Produktionen. Und er war eine Zeit lang Plattenverkäufer im Kreuzberger Hard Wax, der als Spezialladen für Techno weltweit einen ähnlichen Ruf genießt wie das Berghain bei Clubgängern. Inzwischen hat Dettmann keine Zeit mehr für diesen Job.

Zum Produzieren kam er eher zufällig, erklärt er und behauptet, die Arbeit im Studio sei für ihn immer noch eher ein Hobby. Er gehe nicht mit einem bestimmten Ziel ins Studio, er schaue vielmehr beim Herumdrehen an den Knöpfen der Maschinen, was da so passiere, sagt er, „man probiert etwas aus und allein durch Zufälle entstehen im besten Fall geniale Momente.“

Auch sein aktuelles, inzwischen zweites Album ist so entstanden, nicht in einem Schwung, sondern nach und nach. „Dettmann II“ heißt es, sein Debüt nannte er „Dettmann“. Diese Reduktion ist typisch für ihn. Auch seine Tracks haben nur Ein-Wort-Titel wie „Aim“ oder „Stranger“ und sein eigenes Label heißt schlicht „Marcel Dettmann Recordings“.

Zuerst glichen die zwölf Tracks des Albums eher Skizzen, erklärt Dettmann, erst nach und nach wurde mehr daraus. Das Skizzenhafte kann man immer noch hören, was ein Gewinn ist. Denn oft kranken Technoalben daran, dass von Anfang bis Ende einfach durchgeklackert wird und die Bassdrum dazu ihr Bumm Bumm macht. Clubmusik fürs Wohnzimmer kriegen nur wenige sinnvoll hin. Bei Dettmann dagegen durchzieht das ganze Album eine fast schon gespenstische Atmosphäre, geisterhafte Maschinengeräusche spuken umher und die Bassdrum klingt oft so verquollen, als sei sie unter Wasser aufgenommen worden. Bei einem Stück hat sich Marcel Dettmann die Berliner Sängerin Emika mit ins Studio geholt. Statt eines Textes singt sie nur „Uh“ und „Ah“, wozu ein paar verstolperte Beats erklingen. Das hört sich schon beinahe wie Techno-Jazz an und ist echte Zuhör-Musik.

Zudem setzt „Dettman II“ Kevin Saunderson, Juan Atkins und all den Futuristen des längst klassischen Detroit-Technos ein Denkmal. „Das Album ist sehr intim“, sagt Dettmann, „das bin hundertprozentig ich.“

Marcel Dettmann: „Dettmann II“ erscheint bei Ostgut Ton. Record Release im Berghain: Sa 14.9., ab 23.59 Uhr

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